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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

alten Onkel in einem wahrhaft erbarmenswürdigen Zustande. Er lehnte todtenbleich und ganz aufgelöst in einer Sophaecke, hatte die Hände gefaltet und erwartete sein Ende in Schrecken. „Kommen sie schon, diese entsetzlichen Menschen?“ fragte er mit lallender Stimme, „bin ich rettungslos verloren? Wenn Du entfliehst – nimm Dich meiner armen Cläre an, Arnold … ach! es ist mein Tod!“

Nur sehr langsam gelang es, ihn so weit zu beruhigen, daß er erzählen konnte, was geschehen. Er habe sich verleiten lassen, von der geraden Straße abzugehen, um ein Etablissement seitwärts zu besichtigen. Dahinter habe er die Spuren von Verschanzungen gefunden, die sein Interesse erregten und ihn weiter vom Wege abführten. Er begreife selbst nicht, wie er bei seiner Aengstlichkeit sich so in’s Ungewisse habe wagen können. Er müsse wohl die Kreuz und Quer gegangen sein, denn als er sich nun zurückgewandt, sei er auf einen unrichtigen Weg gerathen. Zu seinem Unglück sei ihm nun der Gedanke gekommen, seinen Plan von Paris und Umgebung hervorzuziehen und den Versuch zu machen, sich mit Beistand desselben zu orientiren. Gleich darauf hätten sich ihm zwei Männer genähert, die ihn schon vorher aus einiger Entfernung beobachteten, und ihn gefragt, was er da so geheim treibe. Aus seiner Antwort müßten sie wohl sofort gemerkt haben, daß er ein Deutscher sei, und nun hätten sie ihn einen Spion genannt und in ihre Mitte nehmen wollen. In seiner Angst gemißhandelt zu werden, habe er sich nun eiligst aus dem Staube gemacht; sie wären ihm aber nachgelaufen und hätten immer geschrieen: ‚ein Spion – ein deutscher Spion!‘ Bald wäre eine größere Schaar hinter ihm her gewesen; er habe seinen Hut und seine Brille verloren. Endlich habe man ihn ergriffen und „unter den furchtbarsten Drohungen“ hierher escortirt, nachdem er den Namen seines Hôtels genannt. Mit Mühe nur habe der Wirth ihn den Armen dieser „blutgierigen Wütheriche“ entreißen können die „zu vielen Tausenden“ das Haus belagerten. Er erwarte von diesem „Bestienvolk“ das Schlimmste. „Das Beste wäre,“ meinte er, „wir warteten die Dunkelheit ab und suchten dann nach dem Stationsgebäude der Eisenbahn zu entkommen. Hätte ich mich doch niemals zu dieser unglückseligen Reise überreden lassen!“

„Nun sind wir aber einmal hier, Onkel,“ begütete Arnold, „und müssen auf unserm Posten aushalten. Verlassen wir uns auf unser gutes Gewissen! Nur nicht Faust zeigen! Nur nicht Heimlichkeiten vornehmen! Glaube mir: man hat jetzt seine Komödie gespielt und kümmert sich nicht weiter um uns.“

Wie zur Bestätigung dieser Ansicht brachte der Hôtelbesitzer Hut und Brille des alten Herrn. Eine Frau habe sie abgegeben, „da man der fremden Sachen wegen nicht Unannehmlichkeit haben wolle.“ Er lachte jetzt schon selbst über den Vorfall und meinte, die Leute seien doch recht närrisch. „Es ist ihnen freilich nicht zu verdenken,“ fügte er hinzu.

Nach dem Mittagessen schlug Arnold eine Fahrt nach Paris vor, um Victor Blanchard aufzusuchen; aber Helmbach, so gern er den alten Bekannten begrüßt hätte, den er wirklich recht lieb gewonnen, war nicht zu vermögen, das Haus zu verlassen, „es sei denn bei Nacht und Nebel“. Der Neffe entschloß sich, allein zu fahren.

Er traf glücklich den jungen Officier in seiner Wohnung. Die Begrüßung war recht herzlich; er mußte sogleich umständliche Auskunft über alle seine Angehörigen in der Heimath geben, auch über das „schöne blonde Fräulein“, das ihm so gutherzig die schweren Tage der Gefangenheit habe kürzen helfen. Von Zeit zu Zeit warf Victor einige deutsche Brocken in die Unterhaltung ein, um zu zeigen, daß seine Studien fruchtbar gewesen seien. Arnold glaubte sich ihm ganz frei eröffnen zu können.

„Ah! dachte ich’s doch!“ rief der Lieutenant, „dachte ich’s doch! Juliette, die sonst so gut Spaß versteht, ließ sich mit Ihnen durchaus nicht necken. Ja, ich will’s Ihnen nicht verdenken, daß Sie dem Mädchen gut sind; meine kleine Schwester – ich kann’s ja sagen, da Sie jedenfalls ungeprüft meinen Enthusiasmus theilen – ist ein reizendes Geschöpf Gottes, dem ich von Herzen alles Glück wünsche, das in dem besten Herzen Platz hat. Ich bin ohne Vorurtheil. Warum soll sie nicht einen Deutschen lieben? Was hat die Liebe zweier Menschen aus bürgerlichen Familien mit der Politik zu schaffen? Hätte ich Juliette’s kleine Hand zu vergeben … nun! ich will nicht sagen, daß Sie mir der erwünschteste Schwager wären, aber entgegen wollte ich ihrer Neigung gewiß nicht sein, und jedenfalls wären Sie mir lieber, als Herr Credillon, der Maire, der ein sehr zweifelhafter Charakter ist und den Vater durch geschmeidiges Wesen und allerhand Vorspiegelungen von weitreichenden Verbindungen ganz bethört hat.“

„Ist meine Bitte unverschämt,“ fragte Arnold nicht ohne Beklommenheit, „daß Sie sich bei Ihrem Vater für mich verwenden? Sie kennen meine häuslichen Verhältnisse, Sie würden –“

Victor lachte. „Da fallen Sie gerade auf den untauglichsten Vermittler. Ich lebe mit meinem Vater auf ziemlich gespanntem Fuße, müssen Sie wissen. Das Wenigste ist, daß ich ihm zu oft mit Geldforderungen komme – aber unsere Ansichten über tausend Dinge in der Welt stimmen nicht, und ich kann nun einmal nicht den Mund halten, wenn ich etwas besser zu verstehen glaube. Seit seinem Schlaganfall ist er ungemein reizbar. Ich darf ihm jetzt nicht einmal mehr widersprechen; er sieht mir’s schon vom Gesicht ab, daß ich innerlich anderer Meinung bin, und da sein bester Freund, der Maire, in der unvernünftigsten Weise alle seine Marotten bestärkt, wird die Differenz zwischen uns von Tage zu Tage größer. Spreche ich für Sie, so werden Sie ihm bald als der gefährlichste Mensch unter der Sonne erscheinen. Günstiger wär’s für Sie, wenn ich vor Ihnen warnte – ha, ha, ha!“

„Aber wie hat eine solche Entfremdung –“

„Lieber Freund, die Politik spielt jetzt in Frankreich eine garstige Rolle, ganz ebenso in jedem Privathause wie im Saale der Abgeordneten. Erwarten Sie von mir keine Enthüllungen, keine Eröffnungen – ich bin Soldat. Nur das Eine darf ich Ihnen vertrauen: ich bin, wie die Verhältnisse einmal liegen, ungern Soldat. Ginge es nach meinen Wünschen, ich nähme meinen Abschied. Aber mein guter Papa … ah! lassen wir das, ich sage nichts mehr.“

„Und ich darf also in keiner Weise auf Ihren Beistand hoffen?“

„Was kann ich für Sie thun? Ich will Sie hinaus begleiten, will mit meiner Schwester, vielleicht auch mit meiner Mutter sprechen, wenn sich’s so fügt, aber – mein Vater hat die entscheidende Stimme, und ich zweifle sehr …“

Er zuckte die Achseln, und Arnold seufzte tief: „Weit, weit vom Ziel.“

Arnold nahm das Anerbieten mit Dank an. Die beiden Männer fuhren zusammen bis zum Gasthause; dann ging Victor zu Fuß bis zur Villa. Spät Abends sah Arnold, der am Fenster stand, ihn von dort mit jenem Herrn zurückkehren, dessen Bekanntschaft er am Gitter gemacht zu haben sich erinnerte. Es mußte der Maire sein. Victor verabschiedete sich sehr förmlich von ihm und trat in das Haus. „Ich bestelle mir hier den Wagen,“ hörte er ihn beim Eintreten sagen.

Arnold ging ihm vor Ungeduld entgegen. „Nun – was bringen Sie?“

„Wenig Tröstliches,“ antwortete der Officier, wie es Arnold vorkam, nicht ganz in dem früheren freundlichen Tone. „Herr Credillon ließ mich kaum aus den Augen – er betrachtet mich als seinen Widersacher und hat ja Grund dazu. Er wußte übrigens schon, bevor er es von den Meinigen erfuhr, daß Sie derselbe Arnold Rose sind, der im vorigen Winter in unserm Hause Quartier genommen hatte, und ich irre wohl schwerlich, wenn ich annehme, daß er noch mehr zu wissen glaubt. Dieser Mensch hat eine ganz eigene Combinationsgabe. Nehmen Sie sich vor ihm in Acht!“

„Ich gehe nicht auf unrechten Wegen,“ bemerkte Arnold.

„Gleichwohl! Leuten seiner Art kommt es auf einen Machtmißbrauch mehr oder weniger nicht an. Uebrigens wird er bei Juliette nichts erreichen. Sie hatte sich unwohl melden lassen und blieb auf ihrem Zimmer. Ich konnte sie also ein paar Minuten allein sprechen; aber es war nichts aus ihr herauszubringen, als daß sie entschlossen sei, keinen Zwang zu dulden. Kein Wort der Ermuthigung kam über ihre Lippen, aber sie verwahrte sich auch nicht gegen Ihre Werbung. ‚Es ist nicht gut zu fragen,‘ sagte sie, als ich heftiger in sie drang, ‚wenn die Antwort nichts entscheiden kann.‘ Das arme Mädchen leidet schwer; ich kenne dieses feste Herz, das so viel Gewalt aber sich selbst hat. Geben Sie mir als Ehrenmann das Versprechen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_295.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)