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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Nehmen Sie also an, daß wir Paris sehen wollen.“

„Ah! Man entfernt sich nicht so weit von der Stadt, um sie zu sehen.“

„Wir lieben aber die Stille – und ich bin hier recht gut bekannt. Im vorigen Herbst sah’s freilich in dieser Gegend anders aus.“

„So, so! im vorigen Herbst. Ja, da standen hier …“ Er verschluckte das Weitere. „Und wie lange gedenken Sie sich aufzuhalten?“

„Einige Tage.“

Der Hôtelbesitzer überlegte. „Ich kann Sie nicht hindern, meine Herren,“ bemerkte er nach einer Weile, „bei mir zu logiren, und was mich anbetrifft, ich bin ohne Vorurtheil, aber ich muß Sie bitten, mich nicht dafür verantwortlich zu machen, wenn Ihnen etwas Unangenehmes passiren sollte. Man muß eben die Verhältnisse nehmen, wie sie sind.“

Arnold beruhigte ihn, so gut er konnte.

Gegen Abend – es dunkelte schon stark – lud er den Onkel, der durch die Reden des Wirths ganz verschüchtert war, zu einem Spaziergange ein. Er müsse erst einmal recognosciren, sagte er, bevor er in die eigentliche Action eintrete. Sie kamen an dem Fabrikgebäude vorbei, in welchem das Lazareth aufgeschlagen war. Jetzt zeigten sich alle Fenster erleuchtet. Arbeiter gingen ab und zu. Ein Lastwagen wurde am offenen Thore abgepackt. Noch eine Strecke weiter unter den Bäumen – und die bekannte Villa wurde sichtbar. Aber der Mond schien nicht, um sie zauberisch zu erleuchten; in der Abenddämmerung lagen Haus und Baumwand wie eine dunkle Masse da. Sie näherten sich dem Eisengitter und Arnold führte seinen Begleiter, der ihn unter den Arm gefaßt hatte, an dasselbe heran. In dem Zimmer der Madame Blanchard brannte eine Lampe. Nun wurde auch in den Salon Licht gebracht; es bewegte sich her und hin. Gleich darauf erschien eine weibliche Gestalt am Fenster und ließ die Vorhänge herab. Dann hörte man auf dem Flügel spielen. War das Juliette? Arnold zweifelte nicht daran und nahm’s für ein gutes Omen.

Dann öffnete sich die Hausthür, und ein Herr trat heraus. Er ging langsam über den Kiesweg hin, schlug mit seinem Stöckchen in die Hecken und summte irgend eine Melodie vor sich hin. Als sich die Töne des Claviers vernehmen ließen, blieb er einen Augenblick stehen, schaute zurück und warf eine Kußhand hinauf. Dann ging er rasch weiter. Am Gitter bemerkte er die beiden Fremden und beobachtete sie beim Austreten scharf. Arnold erkannte nur einen jungen schlankgewachsenen Mann mit schwarzem Bärtchen und eigenthümlich stechenden Augen. Derselbe schloß zögernd das Gitter hinter sich und schien sich zu bedenken, ob er die Fremden anreden solle.

„Was wollen Sie hier, meine Herren?“ fragte er dann in der Weise eines Polizeibeamten, der etwas Unerlaubtes wittert.

„Wir glauben hier Niemandem im Wege zu sein,“ antwortete Arnold, ohne sich schrecken zu lassen.

„So, so – freilich!“ knurrte der Herr, faßte ihn noch einmal in’s Auge und entfernte sich, das Musikstück mit einigen ziemlich unharmonischen Tönen begleitend.

Helmbach zog seinen Neffen fort. „Wir werden noch Unannehmlichkeiten haben,“ äußerte er ängstlich, „es ist ja hier auch Nichts zu sehen.“

„Du weißt nicht, wie mir um’s Herz ist,“ entgegnete Arnold und seufzte tief auf.

Sie gingen dieselbe Straße zurück. Nicht weit von der Fabrik lag ein kleines Wirthshaus, das Arnold im vorigen Winter oft besuchte. Der Wirth hatte damals zwar auch die Flucht ergriffen gehabt, war dann aber heimgekehrt und hatte sein Geschäft wieder eröffnet. An Zuspruch fehlte es ihm nicht, und die preußischen Thaler gefielen ihm so gut wie die französischen Francs. Arnold hatte ihn lieb gewonnen, da er ein munterer Geselle war, der gut zu unterhalten verstand und die Leute im Ganzen auch ehrlich bediente. Er führte jetzt den alten Herrn trotz der Bedenklichkeiten desselben in das kleine Wirthshaus.

Der Restaurateur erinnerte sich seines guten Kunden gleich, zeigte sich aber nicht sonderlich erfreut über das unerwartete Wiedersehen. Da das Gastzimmer von Arbeitern gefüllt war, bat er die Herren, ihm nach seinem Privatstübchen nebenan zu folgen. Dort setzte er ihnen Wein vor und nahm auf Arnold’s Bitte neben ihnen Platz.

„Es ist gut,“ bemerkte er, „wenn man dort auf Sie möglichst wenig aufmerksam wird. Diese Schlauköpfe denken sich gleich allerhand zusammen.“

Rose brachte das Gespräch bald auf den Gegenstand, der ihn am meisten beschäftigte. „Wie steht’s drüben?“

Der Restaurateur verstand ihn. „In Ihrem alten Quartier, meinen Sie – ah! man weiß nicht recht. Blanchard hat viel verloren, erst durch den Krieg, dann durch die Wirren in der Stadt, aber ich denke, er ist bei alledem noch ein recht wohlhabender Mann.“

„Und seine Gesundheit?“

„Da bleibt viel zu wünschen. Er hat eine schwere Krankheit durchgemacht und leidet noch jetzt an den Nachwehen.“

„Und seine Frau?“ Arnold ging Schritt für Schritt auf sein Ziel zu.

„O! Madame Blanchard würden Sie auffallend gealtert finden. Die Sorgen, mein Herr, die Sorgen! Sie liebt ihren Mann und ihre Kinder.“

„Der Sohn ist noch Officier, nicht wahr?“

„Ich glaube, er kostet dem Papa mehr, als ihm lieb ist, und sie sind auch sonst über Manches nicht einig, wie man behauptet. Nun, das ist kein Wunder! In Frankreich muß man jetzt die Leute, die in der Politik einig sind, mit der Laterne suchen. Unglückliches Land!“

„Wie geht’s dem Fräulein?“ Nun war er auf der richtigen Fährte.

„Das Fräulein ist noch zu Hause, aber man sagt –“

„Was sagt man?“

„Ich weiß nicht, was an dem Gerede ist, aber seit einigen Monaten geht dort der Maire häufig aus und ein, und das findet man auffallend.“

„Ein großer Mann mit schwarzem Bärtchen, nicht wahr?“

„Sie kennen ihn also?“

„Ich sah ihn eben aus dem Hause kommen. Und was sagt man?“

„Er soll sich eifrig um die Hand der Tochter bewerben.“

„So – ?! Und Juliette?“

„Sie scheint kränklich zu sein, und man wollte im Sommer, als sie in ein Bad reiste, gehört haben, daß sie sich verschworen habe, nie zu heirathen. Aber bei jungen Damen hat das nicht viel zu sagen; sie ändern leicht ihren Sinn. Und schließlich spricht doch der Vater das entscheidende Wort. Ihm gefällt der Maire, da er Bonapartist ist und wohl auch heimlich für seine Partei wirkt, was ihn in der Gemeinde keineswegs beliebt macht. Uebrigens ist er aus guter Familie und soll viel gelernt haben. Man zweifelt nicht, daß er rasch vorwärts kommen wird, wenn er sich zur rechten Zeit zu neigen und zu beugen weiß, und das versteht er. Bringt ihm seine Frau ein hübsches Vermögen zu, so ist er in wenigen Jahren ein geachteter Mann, und Herr Blanchard wird seinen Vortheil daraus zu ziehen wissen, einen so nahen Freund in der Verwaltung zu haben.“

Arnold war sehr unruhig geworden, und trank ein Glas Wein nach dem andern, um seinen trockenen Gaumen zu netzen. „Die Sache ist also so gut wie in Ordnung?“ fragte er aufgeregt.

Der Wirth wiegte den Kopf. „Das glaube ich doch nicht. Es muß nicht so glatt gehen, wie’s der Herr Maire wünscht, sonst wäre wohl die Verlobung schon publicirt. Das Fräulein wird sich nicht ganz leicht geben; sie soll eigensinnig sein, und der Papa hat sein einziges Töchterchen verwöhnt. Es eilt mit dem jungen Dinge ja auch nicht so sehr. Ueber’s Jahr vielleicht …“

Arnold stand auf und bezahlte den Wein. Er hatte mehr erfahren, als er vermuthen konnte, und mehr Gewißheit vermochte der Wirth ihm doch nicht zu geben. Onkel Helmbach, der nur einzelne Brocken dieser Reden aufgefangen hatte, erhielt auf dem Heimwege einen Bericht, aus dem sich Arnold’s schwere Besorgnisse nicht erkennen ließen, aber der Hauptpunkt war doch nicht zu umgehen gewesen: daß sich ein sehr einflußreicher Freier gefunden habe und daß diese Rivalität ein neues, bisher gar nicht in Rechnung gestelltes Hinderniß bedeute.

Unser junger Freund hatte eine sehr unruhige Nacht. Die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_279.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)