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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Reinwald’s Gattin. Die Trauung fand am 22. Juli 1786 in der Dorfkirche zu Gerlingen bei Stuttgart statt.

Diese Ehe war, namentlich in den letzten zwölf Jahren, eine durchaus glückliche, obwohl Christophine oft an den Eigenthümlichkeiten ihres Gatten schwer zu tragen hatte. Die sittliche Kraft ihres Charakters lehrte sie, das mancherlei Trübe und Schmerzliche ihrer kinderlosen Ehe unter beschränkten ökonomischen Verhältnissen und vielerlei Sorgen mit stets heiterer Geduld zu überwinden. „Wie wohl fühle ich mich in meinem kleinen Leben!“ schrieb sie in ihr Tagebuch. „Beseligt durch eine höhere Macht, die in’s tiefste Herz blickt, lerne ich in diesem bescheidenen Loose ein hohes Glück finden.“ Dieser Ausspruch ehrt die edle Frau; denn sie war trotz des ehrenwerthen Charakters ihres Gatten in dieser Ehe nicht auf Rosen gebettet. Reinwald, einer der tüchtigsten Gelehrten seiner Zeit, namentlich als Sprachforscher von Bedeutung, lebte fast nur seinen Büchern und seiner Gelehrsamkeit und verhielt sich gegen die Welt und ihre Freuden meistens ablehnend. So darf es uns nicht wundern, wenn Christophine in heimlichen Briefen an Schiller oft ihr Herz über diese Eigenthümlichkeiten ihres Gatten ausschüttete; namentlich klagte sie häufig darüber, daß Reinwald sie allzu knapp mit Geld versehe, weshalb denn der Bruder ihr oft durch Einsendung kleiner Zuschüsse aus der Verlegenheit half. In einem Nekrologe über Christophine von Hofprediger Dr. Ackermann („Meininger Volksblatt“, 1847, Nr. 40) heißt es unter Anderem, daß Reinwald von dem, was zur Haushaltung und angenehmen Lebensführung gehört, kaum etwas verstanden habe, wie er auch zur Erheiterung und Beglückung seiner jungen Frau sehr wenig geeignet gewesen sei. Geselligen Verkehr habe er nicht geliebt und selbst Frauen vom Umgange mit seiner Gattin fern gehalten, nicht etwa aus Mangel an Liebe für Christophinen, oder weil er ihr keine Freude gegönnt hätte – denn er ehrte und liebte sie sehr – sondern weil er glaubte, einen Gelehrten und Dichter zum Manne zu haben, das reiche schon hin, eine Frau zu beglücken. Er war übrigens, nach dem einstimmigen Urtheile seiner Zeitgenossen, ein überaus achtbarer und sittlich hochstehender Mensch, was auch aus vielen seiner im Schiller’schen „Musenalmanach“ und anderen Blättern veröffentlichten Gedichte hervorleuchtet. Schiller selbst schätzte seinen Schwager sehr und hat ihm bis an sein Ende seine Freundschaft bewahrt. Als Reinwald am 6. August 1815 im achtundsiebenzigsten Lebensjahre starb, betrauerte Christophine ihn tief und innig. Neunundzwanzig Jahre hindurch war er in Liebe und Treue ihr Lebensgefährte gewesen.

Nach dem Tode ihres Mannes verließ Christophine Meiningen und lebte einige Jahre in Schwaben bei ihren Verwandten, namentlich in Marbach, wo sie eine schwere Krankheit durchzumachen hatte. Bereits zu Lebzeiten Reinwald’s hatte sie ihre Heimath mehrmals besucht, wenn wir nicht irren zwei Mal: zuerst mit ihrem Gatten 1789, dann ohne ihn 1796, wo traurige Zustände sie nach der Solitüde riefen. Die Revolutionskriege hatten das württembergische Land mit französischen Marodeurs überschwemmt, und auch die Schiller’sche Familie war mehreren Brandschatzungen ausgesetzt. Dazu kam, daß auf der Solitüde ein gefährliches Fieber ausgebrochen war, dem das jüngste Kind, die neunzehnjährige, liebreizende Nanette, schon am 23. März erlegen war. Als Christophine im April zur Pflege der Kranken im Elternhause eintraf – der Bruder trug die Kosten ihrer Reise – fand sie ihre Schwester Louise (später verheiratet an den Pfarrer Franke – siehe „Gartenlaube“, 1874, Nr. 50 – gestorben 1836 zu Mockmühl) in Lebensgefahr, während der Vater gleichzeitig an der Gicht erkrankt war. Sie sah damals die geliebte Schwester genesen, aber den theuren Vater am 7. September für immer die Augen schließen. Welche Erinnerungen, nicht nur die schmerzlichen an jenes trauererfüllte Jahr, sondern auch die freudigen an ihre poesiedurchwebte Jugend, mußten nicht das Herz Christophinens erfüllen, da sie nun, nach dem Tode ihres Gatten, wieder an den Stätten ihrer Kindheit weilte! Freilich wird in diesen Erinnerungen mehr des Wehs als der Wonne gewesen sein. Ueber wie viele Gräber schwebten ihre Gedanken hin: das Grab des Vaters und der geliebten Schwester Nanette hatte sie in nächster Nähe; in Cleversulzbach ruhte ihre geliebte Mutter, im Cassengewölbe zu Weimar ihr großer Bruder und auf dem Friedhofe zu Meiningen ihr braver Gatte.

Wer so viel des Leids erfahren, zieht sich gern in sich selbst zurück; er meidet den zweifelhaften Wechsel des Lebens und schließt sich mit Vorliebe an das Altgewohnte an. So fühlte denn auch Christophine sich wieder hingezogen zu dem alten stillen Meiningen, wo sie ihres Lebens größten Theil verlebt hatte. Im jahre 1822 kehrte sie in die traute Stadt an der Werra mit einer Freundin, die in Stuttgart ihr Gast gewesen war, zurück und bezog später bei dieser Freundin eine Wohnung, in welcher sie, von einigen kleinen Reisen abgesehen, bis an ihr Ende ein stilles zurückgezogenes Leben geführt hat, ein Leben, welches der Erinnerung der Vergangenheit, aber auch dem ruhig heiteren Genuß der Gegenwart gewidmet war.

Es war eine wahrhafte Idylle des Alters, welche diese herrliche Frau in ihrem kleinen Weltwinkel verlebte. Die Rüstigkeit der Jugend war ihr geblieben, und die „süße Gewohnheit“ des täglichen Lebens erhielt sie gesund und frisch. Von Zeugen der damaligen Zeit wird berichtet, daß man die „Frau Hofräthin“ regelmäßig schon früh am Morgen im saubersten Anzuge am Fenster ihrer im Erdgeschoß gelegenen Stube sitzen und die Vorübergehenden freundlich grüßen sah. Aller ökonomischen Sorgen durch die liebevolle Fürsorge des Herzogs von Sachsen-Meiningen überhoben, munter und kräftig und regen Geistes bis wenige Stunden vor ihrem Ende, umgeben von liebevollen Freunden und Pflegern, freute sie sich trotz ihrer Jahre noch von Herzen des Lebens und war doch jeden Augenblick bereit, von ihm Abschied zu nehmen. „Mein Todestag ist mir lieber als mein Geburtstag,“ pflegte sie oft zu sagen und genoß doch mit heiterem Sinne jede Minute, die ihr das Schicksal noch gewährte; sie fühlte ihre Jahre nicht. Thätigkeit war noch bis zuletzt ihre liebste Freundin. Mechanische Arbeiten wechselten bei ihr mit künstlerischen und geistigen ab: sie fegte täglich selbst ihre Stube aus, machte eigenhändig ihr Bett, sorgte ohne fremde Beihülfe für ihre Garderobe und zeichnete und malte dazwischen Blumen- und Fruchtstücke nach der Natur oder machte sich Auszüge aus interessanten und lehrreichen Büchern. Dabei war ihre Lebensweise eine überaus einfache. „Alles Ueberflüssige, Ueppige, Verweichlichende, Luxuriöse,“ heißt es in dem oben erwähnten Nekrologe, „mochte sie nicht und hielt es fern von sich; ihren Begriffen nach war Vieles überflüssig und verwöhnend, was Andern für ganz unentbehrlich galt. – In größere Gesellschaften ging sie nicht: bei Zweien und Dreien, und wo Alles einen ungezwungenen, ungekünstelten, herzlichen Ton und Zuschnitt hatte, fühlte sie sich am wohlsten. Dem Volke und allen den Lebenskreisen, in denen Sitteneinfalt, Natürlichkeit, Unverschrobenheit und Aufrichtigkeit herrschten, war sie von ganzer Seele zugethan. – Es ist außerordentlich, wie viel Gutes die Verewigte im Stillen gethan hat; bei allen Gelegenheiten, wo es einen edlen und schönen Zweck zu fördern galt, war sie unter den willigen und fröhlichen Gebern stets voran. – Sie hatte sich redlich erworben, was sie in ihrem Tagebuch als das Beste bezeichnete, das sich der Mensch in diesem Leben erwerben könne, nämlich ein ruhiges Zurückschauen auf die Vergangenheit.“

Wie über ihrem ganzen Leben, so schwebte auch über Christophinens letzten Jahren verklärend und erhebend das Andenken an ihren großen Bruder. Aber ihrem bescheidenen, stillen Sinne lag nichts ferner, als in Schiller’s Ruhmesglanze sich selbst zu sonnen und mit seiner Größe zu prunken. Aus eigenem Antriebe sprach sie nur selten von ihm; wenn aber die Rede auf ihn kam, dann leuchteten ihre Augen in jugendlichem Feuer und die Freude über den Herrlichen röthete ihre Wangen.

Ihr Ende war ein sanftes und schnelles. Am Nachmittage des 30. August 1847 erfreute sie sich noch im Theatergebäude an einem dort ausgestellten neuen Bilde. Als sie sich am Abend unwohl fühlte, begab sie sich frühe zu Bett und gestattete, daß eine Wärterin die Nacht über neben ihrer Schlafkammer wache. Ruhig vergingen diese letzten Stunden im Leben der edlen Frau; nur daß sie einige Male über Bangigkeit klagte und das Vaterunser betete. Gegen Morgen fand man sie todt im Bette. Ein Schlagfluß hatte ihrem Leben wenige Tage vor ihrem neunzigsten Geburtstage ein Ende gemacht. Im Tode soll sie ihrem Bruder sehr ähnlich gesehen haben. Daß dies aber im Leben kaum der Fall gewesen sein kann, dafür dürfte das diesen Zeilen beigegebene Portrait Christophinens sprechen, dessen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_331.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)