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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


wurde von der Königin Victoria der Grundstein zu dem sich bekanntlich an der Westminsterbrücke und dem Ufer der Themse erhebenden neuen Gebäude gelegt. Von diesem Tage an begann der Baumeister sein Werk, und nur den fast übermenschlichen Anstrengungen desselben ist es zu danken, daß am 19. Juli 1871 der Verwaltungsrath in den Stand gesetzt war, das Hospital zu eröffnen, bei welcher Feierlichkeit wiederum die Königin anwesend war.

Die Totalsumme zur Herstellung des Hospitals, ausschließlich der Kosten für Grund und Boden, beläuft sich auf 524,940 Pfund und diese, mit Ausnahme von 100,000 Pfund, wurde von dem Capitale des Hospitals bezahlt. Letztgenannte Summe ward geborgt und wird in dreißig jährlichen Raten abgetragen. Die auf diese Weise verausgabte Summe, einschließlich der Zinsen auf 100,000 Pfund, stellt sich auf 7000 Pfund per Jahr. Dazu aber kommt jetzt wahrscheinlich noch eine weitere Summe von jährlich 3000 Pfund, da der Finanzminister das Hospital zur Erlegung von allen Staatsabgaben verurtheilt hat, welche sich in diesem Falle auf die angegebene Summe belaufen. Gegen dieses Gesetz hat der Verwaltungsrath natürlich appellirt – mit welchem Erfolge, wird sich demnächst zeigen. Die Einnahme des Thomas-Hospitals beläuft sich auf jährlich 40,000 Pfund; dasselbe besitzt viel Landeigenthum in London und erhält fortwährend mehr oder weniger große Schenkungen, sowie eine Anzahl jährlicher Subscriptionen. Die Einkünfte reichen aber kaum hin, um die Ausgaben zu bestreiten, die bei einer so großen Anstalt natürlich enorm sind. Eine Schenkung von fünfzig Guineen berechtigt den Geber, unter die „Governors“ aufgenommen zu werden, falls er erwählt wird; käuflich ist eine solche Ehrenstelle nicht.

Ich gehe nun zur inneren Einrichtung des Instituts über. Das Thomas-Hospital wird in neun abgesonderte Gebäude eingetheilt, von denen acht durch einen langen, schnurgeraden Corridor verbunden sind. Man bezeichnet diese Gebäude mit dem Namen „Block“. Der Block Nr. 1 ist hart an der Westminsterbrücke gelegen, und die breite Eingangstreppe führt uns in das Comptoir des Hospitals. Der Secretär, die Buchhalter und der Schatzmeister nehmen die Hälfte dieses Gebäudes gänzlich ein, und von hier aus wird der kaufmännische Theil der Anstalt geleitet. Ein großes Zimmer dient zu den Versammlungen des Verwaltungsrathes. Der Vordertheil dieses Blocks wird von einigen Buchhaltern sowie von dem Schatzmeister bewohnt. Im Souterrain befinden sich Wohnungen für drei Portiers. Das eigentliche Hospital fängt erst mit Block Nr. 2 an.

Das Thomas-Hospital in London.

Dieser, so wie die folgenden fünf Blocks werden in vier Stockwerke getheilt. Die einzelnen Blocks dienen außer der Aufnahme von Kranken einer Reihe von anderen Zwecken; so enthält Block Nr. 3 die Augenklinik, Block Nr. 4 die Wohnung der Oberaufseherin, Block Nr. 5 das Bureau des Oberaufsehers, die Hospitalcapelle und die Wohnungen der Hausärzte und Block Nr. 6 die Küche. Das alleinstehende Haus Nr. 9 umfaßt die Schule für junge Aerzte, das Museum, die Bibliothek etc. Das ist ein Ueberblick über die innere Eintheilung eines jeden Gebäudes dieses großen Hospitals, welches an sechshundert Kranke beherbergen kann. Die einzelnen Gebäude sind hundertfünfundzwanzig Fuß von einander entfernt, mit Ausnahme von Block Nr. 4 und Nr. 6, zwischen welchen der Raum um fünfundsiebenzig Fuß breiter ist, da sich hier die Kirche (Block Nr. 5) befindet.

Jedes Krankenzimmer enthält (oder ist wenigstens eingerichtet für) achtundzwanzig Betten, ist hundertzwanzig Fuß lang, achtundzwanzig Fuß breit und fünfzehn Fuß hoch. Jeder Kranke hat demnach einen Raum von achtzehnhundert Kubikfuß. Jeder Block besitzt außer den großen Räumen noch einige kleine Zimmer mit je zwei Betten für solche Kranke, die man von den übrigen zu trennen für rathsam hält. Auch diese Patienten haben einen Raum von je achtzehnhundert Kubikfuß. – Die Krankenzimmer selbst sind wahre Muster von Reinlichkeit und Ordnung. Das Bettzeug könnte nirgends sauberer gehalten werden, und die Kranken dürften wohl schwerlich irgendwo liebevollere und aufmerksamere Pflege erhalten, als gerade hier. Dieselben sind weiß gekleidet. Die Bettstellen sind aus Eisen gefertigt, da diese sowohl leichter zu reinigen wie auch besser und schneller zu bewegen sind, als hölzerne Bettstellen. –

Die Kranken werden im Thomas-Hospitale der Pflege von englischen sogenannten „Nurses“ anvertraut, und diese erfüllen ihre anstrengenden, schweren Pflichten in der liebevollsten Weise. Die Kleidung dieser Pflegerinnen besteht aus einem dunkelblauen Anzuge; als Kopfbedeckung tragen sie ein weißes Häubchen. Das Hospital besitzt fünfzehn „Schwestern“, vierundzwanzig Tag- und dreiundzwanzig Nachtnurses, acht Extranurses, zehn Zimmermädchen und sechszehn Scheuerfrauen. Außer diesen hat man noch die sogenannte „Nightingale Nurses,“ die seit etwa acht Jahren im Thomas-Hospitale zu tüchtigen Pflegerinnen herangebildet worden sind. Diese Mädchen bleiben zwölf Monate lang im Hospitale und werden dann als Krankenwärterinnen mit einem Zeugnisse entlassen, da man ein Jahr für genügend halt, um dieselben heranzubilden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_381.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)