Seite:Die Gartenlaube (1875) 396.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


eingegriffen, und Du hassest ihn wie alle Welt?“ fragte Anna, indem sie ihren Vater mit gespannten Blicken ansah.

„Du sollst Alles erfahren und selbst entscheiden, ob ich diesen Herrn von Straff mit Recht mißachte, denn für den Haß steht er mir zu tief,“ erklärte der Domänenrath ruhig. „Sieh, ich habe mir immer ein ehrliches und gerechtes Urtheil zu wahren gesucht. Wäre er uns sofort feindlich, aber offen entgegengetreten, so würde ich dies mit seiner Pflicht, mit der Pflicht des ersten Dieners des Grafen zu entschuldigen wissen, selbst wenn er mir zugleich sehr wehe gethan hätte. Aber das eben that er nicht. Er wußte sich zuerst allmählich durch allerlei kleine Winke und Dienste in das arglose Vertrauen Charlottens einzuschmeicheln, bis er den Zeitpunkt gekommen glaubte, um auch an mich heranzutreten. Dann traf er mich eines Tages wie zufällig in einem Forste. Unser Gespräch, das sich erst um allerlei fernliegende Dinge gedreht hatte, kam, ich wußte selbst nicht wie, endlich auf mich und meine Beziehungen zu Charlotten. Dabei ließ der Präsident deutlich genug durchblicken, daß es von meiner Willfährigkeit abhänge, mein Glück zu begründen. Es bedürfe dazu nichts weiter, als daß ich mein Schloßgut an den Grafen verkaufe.“

„Bist Du auf diesen Vorschlag damals nicht eingegangen?“ fragte Anna. „Oder wollte Dir der Präsident damit nur einen Fallstrick legen?“

„Das wollte er – und einen ganz infamen. Denn der eigentliche Kern seines mit cynischer Offenheit gemachten Vorschlages lief darauf hinaus, daß ich den Preis des Gutes weit über dessen Werth hinaus stellen solle. Der Graf bezahle in seiner Leidenschaft jede Summe für dieses Schloßgut und gebe wohl schließlich auch die Hand seiner Tochter in den Kauf, nur um seinen erlauchten Willen durchzusehen. Der Mehrbetrag aber sollte natürlich dem biederen Herrn Präsidenten zufließen. Sieh, Anna, hätte damals nicht Charlottens Bild vor meiner Seele geschwebt, wer weiß, was ich in meinem heißen Zorne dem Frechen angethan hätte. Aber der Gedanke an die Comtesse bändigte meinen Grimm, so daß ich dem Versucher in kalter Ruhe antworten konnte. Ich sagte ihm, daß mir die Hand Charlottens jedes ehrenhaften Preises werth sei, und daß ich deshalb dem Grafen dieses Gut sogar weit unter dem Werthe, aber immer nur unter Angabe des wahren Preises verkaufen wolle. Der Präsident sah mir darauf eine Weile starr in die Augen, als wolle er die Tiefe meines Herzens ergründen. Dann erklärte er, die Angelegenheit mit dem Grafen besprechen zu wollen, verneigte sich und ging.“

Der Domänenrath erhob sich und schritt einige Male schweigend auf der Terrasse auf und ab.

„Laß mich rascher zu Ende kommen!“ sagte er dann. „Diese Mittheilung regt mich noch jetzt mehr auf, als ich im Voraus dachte. – Genug, wenige Tage nach jener Besprechung überraschte uns hier der alte Graf. Von zwei oder drei Jägern begleitet, trat er aus dem Gebüsche und sein blutrothes Gesicht, in dem die Augen grimmig rollten, weissagte uns Schlimmes. Er faßte auch sofort Charlottens Hand und schleuderte sie hinter sich, so daß sie zu Boden fiel. Ja, als der jetzige Graf, damals ein Knabe, der die geliebte Schwester an jenem Tage wie öfters vorher begleitet hatte, seine kindlichen Arme weinend um die Kniee des brutalen Vaters schlang, da stieß er auch ihn mit roher Gewalt von sich und hob die schwere Peitsche, um, ja, um die Comtesse zu schlagen.“

„Mein Gott! – mein Gott!“ rief Anna aus.

„Du fühlst, das war zu viel, mein Kind. Mit raschem Griffe erfaßte ich den Arm des Wüthenden und preßte ihn mit so eiserner Gewalt, daß er die Peitsche fallen lassen mußte. Dem Grafen trat der Schaum auf die zornbebenden Lippen. ,Hund, Hund! Vergreifst Du Dich an uns?‘ stöhnte er. ,Was steht Ihr hier? Nieder mit ihm und lohnt dem Frechen, wie es ihm gebührt!‘ Jetzt sah ich die Jäger, von denen jeder mit einer Hetzpeitsche bewaffnet war, an mich herantreten. Sie nahten vorsichtig und zögernd, denn auch mein Blick mochte ihnen nichts besonders Gutes verkünden. Ich aber sprang rasch zurück und sah mich nach einer Waffe um. Glücklicher Weise hatte ich einige Tage früher, um Charlotte zu erfreuen, eine junge Linde gepflanzt. Den spitzen Pfahl, an den sie gebunden war, riß ich jetzt aus der Erde und schwang ihn zum Aeußersten entschlossen über dem Haupte.“

Anna klammerte sich, während ihr Vater einen Augenblick schwieg, angsterfüllt an seinen Arm und starrte so entsetzt nach dem nahen Gebüsche, als könnte eben jetzt der alte Graf mit seinen Jägern auf die Terrasse treten.

„Gott sei Dank, ich mußte die Waffe nicht brauchen,“ fuhr der Domänenrath etwas ruhiger fort. „Meine Feinde sahen, daß es sich hier um Leben und Tod handelte, und wichen, nachdem mir der Graf noch einmal zähneknirschend die geballte Faust entgegengestreckt hatte, in das Gebüsch zurück.“

„Und die Comtesse?“

„Charlotte und ihr Bruder gingen mit dem Grafen.“

„Ich meine, ob die Comtesse –“

„Mir treu blieb?“ ergänzte der Domänenrath die Frage seiner Tochter. „Im Herzen wohl, aber äußerlich war das Band, das uns vereinigt hatte, für immer zerschnitten. Das arme Mädchen vermochte ohne Stütze den Drohungen eines brutalen Vaters und den Nadelstichen, die ihr die stolze Mutter täglich versetzte, nicht auf die Dauer zu widerstehen. Du kannst noch jetzt auf dem Abschiedsbriefe, den sie mir einige Wochen nach jenem schrecklichen Vorgange insgeheim schrieb, die Spuren ihrer bitteren Thränen erkennen. Begreifst Du nun, warum ich darauf bestehen mußte, daß nie eine Axt diesen alten Baum berühren dürfe? Verstehst Du, warum mir die Wünsche Deiner Comtesse heilig sind?“

„Ja, ich verstehe es, und nun weiß ich auch, warum Du trotz der Meinung, die Du über den Adel hegst, dem Vorschlage der Comtesse nicht entgegentrittst.“

„Ich habe außer dem von Dir geahnten noch einen anderen Grund. Glaubst Du, ich würde mich sperren, wenn man als Gegendienst irgend einer wichtigen Leistung verlangte, ich solle mich etwa Hartmannsau oder so ähnlich nennen? Ob zwei oder drei Laute mehr vor oder hinter dem Namen stehen, das ist mir völlig gleichgültig. Diese Art von Ehre halte ich mit Falstaff nur für Wind. Durch eine Weigerung das Glück eines Kindes zu verspielen, wäre in solchem Falle fast noch thörichter, als wenn Adelstolz das Motiv wäre. Freilich würde ich es vorziehen, wenn sich unser Ziel auf anderem Wege, etwa durch eine Besprechung mit dem Grafen erreichen ließe.“

„Sollte dies selbst mit Hülfe der Comtesse nicht möglich sein?“

„Ich zweifle. Frühere Versuche dieser Art hat der Präsident stets zu vereiteln gewußt. Aber horch, was ist das? Hörst Du nichts?“

„Ich höre Hunde bellen und Pferde wiehern. Und da sehe ich auch die Reiter, dort drüben auf der Wiese am Waldteiche. Siehst Du’s nicht. Vater?“

„Das ist der Graf. Was mag den Herrn jetzt nach Brandenfels führen?“

„Komm’, komm’, Vater! Laß’ uns nach dem Gute hinunter gehen!“

„Was hast Du? Du bist ängstlich.“

„Um meiner Rehe willen. Der Weg führt am Zaune vorüber. Wenn die großen Hunde durch den Zaun brächen, meine Lieblinge zerfleischten! Ich würde nicht wieder froh.“

„Die Hunde werden angekoppelt, sobald der Zug in das freie Feld kommt,“ tröstete der Domänenrath. „Aber wenn es Dich beruhigt, so laß’ uns gehen, mein Kind!“

Während Hartmann mit seiner Tochter auf den wohlgepflegten Schlangenwegen nach dem Wirthschaftsgarten des Gutes hinabstieg, nahte der gräfliche Zug bereits dem Rande des Waldes.

„Laß’ die Hunde ankoppeln, Holderbusch!“ befahl der Graf, der bei guter Laune selbst seine höchsten Hofchargen mit dem vertraulichen Du anzureden pflegte. „Den Tyras namentlich! Er ist eine brave, aber zu Zeiten verzweifelt wilde Bestie.“

„Rrrasch die Hunde ankoppeln, Blümchen,“ schrie der Oberlandjägermeister, rückwärts nach dem Trosse gewendet, unter dem auch der treue Christian ritt.

(Fortsetzung folgt.)



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_396.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)