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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Alles zeigte einzig und allein sein Streben, zu gefallen. Sein größter Stolz war sein kleiner Mund, und wenn er je die Augen niederschlug, so geschah es ganz gewiß nur, um in der Tiefe seines Herzens die allerdings gleichfalls auffallende Kleinheit seiner Füße zu bewundern. Sein Appartamento, seine Wohnung, war fürstlich. Seine Gewohnheiten waren die eines hohen Herrn. Im Vatican hatte man ihm seines ganzen weibischen Wesens halber einen Spitznamen beigelegt, dort, in der Umgebung des Papstes, hieß er allgemein nach der bekannten Heiligen Santa – aber ich will nicht indiscret sein, und es genügt mir, mit diesen Andeutungen zu constatiren, wie wenig noch in der allgemeinen Christenverfolgung der Gegenwart den Herren beim päpstlichen Stuhle der Humor ausgegangen ist und wie sehr sie ihn sogar an sich selbst und ihren Heiligen zu üben vermögen. Wie erfreulich ist das doch!

Diesem Herrn nun begegnete ich bei der Palmenweihe jüngst in Sanct Peter wieder, und ich muß gestehen, daß es mein hohes Interesse erregte, ihn im unmittelbaren Dienste der Kirche zu sehen. Bei der Procession, die der Palmenvertheilung folgt, und bei welcher früher der Papst mit der Mitra auf dem Haupte und der Palme in der Linken durch die Kirche getragen wurde, mußte er unmittelbar an mir vorüber gehen. Seine Haltung war musterhaft. Sein Haar zwar duftete wie immer; seine Füße streckten sich selbst unter dem Priestergewande coquett hervor wie immer; seine Verbeugungen vor dem Altare zeigten auch hier eine gewisse weltmännische Eleganz, und wenn er seine Kappe abnahm, mußte man die Geschicklichkeit bewundern, mit welcher ihm der Pariser Friseur die untadelhafte Perrücke mit einer ebenso untadelhaften Tonsur auszustatten gewußt hatte – aber er hielt den Kopf sanft zur Seite gebeugt, die Hände auf der Brust gefaltet, und die kleinen Augen waren wie voll Inbrunst nach oben gerichtet. Ich hätte meinen Monsignore von neulich kaum wiedererkannt, der heute so ganz alles irdischen Wesens entkleidet schien. Trotzdem war’s mir, als ob auf seinem sonst so sorgenglatten, freundlich heiteren Antlitze eine leichte Wolke des Unmuths lagere. Ich machte meinen Freund darauf aufmerksam. „Wissen Sie nicht, daß Monsignore krank ist?“ fragte dieser entgegen. „Das erste Wort, das ich davon höre. Was fehlt ihm?“ „Er hoffte bestimmt, bei der letzten Creirung der Cardinäle mit dem Purpur geschmückt zu werden. Der Cardinalswagen war schon bereit. Aber der gute Monsignore ist zu seinem unsäglichen Verdrusse durchgefallen, nicht zum ersten Male, und leidet seit der Zeit wieder – am zurückgetretenen Scharlach.“

Die Frage, warum eigentlich der Papst sich in seinem Vatican so eingesponnen habe, liegt nahe genug und wird denn auch oft genug aufgeworfen. Denn Niemand hindert doch den Papst, in Sanct Peter die Messe zu lesen; Niemand hindert ihn, über das Volk den Segen zu sprechen, und noch weniger denkt Jemand daran, dem alten Manne bei seinen Spazierfahrten etwas in den Weg zu legen. Die Antwort darauf, die man in Rom fast durchgängig erhält, ist die, daß er von der Jesuitenpartei völlig willenlos gemacht worden und dieser zum Werkzeuge auch nach dieser Seite hin dienen müsse, theils um außerhalb Roms den Anschein wirklicher Gefangenschaft zu erregen, theils um innerhalb Roms stete Unzufriedenheit wachzuhalten über den Wegfall aller jener hohen kirchlichen Feste, deren pompöses Schauspiel bisher das Entzücken jedes echten Römers und noch mehr jeder echten Römerin gewesen war.

Ueber die Sittlichkeit oder Unsittlichkeit eines solchen Motivs will ich hier nicht streiten, aber andererseits drängt sich Einem doch ganz unwillkürlich die Frage auf, was wohl von einem Hohenpriesteramt zu halten sei, dessen Träger auf alle Werke, auf jede Thätigkeit des Friedens, des Segens, der Versöhnung schlecht gelaunt verzichtet und der seinen einzigen Priesterberuf darin sieht, von sicherer, unnahbarer Wohnung aus zu schelten und zu toben, zu verdammen und zu verfluchen und die Völker lediglich zum Unfrieden gegen einander und zur Unbotmäßigkeit gegen ihre Obrigkeit aufzustacheln? Dieser Wirkungskreis ist offenbar nicht vom Guten, und wenn der Papst, wie man in Rom, wie man in der Peterskirche täglich sieht, auf den anderen, den besseren Wirkungskreis frei- und böswillig verzichtet, warum und wozu ist der Papst dann überhaupt noch da?

Trotz der großen Beharrlichkeit indessen, mit welcher Pio Nono sich im Vatican eingeschlossen hält, ist die Schande, „in Rom gewesen zu sein und den Papst nicht gesehen zu haben“, für Jeden, der nur will, noch immer leicht genug zu vermeiden. Zu den großen Massenaudienzen, in denen der Papst Jedem, der ein Verlangen danach hat, seinen apostolischen Segen ertheilt, ist ohne Schwierigkeit zu gelangen, und ein schwarzes Kleid, ein schwarzer Schleier machen wie Frack und weiße Binde nach geschehener Anmeldung sofort audienzfähig. Da dies die einzige Gelegenheit ist, den Stellvertreter Gottes auf Erden leibhaftig vor Augen zu sehen, so wird dieselbe von Gläubigen und Ungläubigen jeder Art und aller Nationen reichlichst ausgebeutet, und die katholischen Blätter lassen es sich auch nicht entgehen, diesen Andrang der Schaaren für ihre Zwecke zu benutzen.

Es ist doch etwas recht Erbärmliches um die Neugierde, wenn sie, wie hier, bis zum Kniefalle führt und zur demüthigenden Beugung des Hauptes unter einem Segen, den man innerlich verspottet. Würden die Männer in der Umgebung des Papstes, die auch hier ihren rücksichtslosen Einfluß auf ihn geltend machen – denn Pio Nono persönlich soll an diesen Massenaudienzen, zu denen er förmlich geschleppt wird und bei denen er denn auch seine verdrießliche Stimmung oft durchaus nicht verhehlt, am allerwenigsten Gefallen finden – die Spott- und Lästerreden über den Papst hören, die unter dem schallenden Gelächter der Zuhörer an den Wirthstafeln Roms gerade am meisten von denen zum Besten gegeben werden, die Vormittags sich im Vatican den apostolischen Segen geholt haben, so würden sie die Person des Papstes vermuthlich mit größerer Vorsicht und mit mehr Würde zur Schaustellung bringen. Freilich, das Eine gebe ich ohne Weiteres zu: die eigentliche Charakterlosigkeit liegt auf Seite der neugierigen, heuchlerischen Spötter. Daß Pio Nono bei solchen Audienzen sich auffallend gern und freundlich mit jungen schönen Mädchen unterhält, sei hier nur nebenbei bemerkt, und ist dem alten Herrn, der an seinem gegenwärtigen Leben wenig Freude findet, wahrhaftig zu gönnen.

Wie sehr sich übrigens die Römer selbst über die eingebildete Gefangenschaft des heiligen Vaters lustig machen, beweist eine Carricatur, die neulich in allen Schaufenstern hing und die den Titel führt: „Ein Tag in der Gefangenschaft“. Schlafend, essend, trinkend, Audienzen ertheilend, spazieren gehend und wieder essend und wieder schlafend wird uns der heilige Vater, stets von der bekannten Lieblingskatze begleitet, in sechs heiteren Bildern mit entsprechendem Texte vorgeführt, und Jedermann, der von den Loggien Rafael’s aus die unvergleichliche Lage des Vaticans mit seiner entzückenden Fernsicht über ganz Rom und über die im blauen Dufte verschwimmende Campagna bis zu den Sabiner- und Albaner-Bergen schon bewundert hat, wird dieses „Gefängniß“, das mit seinen kostbaren Galerien, mit seinen in der Welt einzig dastehenden Museen, mit seinen marmorstrahlenden Palästen, Prachtsälen, Gemächern, Zimmern und Capellen, deren Zahl insgesammt auf etwa elftausend angegeben wird, mit seinen zwanzig geräumigen Höfen, mit seinen ausgedehnten Gärten und Parkanlagen eine ganze Stadt für sich bildet, immerhin anständig und erträglich gefunden haben.

Die Carricatur, von der ich eben gesprochen habe, hat viel Beifall gefunden und wurde in wenigen Tagen verkauft, wie der Römer und der Italiener überhaupt auch sonst viel Sinn und Geschmack für Carricaturen und Witzblätter hat. Nicht allein die römischen, sondern auch die aus Turin, aus Bologna und anderen italienischen Städten werden in Rom schwunghaft vertrieben und lassen kein bedeutendes Ereigniß des Tages vorübergehen, ohne es in den Bereich ihrer schonungslosen Satire zu ziehen. Die Richtung dieser Blätter ist eine durchaus liberale und das Herz des Deutschen mag namentlich darin ein besonderes Vergnügen finden, zu sehen, mit welcher bewundernden Aufmerksamkeit der Kampf des deutschen Reiches gegen das Papstthum verfolgt und in seiner Weise hier illustrirt wird. Bismarck spielt natürlich dabei die Hauptrolle, und es ist eine wahre Freude zu sehen, wie er in fast jeder Nummer eines jeden Blattes gefeiert und verherrlicht wird. „Il grande Bismarck“, „der große Bismarck“, kann man in Rom hundertfach lesen, und wie er dann einmal als Gefängnißwärter der Bischöfe mit Peitsche und Schlüsselbund, das andere Mal als Figaro, der die Bischöfe und Erzbischöfe über den Löffel barbirt, dann wieder als Dirigent des europäischen Völkerconcerts etc. dargestellt und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_351.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)