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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Mimik und die Andern seine pathetische Stimme nicht genug rühmen konnten. Nach einem Trinkgelage, das bis zum hellen Morgen gewährt, wurde die Feder eingetaucht, um scharfe Pasquille und Epigramme, durch welche er sich erbitterte Feinde schuf, vielleicht auch eine ihm durch den Kopf summende Melodie niederzuschreiben.

Sein ungeregeltes Leben hatte in dem glänzenden Ludwigsburg seinen Höhepunkt erreicht – hier, wo er auf dem Parquetboden in den Zimmern schöner Aristokratinnen so sicher ging, als sei nicht an ein Ausgleiten zu denken, und im Wirthshause bei Wein und Tabak die Hofleute und selbst den Herzog carrikirte und sein einfaches, aber mit rührendster Liebe an ihm hängendes Weib und die Kinder daheim vergaß.

Nicht allzu lange sollte er sich indeß selbstgefällig im modischen, goldbordirten Kleide sehen und das lustige Leben weiter führen unter den Sängern und Sängerinnen von Herzog Karl’s berühmter italienischer Oper. Sein schwarzberockter Vorgesetzter, der gestrenge Herr Special Zilling, stieß einen Schrei der Entrüstung aus über den weltlich gesinnten Organisten, besonders darum erzürnt, weil derselbe allerlei Melodien beim Orgelspiel einschob, die mit Tanzweisen und sonstigen heitern Gesängen mehr Aehnlichkeit hatten, als mit den hergebrachten, ehrwürdigen Kirchenliedern. Um diese Zeit verließ auch Helene Schubart den Mann, an welchem sie, alle seine Fehler verzeihend, bisher eine Engelsgeduld bewiesen, weil er ihr eine neue schwere Kränkung zugefügt hatte, ja, es wurde auf einen Antrag des Special Zilling von der geistlichen Behörde eine Haft über ihn verhängt, und nach Abbüßung derselben dictirte ihm die weltliche sogar Landesverweisung zu.

Auf die unbekümmert fröhlichen Tage im schwäbischen Versailles folgten nun die traurigen der Wanderzeit, sein Umherirren ohne Stellung und Brod, sein Hinüberneigen zum Katholicismus in München, wozu ihn nicht Ueberzeugung trieb, sondern der Gedanke, „sein Glück machen zu wollen“, endlich dann ein Aufenthalt in Augsburg, wo er, ruhiger geworden, den Gedanken faßte, die „Deutsche Chronik“ zu gründen.

In der langen Zeit, welche zwischen seiner Ausweisung von Ludwigsburg und der Niederlassung in Augsburg lag, war weder ein Lied noch eine Composition entstanden – seine ganze schöpferische Kraft lag brach. Glücklicher Weise hatte die Chronik mehr als erhofften Erfolg; wieder mit seiner Gattin vereint, siedelte er nach Ulm, der freien Reichsstadt, über, um sich kurze Zeit eines geregelten, thätigen Lebens zu befleißen – dann faßte ihn die mächtige Hand, welche ihn nach dem Asperg hinüber zog.

Von dieses „Thränenberges Höhen“ sind, nachdem das erste schwere Kerkerjahr überstanden und dem Dichter Festungsfreiheit und der Gebrauch der Feder wieder gestattet worden war, Schubart’s schönste und gelungenste Lieder hinabgeflattert. Erst durch die Gefangenschaft wurde die Aufmerksamkeit des gesammten Deutschlands auf ihn gelenkt, und wenn wieder ein Lied seinen Weg hinabgefunden, das von den „klirrenden Ketten“ an seinem Arme erzählte, so waren stets neue Sympathien für den „gefangenen armen Mann“ erweckt.

Daß in Wahrheit die Haft Schubart’s eine weit leichtere war, als seine Lieder sie mit dichterischer Freiheit beschrieben, konnte man draußen freilich nicht wissen und man hatte umsomehr Mitleid mit ihm, weil ein Grund seiner Verhaftung eben so wenig angegeben wurde, als man eine Untersuchung gegen ihn einleitete. Nur vermuthen ließ sich, daß seine vielen Ausfälle gegen die verschiedenen Regierungen, der Haß der Geistlichkeit, besonders der katholischen, die er beständig geißelte, während er früher im Begriff gewesen war, sich zu ihrem Werkzeug machen zu lassen, und endlich der Groll Herzog Karl’s, den er oft verspottet, die Ursache waren.

Von Friedrich dem Großen an bis zum kleinsten Winkelpoeten hinab bemühte man sich unablässig für seine Freiheit – der Herzog blieb ungerührt. Daß dies aber nicht allein persönlicher Groll Karl’s, sondern durch Schubart’s Charakter und Benehmen begründet war, muß sich Jeder gestehen, der David Strauß berühmtes und bedeutendes Buch „Schubart’s Leben in seinen Briefen“ zur Hand nimmt. So begeistert der Autor für seinen Helden ist, kann er uns doch die Schattenseiten des Schubart’schen Charakters nicht verhehlen. Wir sehen den Gefangenen des Aspergs zwischen seinen Gefühlen wankend und schwankend, wie ein vom Winde bewegtes Rohr, hin- und hergeworfen. Heute segnet er den Mann, der ihn den Seinen entführte, als Erretter, um ihm morgen zu fluchen; jetzt singt er Bußpsalmen und bekennt sich als größten Sünder, um eine Stunde später, wenn eine lustige Gesellschaft um ihn versammelt ist und der Commandant des Aspergs, der pietistisch-frömmelnde Oberst von Rieger, ihn nicht hört, Alles zu verspotten und zu verlachen.

Aber der, welcher ihm die Freiheit nahm, wollte nicht allein strafen, sondern auch bessern. Die schlimme Zeit lag hinter Herzog Karl; zu jung, aber geistvoll und lebensfroh, hatte er die Macht eines Regenten erhalten und mit ihr gespielt, oft ahnungslos bösen Einflüsterungen seiner Umgebung folgend. Jetzt war der Ernst gekommen. Ungezwungen und freimüthig, wie nie ein Fürst zuvor, hatte er seinem Volke, das ihn trotz seiner früheren Herrscherlaunen liebte und verehrte, bekannt, daß er selber nicht mit der vergangenen Regierungsperiode zufrieden war und daß er nun ein anderes Leben zu beginnen gewillt sei:

„Da wir aber Mensch seynd und unter diesem Wort von dem so vorzüglichen Grad der Vollkommenheit beständig weit entfernt geblieben und auch vor das künftige bleiben müssen, so hat es nicht anderst seyn können, als daß theils aus angebohrner menschlicher Schwachheit, theils aus nicht genugsamer Kenntniß und sonstigen Umständen, sich viele Ereignüsse ergeben, die, wann sie nicht geschehen, wohl vor jetzo und das künftige eine andere Wendung genommen hätten. Wir bekennen es freymüthig, denn dies ist die Schuldigkeit eines Rechtschaffenen, und entladen Uns damit einer Pflicht, die jedem Rechtdenkenden, besonders aber den Gesalbten dieser Erden, vor beständig heilig seyn und bleiben sollte.

Wir sehen den heutigen Tag als eine zweite Periode Unsers Leben an. – – Württembergs Glückseeligkeit soll also von nun an und auf immer auf der Beobachtung der echtesten Pflichten des getreuen Landesvaters gegen seine Unterthanen und auf dem zärtlichen Zutrauen und Gehorsam der Diener und Unterthanen gegen ihren Gesalbten beruhen.“

In dieses andere Leben führte ihn die Hand seines Schutzgeistes, Franziska’s von Hohenheim, seiner zweiten Gemahlin. Fortan unterblieben die glänzenden Feste; die italienischen Sänger und französischen Tänzer wurden heimgeschickt; die 1770 zuerst auf der Solitüde gegründete Karlsschule wurde erweitert und so zu einer der großartigsten Erziehungsanstalten, an welcher die Wissenschaften und Künste blühten, wie nirgends im deutschen Reiche, erhoben. Neben wie manchen Namen, welchen die Nachwelt anerkennend und bewundernd nennt, steht die Bezeichnung „Zögling der Karlsakademie“! Schiller, ihr berühmtester Schüler, hat, obgleich er sich des Herzogs energischem Willen widersetzte, dankbarlichst die Vorzüge der Anstalt gerühmt, ja, lebenslang für den Stifter derselben eine Anhänglichkeit bewahrt. Er weilte gerade im Heimathlande, als Karl’s Ende herannahte.

„Ich sah ihn,“ erzählt Hoven in seiner Selbstbiographie, „bei der Nachricht, daß der Herzog krank und seine Krankheit lebensgefährlich sei, erblassen, hörte ihn den Verlust, den das Vaterland durch dessen Tod erleiden würde, in den rührendsten Ausdrücken beklagen, und die Nachricht von dem wirklichen Tode des Herzogs erfüllte ihn mit Trauer, als wenn er die Nachricht von dem Tode eines Freundes erhalten hätte.“ An der Gruft Karl’s brach er tiefbewegt in die Worte aus: „Da ruht er also, dieser rastlos thätig gewesene Mann. Er hatte große Fehler als Regent, größere als Mensch; aber die ersten wurden von seinen großen Eigenschaften weit überwogen, und das Andenken an die letzteren muß mit dem Tode begraben werden; darum sage ich Dir, wenn Du, da er nun dort liegt, nachtheilig von ihm sprechen hörst, traue diesem Menschen nicht! Er ist kein guter, wenigstens kein edler Mensch.“

Die Haft Schubart’s bestand nach dem ersten Jahre lediglich nur in der Beschränkung seines Aufenthaltes auf den Asperg; er besaß ein Clavier, durfte jeden Besuch entgegennehmen und sprach auf diese Weise viele berühmte Leute, wie Lavater, Jakobi – nur Frau und Kinder sollte er Jahre lang nicht sehen.

Eine grausame Ausnahme! und doch, wie sehr hatte er sein Weib gekränkt, wie offenkundig – vielleicht wollte man erst die echte Reue zum Durchbruch kommen lassen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_301.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)