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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


General ist kein Major, das weiß man ungefähr. Ich muß nur der Gnädigen meine Meinung über den Punkt einmal deutsch sagen.“

Der ehrliche Christian merkte im Eifer seiner Rede nicht, daß sich die Außenthür des Vorsaals leise ein wenig öffnete und durch den Spalt das spitze Gesicht seines Collegen Johann vorsichtig in das Zimmer hereinspähte.

„Ja, ja, das gemeine Volk da unten meint Wunder, wie gescheidt unsere vornehmen Herrschaften sind,“ fuhr Christian fort. „Ja, prosit Gescheidtheit! Würde der Max Theodor für heute Nachmittag noch einen Ritt nach dem Hirschsprunge befohlen haben, wenn er gescheidter Weise an die nassen Stiefeln gedacht hätte? Ich wollte, der Graf müßte dafür alle Reitstiefeln am ganzen Hofe ganz blitzblank wichsen. Ja, das wollt’ ich.“

„Da haben Sie ganz Recht, Herr Blümchen.“

Christian fuhr auf diese unerwartete Anrede sichtlich erschrocken herum und stand nun Johann gegenüber, wie die Bulldogge dem Fuchse.

„Was will man hier? Was schleicht man hier herum?“ schnauzte er den überhöflichen Collegen ingrimmig an.

„Mein Gott, warum schon wieder so hitzig, Herr Blümchen?“ bat Johann geschmeidig. „Ich komme ja in der unschuldigsten Absicht von der Welt.“

„Seine Unschuld kennt man. Was will Er?“

„Nun, nun, nur ein wenig plaudern, liebster Freund.“

„Wüßte nicht, wann ich Sein Freund gewesen wäre. Was beguckt man die Stiefeln so? he?“

„Ein hübsches, feines Paar Stiefeln da. Ich meine die in der Mitte mit dem einen schief getretenen Sporne,“ fuhr Johann unerschrocken fort, „die können nur dem gnädigen Junker gehören. Nicht wahr, Herr Blümchen?“

Christian aber traute dem allzu geschmeidigen Cameraden niemals, selbst wenn es sich nur um ein Paar Stiefeln handelte.

„Das sind meine Stiefeln,“ sagte er darum.

„Was? Ih – re Stiefeln, wirklich die Stiefeln des Herrn Blümchen?“ wiederholte Johann verwundert. „Allen Respect vor Ihnen, aber man sollte gar nicht meinen, daß Ihre Füße da hinein passen könnten.“

„Mit den Holzpantoffeln freilich nicht,“ entgegnete Christian kurz und spöttisch.

„Hm, Ihr Wort in Ehren, Herr Blümchen,“ fuhr Johann fort. „Aber gerade heute habe ich den zierlichen Fuß des gnädigen Junkers zu bewundern Gelegenheit gehabt, und so meinte ich, die Stiefeln könnten etwa ihm passen. Ihrem Junker ist übrigens heute eine ganz ungewöhnliche Ehre widerfahren.“

„Gewiß nicht mehr, als er verdient.“

„Gewiß nicht. Aber denken Sie nur, eine halbe Stunde und zehn Minuten ist er bei unserer erlauchten Comtesse gewesen.“

„Aha, aha,“ knurrte Christian. „Und da möchte nun ein gewisser Jemand gerne wissen –“

„Was die Herrschaften verhandelt haben mögen. Allerdings wünschte ich das. Natürlich – nur ganz unschuldige Neugier.“

„Ja, ganz natürlich. So dachte nun der Herr Johann vielleicht, er könne von mir etwas erfahren?“

„Allerdings, mein bester Herr Blümchen. Vor Ihnen hat der gnädige Junker kein Geheimniß, wie alle Welt weiß.“

„Hat der Herr Johann auch gedacht, daß Er mich beim Stiefelputzen treffen und daß ich auch Ihn bei der Gelegenheit so ein bissel wichsen könnte, nur damit er weiß, wie das Angeschwärztwerden thut? Marsch, marsch, sag’ ich. Hinaus mit Ihm, Er Horcher, Er Schleicher, Er Spion!“

Christian trat dem schweigsamen Johann bei diesen Worten so grimmig drohend mit der Wichsbürste entgegen, daß jener sich zu einem eiligen Rückzuge entschloß und schleunigst durch die offen gebliebene Thür entwich.

„Leben Sie recht schön adieu, verehrtester Herr College!“ rief ihm Christian nach. „Den Schleicher wären wir los. Ja, kommen Sie nur wieder einmal zum Christian, um zu plaudern, mein allerliebster Herr Johann! Mich ärgert’s jetzt nur, daß ich immer noch zu höflich gegen ihn gewesen bin.“

Der Alte hörte in seinem Grimme nicht, daß sich während seines Selbstgesprächs die eine auf den Vorsaal führende Thür öffnete und aus ihr der Junker Kurt dicht hinter ihn trat. Er fuhr deshalb erschrocken herum, als sich Kurt’s Hand plötzlich auf seine Schulter legte.

„Nun, was sind das schon wieder für Narrheiten?“ wollte Christian rufen, als er noch zu rechter Zeit in die offenen Züge seines Lieblings blickte. Rasch wich jetzt aller Grimm aus seinem finsteren Gesichte, und statt dessen begann es sich wie heller, warmer Sonnenschein über die verwitterten Züge zu breiten.

„Ach, Sie sind es, Kurtchen,“ sagte er mit dem weichsten Tone seiner ehernen Stimme. „Und ich glaubte schon, es wäre – – –“

„Hast Du Dein Wort gehalten, Du alter, närrischer, grimmiger Christian?“ unterbrach ihn der Jagdjunker. „Hast Du hübsch aufgepaßt?“

Der Alte nickte verständnißvoll.

„Ich habe sie – Sie wissen ja schon, wen ich meine – vor einer Viertelstunde aus dem Hause der Tante nach dem Garten gehen sehen. Lassen Sie das Schätzchen ja nicht lange warten! Frauenzimmer haben keine Geduld, Kurtchen. Natürlich, denn sie haben nicht so viel Verstand wie Unsereiner.“

„Natürlich,“ stimmte der Jagdjunker lachend zu.

„Wie Sie nur so lachen mögen, Junker!“ schalt der Alte. „Mir macht Ihre Lage meiner Seel’ mehr Sorge, als Ihnen selbst. Was soll werden, wenn sich die Hindernisse nun einmal nicht beseitigen lassen?“

„Sie müssen aber beseitigt werden,“ erklärte der Junker fest.

„Sie haben gut reden. Wir haben die gnädige Mama, den Präsidenten, seinen sauberen Johann und auch wohl den Grafen gegen uns. Dagegen sind wir unser Zwei.“

„Du vergißt die Comtesse, die mir ihre Hülfe zugesagt hat.“

„Lernen Sie nur erst vornehme Herrschaften kennen!“ erklärte Christian. „Die Erlaucht wird sich um Ihretwillen die feinen Händchen nicht verbrennen. Was dann?“

„Glaubst Du, es würde mir allzuschwer werden, mich in einen einfach bürgerlichen Kurt Holderbusch zu verwandeln und mein Brod durch meine Arbeit zu verdienen? Wenn der Adel mein Glück hindert, so werfe ich ihn eben weg.“

„Sie wollten den Hofdienst aufgeben und bürgerlich werden? Denken Sie auch an Ihre Mutter?“

„Sie thut mir leid, aber ich kann ihr, wenn sie nicht nachgiebt, den Verdruß nicht ersparen. Vorurtheilen opfere ich mein Glück nicht. Leb’ wohl, Christian!“

„Na, viel Glück auf den Weg, Kurtchen! Seien Sie nur bei der Comtesse hübsch vorsichtig, denn mit hohen Herrschaften, auch wenn sie noch so gnädig sind, ist nicht gut Kirschenessen. Den Frauensleuten traue ich vollends nicht – man weiß nie recht, wie man mit ihnen daran ist. Und halt, noch Eins! Gehen Sie nicht auf der Haupttreppe hinunter! Der Johann vom Präsidenten war eben hier, um zu spioniren, und ich traue dem Schleicher nicht einmal so weit, wie ich ihn sehe. Verstanden?“

„Werde mich bestens danach richten. Ich weiß wohl, daß Du nicht blos treu und muthig bist, sondern daß Dir der Himmel auch ein gut Theil Schlauheit zugemessen hat. Leb’ wohl!“

Mit einem dankbaren Händedrucke verabschiedete sich der Junker von dem Alten, der ihn einst auf seinen Armen und Knieen gewiegt und geschaukelt hatte und der nun mit dem Ausdrucke einer fast mütterlichen Zärtlichkeit seinem Lieblinge nachblickte.

Aber nur zu bald sollte der Alte aus seiner friedlichen Stimmung herausgerissen werden.

„Chrrristian, he, Chrrristian!“ rief aus der Stube des Oberlandjägermeisters eine schnarrende Bierbaßstimme.

„Aha, der Herr Oberlandjägermeister,“ brummte Blümchen, that aber sonst gar nicht, als ob ihn der Ruf irgendwie anginge, sondern widmete sich wieder mit zornigem Eifer seinen Stiefeln.

„Muß nurrr selbst sehen, wo derrr Kerrl steckt,“ schnarrte es von Neuem im Nebenzimmer. Dann kam ein schlurrender Schritt näher und näher, und endlich öffnete sich die Thür.

„Himmel mohrrren krrreuz – –“ fluchte der gräfliche Oberlandjägermeister, dessen beleibte Figur fast die ganze Thüröffnung ausfüllte. „Meinerrr Seel, da steht derrr Kerrrl und antwortet nicht einmal. Ist Errr taub geworden, Chrrristian, oder was ist es?“

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