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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Der Präsident hob den Kopf. „Hoffte Er auch von dieser Unterredung etwas zu erlauschen?“

„Ich bitte tausendmal um Vergebung, gnädigster Herr, aber das Horchen geht dort nicht wohl an, weil die Kammerfrau Weiß und das neue Zöfchen der Erlaucht Unsereinen nicht so nahe heranlassen.“

„Er müßte mit dem Zöfchen ein wenig zu charmiren suchen.“

„Das habe ich auch versucht, untertänigst aufzuwarten, aber sie traut mir nicht.“

„Das kann ich der Kleinen nicht verdenken,“ lachte der Präsident in seiner rauhen Weise. „Ich thue es wahrhaftig auch nicht. Was hat Er also erfahren?“

„Daß der Jagdjunker eine halbe Stunde und zehn Minuten bei der erlauchten Comtesse gewesen ist.“

„Das ist im Grunde verzweifelt wenig,“ erklärte der Präsident geringschätzig. „Wenn Er noch weitere Lappalien dieses Schlages zu berichten hat, so fasse Er sich wenigstens kürzer!“

„Unterthänigst zu Befehl. Ich möchte darauf schwören, daß Mamsell Hartmann heute Nachmittag zur Comtesse in den Garten befohlen ist.“

Der Präsident trat einen Schritt vor. „Wie? Was? So weit wäre man drüben schon? Johann, wenn Er diesmal faselt und lügt!“

„Urtheilen auch hier der gnädigste Herr selbst! Unser Graf und Herr kommt heute wegen des Rittes nicht in den Garten. Der Boden muß dort unter den Bäumen noch feucht sein, und trotzdem ist das Kaffeegeschirr für drei Personen dort hinübergetragen worden. Da nun der Junker sofort nach der Audienz die Jungfer Hartmann aufgesucht hat, so –“

„Er hat Recht, ganz unzweifelhaft.“

„Ich habe auch hinter der Portierloge selbst mit angehört, wie Frau Weiß den alten schläfrigen Burschen zum Vertrauten dieses Geheimnisses machte. Nebenbei gesagt, sie sprachen dabei höchst despectirlich von meinem Herrn Präsidenten und der gräflichen Kammer.“

„Soll im Conto wohl vermerkt werden. Hat Er noch mehr zu berichten?“

„Ich bin zu Ende, gnädigster Herr.“

„Dann kann Er gehen. Da Er Seine Sache übrigens nicht ganz ungeschickt angefangen hat, so mag Er sich zur Belohnung oben auf der Bodenkammer einen von meinen alten Röcken aussuchen. Nun, was steht Er noch da?“

„Bitte unterthänigst um Verzeihung, aber wenn es dem Herrn Präsidenten gleich gälte, so wäre mir eine kleine Summe baaren Geldes weit lieber.“

„Er nimmt, was ich Ihm für Seine unbedeutenden Dienste biete, oder Er bekommt gar nichts. Marsch!“

Der Präsident schritt nach dem demüthigen Abgange seines Dieners noch einige Male schweigend im Zimmer auf und ab. Dann nahm er rasch entschlossen die über den jüngsten Wilddiebstahl eingegangenen Acten unter den Arm und verließ damit seine Wohnung, um nach dem Schlosse hinauf zu wandern.

Herr von Straff hatte schwerlich die leiseste Ahnung davon, welchen schlimmen Streich ihm inzwischen Johann, aus dessen dunklen Marderaugen heißer Rachedurst über getäuschte Hoffnungen sprühte, sofort nach seiner Entfernung aus dem Hause spielen würde. Er sah nicht, wie sein Diener in das Arbeitszimmer schlich und dort lange und aufmerksam den Papierkorb durchsuchte, bis er zuletzt auf dem tiefsten Grunde desselben ein halb durchrissenes, rosenfarbenes Papier fand. Er ahnte auch nicht, daß sein schlauer Diener diesen mit den Worten „Höchstverehrte Demoiselle Hartmann“ beginnenden Entwurf eines sehr zärtlichen Schreibens mit hämischem Lächeln überlas und dann das Papier wie zufällig in die auf einem Nebentische für das Fräulein bereit liegende Zeitungsmappe des Präsidenten gleiten ließ. Von alle dem ahnte der Herr Präsident nichts, sonst hätte er sich schwerlich mit dem Hauptmann von Felsewitz von den Gardegrenadieren, der ihn an der Hauptwache ehrfurchtsvoll begrüßte, in ein so leutseliges Gespräch eingelassen und dann mit selbstzufriedenem Lächeln seinen Weg nach den Gemächern des Grafen fortgesetzt.

Max Theodor hatte es sich an diesem heißen Nachmittage möglichst bequem gemacht. Sein graugrüner Jagdrock hing über der Lehne des mit einfachem Kattun überzogenen Sophas, und der Graf spazierte nun in Hemdärmeln und aus der langen Lieblingspfeife rauchend behaglich durch das Zimmer. Er änderte auch diese etwas leichte Toilette durchaus nicht, als ihm der Präsident gemeldet wurde, sondern ließ ihn eintreten.

„Nun, mein lieber Straff, was bringen Sie?“ redete der Graf den Präsidenten an. „Hoffentlich nichts Uebles.“

„Durchaus nicht, Erlaucht. Ich möchte nur unterthänigst um die Erlaubniß bitten, an dem heutigen Ritte nach dem Hirschsprunge nicht Theil nehmen zu dürfen.“

„Das thut mir leid, Herr Präsident,“ entgegnete der Graf gütig. „Sie wissen, daß ich Sie immer gern um mich sehe. Ich kenne und ehre Ihren Diensteifer, aber lassen sich denn heute Ihre Geschäfte durchaus nicht aufschieben?“

„Es handelt sich um den gefangenen frechen Wilddieb, Erlaucht,“ entgegnete der Präsident. „Ich bin der Meinung, daß man das Eisen schmieden muß, so lange es noch heiß ist.“

„Lieber Präsident, ich kenne Sie. Sie werden dem Burschen schon so warm gemacht haben, daß die Hitze am Ende noch bis morgen vorhält.“

„Halten zu Gnaden, Erlaucht, wenn ich hier anderer Meinung bin. Ueber Nacht könnte er sich leicht anders besinnen und die weiteren Geständnisse, die ihm schon auf der Zunge schwebten, besser zu bewahren suchen.“

„Nicht wahr, der Fall ist interessant, Herr von Straff?“

„Höchst interessant. Wenn Erlaucht einen Blick in diese Acten –“

„Brrr, Acten!“ wehrte der Graf ab. „Berichten Sie lieber mündlich!“

„Nun wohl, die tausendfältige List, mit welcher sich der Verbrecher bisher unseren Nachstellungen entzogen hat, könnte man fast bewundernswerth nennen.“

„Sie machen mich neugierig. Wann ungefähr glauben Sie das Verhör beenden zu können?“

„Spätestens bis sechs Uhr Abends.“

„So! Wissen Sie, am Ende – ja, am Ende gebe ich lieber den heutigen Ausflug auf, damit Sie mir sofort über den Fall berichten können. Ja, das wird das Beste sein. Wollen Sie also die Güte haben, den Ritt bei den Herren Cavalieren absagen zu lassen?“

„Zu Befehl, Erlaucht. Dieser Gegenbefehl wird ohnehin Manchem von den Herren recht erwünscht kommen, zum Beispiel unserm dicken Holderbusch.“

„O ja, wenn er nicht etwa schon eine neue kolossale Lüge ausgedacht hat, um uns damit zu tractiren. Ich glaube, er trägt die schwersten Unbequemlichkeiten leicht, wenn er nur eine seiner Münchhausiaden an den Mann bringen kann. Doch für uns ist die Leidenschaft des Dicken nicht maßgebend. Ihr Fall interessirt mich mehr. Sagen Sie einmal, wie wollen wir diesen Wilderer bestrafen?“

„Zehn Jahre Zuchthaus sind das Mindeste. Erlaucht.“

„Bah, drei Jahre genügen am Ende auch. Es ist eine lange Zeit, und das Leben im Zuchthause ist doch immer ein Stück Hölle.“

Der Präsident schwieg, wagte aber durch ein leises Kopfschütteln auszudrücken, daß er mit dieser Milde nicht einverstanden sei.

„Drei Jahre sind Ihnen nicht genug, wie ich sehe,“ fuhr der Graf fort. „Vielleicht mache ich Ihnen noch eine kleine Concession, denn ich gebe viel auf Ihr gerechtes Urtheil. Aber – aber, lieber Präsident, mir kommen jetzt doch öfter Zweifel, ob wir im Jagdwesen nicht überhaupt allzu streng sind.

„Ich glaube aus den Worten Eurer Erlaucht die allzu milde Stimme der erlauchten Comtesse herauszuhören.“

„Ja, ja, so ist es auch. Meine Schwester muß von unseren eigenen geheimen Ausflügen nach den Revieren des Domänenraths Kunde erhalten haben; denn sie hielt mir dieselben neulich vor. ‚Wie würde es Dir dünken,‘ sagte sie ‚wenn man Dich selbst bei einer solchen Wilderei erwischte? Wie maßlos unglücklich wärst Du, wenn man Dich nur einen Tag der Freiheit berauben dürfte! Jener Wilddieb aber verging sich aus Noth, und Du allein um einer frevlen Lust am Unerlaubten willen.‘“

Der Präsident schlug, wie in maßlosem Erstaunen, die Hände zusammen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_378.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)