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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Exil jenes Leben nahm. Und was wir mit geschlossenen Augen im Traume sprechen, es klingt unverständlich und selten – schön. Wir bleiben im Traume Partei, ob auch die Parteigenossen geistig längst zu ihren Vätern versammelt sind, das heißt: die Irrthümer und Illusionen ihres Lebens längst eingesehen haben, und wenn Herwegh den Dichter „Prophet“ nennt, so hat am Ende Freiligrath auch nicht Unrecht, wenn er singt:

„Der Dichter steht auf einer höhern Warte
Als auf der Zinne der Partei.“

Was half die Herwegh’sche Antwort:

„Und meinen Lorbeer flechte die Partei!“

Die Partei ist todt, und der Lorbeer ihres Dichters ist mit ihr begraben worden.

Es war im Jahre 1841, als ich den Namen Herwegh zum ersten Male gedruckt las, und es war in der Residenz des damaligen Kaisers von Oesterreich, des Fürsten Clemens von Metternich, also in Wien. So stark der Druck der Censur auf jeder geistigen Bewegung lastete, so tolerant – für seine damaligen Verhältnisse – war das System gegen die gebildete Classe der Gesellschaft. Die Erlaubniß, in einem Cirkel von Lesern auswärtige Zeitschriften etc. cursiren zu lassen, vorausgesetzt, daß sie den Kreis nicht überschritten, wurde selten verweigert und so las ich zuerst in Wien Börne’s „Menzel, der Franzosenfresser“, Gutzkow’s „Wally“, Heine’s „Salon“ und eine Menge anderer Sachen, welche heutzutage ziemlich harmlos erscheinen, in jenen Tagen aber in den officiellen Regionen für Pulver und Schießgewehr galten, mit welchen Kinder und Staatsbürger nicht spielen sollen. Sogar Lewald’s „Europa“ genoß die Ehre, in Oesterreich noch zu den Artikeln zu zählen, die, wenn sie auch nicht von selbst explodirten, doch vor der Berührung mit Feuer und Licht behütet werden mußten.

Lewald’s „Europa“ war es, welche uns in Wien im Jahre 1841 den Namen Herwegh zuerst nannte, ohne von ihm weit mehr zu sagen, als daß er ein talentvoller, in Zürich lebender junger Dichter sei, dessen „Gedichte eines Lebendigen“ großes Aufsehen erregten. Die genannte Zeitschrift brachte gleichzeitig durch den Abdruck des Nachrufs an den jung gestorbenen Dichter Georg Büchner eine Probe der Herwegh’schen Muse, von welcher Probe ich nur die ersten sechszehn Verse hier anführen will.

„So hat ein Purpur wieder fallen müssen!
Hast eine Krone wiederum geraubt!
Du schonst die Schlangen zwischen deinen Füßen
Und trittst den jungen Adlern auf das Haupt!
Du läßt die Sterne von dem Himmel sinken
Und Flittergold an deinem Mantel blinken!
Sprich, Schicksal, sprich, was hast du diesen Tempel
So früh in Schutt und Asche hingelegt?
So rein und frisch war dieser Münze Stempel –
Was hast du heute schon sie umgeprägt?
O, theurer als im goldenen Pokale
Einst jene Perle der Kleopatra,
Lag eine Perle in dem Haupte da;
Der Mörder Tod schlich nächtlich sich in’s Haus,
Der rohe Knecht zerbrach die zarte Schale
Und goß den hellen Geist als Opfer aus.“

Es geht uns Lesern bei der Lectüre von Gedichten nicht selten wie bei der Musik. Die gedruckten Worte sind nur eine Partitur, und die Noten gehen nur dem Musiker, welcher Partituren zu lesen versteht, durch das Auge auch in’s Ohr. Die Melodie und die Harmonie der gebundenen Rede kommen dem Laien erst zum wahren Verständniß durch die Instrumentation, und diese ist in der Poesie das hörbare Wort, die Rhetorik. Möge der Leser also die oben citirten Verse laut lesen und die Frage gestatten, ob er in der ganzen deutschen poetischen Literatur ein Beispiel finden kann, welches in sechszehn Zeilen (ich gebrauche absichtlich das Wort „Zeilen“) einen solchen Reichthum an poetischen Bildern enthält. Dieser Reichthum ergießt sich über das ganze Gedicht. Wir brauchen uns nicht erst darüber zu verständigen, was den Werth einer Dichtung ausmacht. Es ist die Reinheit der Form, verbunden mit dem Reichthum der poetischen Gedanken und Bilder, und vor Allem die Zwanglosigkeit, die weiche, melodiöse Ungezwungenheit, mit welcher der Dichter die Bilder vor uns entrollt. Diese Aufgabe löste Herwegh in seinem Nachruf in einer so vollendeten Weise, daß er in der Form sogar den mitunter fast bis zur Pedanterie gewissenhaften Platen überflügelte und in der Phantasie eine fast dämonische Verschwendung zeigte. Der tiefe Eindruck, den das Gedicht auf uns Alle machte, ist um so maßgebender, als der Name Büchner in der Literatur in weiteren Kreisen kaum einen Klang hatte, folglich der Dichtung Herwegh’s nicht einmal eine „Reclame“ machen konnte. In solcher Weise durch Lewald’s „Europa“ introducirt, hatte also in unsern damaligen Kreisen in der österreichischen Hauptstadt die politische Tendenz der Herwegh’schen Muse, die ihm in Deutschland so rasch und mächtig Bahn brach, keinen Einfluß auf unser Urtheil, höchstens etwa die pantheistische Weltanschauung, welche sich wie ein rother Faden durch den ganzen Nachruf zieht und in den Worten ihren Glanz- und Höhepunkt findet:

„Dort in den Nachen wirft mit kalter Hand
Sein letztes Gold das herbstlich gelbe Land,
Und meine Seele schaut in süßer Ruh’
Der Perlen Träufeln von den Rudern zu,
Wie sie von Ringen hin zu Ringen tönen,
Ein fliegendes Symbol der Ewigkeit,
Und endlich sich, von jeder Form befreit,
Gestaltlos mit dem Element versöhnen.“

Versetze sich der Leser im Geist mit uns in die damalige Zeit zurück. Er braucht nicht in der Hauptstadt der Phäaken, welche im Anfange der vierziger Jahre Wien war, gelebt zu haben. Der Schnepper des Heine’schen Witzes, das Tuthorn des „politischen Nachtwächters“ (Dingelstedt) war so ziemlich Alles, was die Poesie auf dem Gebiete der politischen Tendenzlyrik geleistet hatte. Deutschland philosophirte in dem stehend gewordenen Sumpfe des Ultraconservatismus. Die Philosophen, welche auf Erden Nichts ausrichten konnten, banden mit dem Himmel an. David Strauß im „Leben Jesu“ wurde überflügelt von den „deutschen Jahrbüchern“ von Ruge und Echtermeyer. Ludwig Feuerbach, Bruno Bauer und Andere repräsentirten sich als diejenigen, welche Hegel besser „verstanden“ haben wollten, als dieser sich selbst verstanden haben konnte. Die „Jung-Hegelianer“, – so nannte man sie – suchten „dem Himmel den Blitz zu entreißen“. Nach dieser abstracten Prämisse sollte ja die Consequenz:

„den Tyrannen das Scepter“

der Menschheit wie die gebratene Taube von selbst in den Mund fliegen, und wir waren Alle sehr böse, als der frivole Heine diesen ungläubigen Glauben als ein „jung-hegelsches Strohdreschen“ bespöttelte.

Daß in einer solchen Zeit, wo auf der einen Seite der deutsche Genius die Erde per Schnellpost floh, um den lieben Engelein, welche auf kalten, feuchten Wolken sitzen und „Hallelujah“ singen, das Leben sauer zu machen, und wo auf der andern Seite neben dem bureaukratischen Zopfthume ein in Flanell eingewickelter Liberalismus glänzte, welcher heimlich nach dem Champagner der Revolution lechzte und öffentlich das Messer der „Gesetzlichkeit“ im Munde führte – ich sage, daß in einer solchen Zeit die Phrase der politischen Lyrik, keck auftretend, Sensation erregen mußte, war natürlich. Da sie aber in Herwegh in vollendeter Schönheitsform auftrat, so wurde die Phrase zur Sirene und selbst der hochbegabte Friedrich Wilhelm der Vierte war nicht in dem Grade ein Ulysses, um sich die Anerkennung des gefährlichen Sirenengesanges versagen zu können.

„Ich wünsche Ihnen von Herzen einen Tag von Damaskus, und Sie werden Großes leisten,“ sagte der König von Preußen persönlich zum Dichter Herwegh, einem Dichter, welcher von sich selber gesungen hatte:

„Ich bin kein froher, freud’ger Buhle,
Dess’ Wappen Rose und Pokal:
Ich sitz’ als Geist auf Banquo’s Stuhle
Bei jedem frechen Königsmahl.“

Wie es Erscheinungen in der Natur giebt, die wir fürchten und hassen, die wir aber anzustaunen und zu bewundern gezwungen sind, wie den Ausbruch eines Vulcans, den Orkan des Oceans, den Donner der Schlachten etc., so kann auch die Sprache der Dichtkunst durch die Schönheit der Form und die wenn auch negative Macht der Gedanken magnetisch auf den Geist der Menschen wirken. – Ulysses! Ulysses! die Sirenen singen! Stopfe dir selber Wachs in die Ohren; denn leihst du ein Ohr ihrem Gesange, so öffnen wir beide Ohren!

Das königliche Wort, obgleich es nach „Damaskus“ deutete, vollendete die Triumphe, welche Herwegh im Anfange der vierziger Jahre in ganz Deutschland feierte. Ein Band Gedichte eines

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_319.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2019)