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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Regimenter verliehen hatte, wozu er selbst und der König von Preußen zählte, als sie eine Einladung zum Besuche der Hauptstadt Ungarns von Franz erhalten hatten, veranlaßte, auf dem vorschriftsmäßigen Stempelbogen um Urlaub zur Reise über die Grenze bei dem Kaiser einzukommen. – –

Die Damenwelt auf dem Wiener Congresse kann in drei besondere Kategorieen eingetheilt werden, und zwar in diejenige, welche sich durch vornehmen Stand, in diejenige, welche sich durch Schönheit und geistige Vorzüge, und endlich in diejenige, welche sich durch diese und zugleich durch ihre politische Thätigkeit in den Salons auszeichnete. Die übergroße Menge von schönen und interessanten weiblichen Erscheinungen auf dem Congresse macht es jedoch unmöglich, Allen in dem Rahmen eines begrenzten Aufsatzes gerecht zu werden, und so kann nur der hervorragendsten Erscheinungen gedacht werden. Wir eröffnen die Reihe der zu zeichnenden Damen mit der Gemahlin des kaiserlichen Gastgebers, der Kaiserin Ludovica.

Während Kaiser Franz sich in den Bemühungen um die Erheiterung seiner Gäste, sowie durch die unermüdete Theilnahme an allen Hof- und öffentlichen Festlichkeiten fast erschöpfte, sah sich die Kaiserin durch ihren leidenden Gesundheitszustand veranlaßt, nur selten an den gemeinschaftlichen Belustigungen Theil zu nehmen, und war dagegen bedacht, die Pflichten der Gastfreundschaft in ihren Gemächern auszuüben. Während des Congresses machte sie nur einmal eine Ausnahme von ihrer eingezogenen Lebensweise, indem sie bei einer Falkenjagd in Laxenburg zu Pferde erschien. Da sie die Erschütterung des Fahrens nicht vertrug, so ließ sie sich in einer Sänfte oder einem Sessel tragen, falls sie öffentlich erschien. Ihre Erscheinung war sehr interessant und verrieth die südliche Abkunft. Sie stammte aus dem Hause der Este und war die Enkelin des Herzogs von Modena. Ihr mit einer Fülle schwarzer Locken umrahmtes, todtenbleiches Antlitz gewährte einen eigenthümlichen Anblick und fesselte den Beschauer sofort. Wenn sie, das Haupt mit einem Diadem von Edelsteinen, Hals und Arme mit kostbaren Perlenschnüren geschmückt, in einem goldstoffenen, mit Brillanten verzierten, fürstlichen Gewande erschien, glich sie einem Madonnenbilde und erweckte, wie dieses, in dem Beschauer die reinsten Empfindungen. Trotzdem war diese nervenschwache und leidende Dame nicht nur eine unerschrockene Jägerin, wie sie das auf der Falkenjagd in Laxenburg bewies, woselbst sie dem blutigen Kampfe ihrer Lieblingsfalken mit deren Opfern voll Interesse zuschaute, sondern auch eine ausgezeichnete Schützin. Denn wenn sie des üblen Wetters wegen auf ihre Gemächer beschränkt war, belustigte sie sich, indem sie mit einer besonders für sie gefertigten Flinte, in welche nur ein einziges Korn Hageldunst geladen war, nach den fliegenden und sitzenden Fliegen schoß, und verfehlte nicht eben häufig ihr Ziel. Aber sie liebte auch edlere Vergnügungen, und da sie durch Kränklichkeit an der Theilnahme der Festlichkeiten vielfach verhindert war, so war sie bedacht, in ihren Gemächern die fremden Gäste durch allerlei Genüsse zu erheitern. Sie veranstaltete theatralische Vorstellungen von Dilettanten aus der vornehmen Gesellschaft und andere erheiternde Unterhaltungen und ließ sich in der Anordnung derselben ganz von dem Fürsten Anton Radziwill, berühmt durch seine genialen Compositionen zu Goethe’s Faust, leiten.

Die einnehmende Persönlichkeit des Fürsten, sowie sein ausgezeichnetes Talent als Sänger, Schauspieler, Tänzer und Meister auf dem Cello, erhoben ihn zum Mittelpunkte der kaiserlichen Salons. Mit der ebenso geistreichen wie liebenswürdigen Prinzessin Louise, Tochter des Prinzen Ferdinand von Preußen, vermählt, hatte er sich, nachdem er, trotz seiner echt polnischen Herkunft, tapfer für Preußen gefochten, den Musen zugewandt und war auch auf dem Congresse erschienen. Er stiftete in Wien einen Bund der Troubadours, dem viele fürstliche Personen angehörten. Die Mitglieder derselben erschienen bei festlichen Gelegenheiten im Schmucke ihrer mittelalterlichen Tracht und mit der Laute am Bande und erfreuten die Gesellschaft durch den Vortrag französischer Romanzen und vierstimmiger deutscher Lieder. In diesen Gesellschaften bei der Kaiserin trug Fürst Radziwill einige von ihm melodramatisch componirte Scenen aus Goethe’s Faust, nämlich Gretchens Klaggesänge und die Romanze vom König in Thule vor, wobei er sich mit dem Cello begleitete. Ja, er brachte sogar eine kleine Operngesellschaft von musikalischen Dilettanten zusammen, welche in den Salons der Kaiserin Operetten und Scenen aus größeren Opern aufführten. Zu den Mitgliedern dieser Gesellschaft zählten fast nur fürstliche und dem hohen Adel angehörige Personen. Der Fürst selbst gab die Partieen eines ersten Liebhabers, wozu ihn seine herrliche Tenorstimme, seine schöne Gestalt und sein vortreffliches Spiel wesentlich berechtigten. Eine zweite Gesellschaft führte französische Lustspiele auf; eine dritte wagte sich sogar an die Aufführung von Trauerspielen und brachte in der Hofburg Scenen aus „Wallenstein“ zur Anschauung, worin ein naher Verwandter des Helden, ein Graf Waldstein aus Münchengrätz, die Rolle des Wallenstein übernommen hatte.

Die Kaiserin Elisabeth von Rußland bildete eigentlich den Gegensatz zu der schönen und interessanten Ludovica; denn ihr mangelten nicht nur äußere Vorzüge, sondern auch der Geist, der diese wesentlich erhöht. Auch erregte ihre Erscheinung eher das Mitleiden als die Bewunderung des Beschauers, dessen Auge mehr durch die Pracht ihrer Edelsteine als durch ihre Person und ihr Wesen gefesselt wurde. Denn ihre Heiterkeit erschien gezwungen; in dem nichts weniger als schönen Angesichte gewahrte man den Kummer eines unbefriedigten Herzens, der an Trübsinn zu grenzen schien. Als Grund dafür bezeichnete man die Vernachlässigung, welche sie von Seiten ihres Gemahls erfahren mußte, welcher der jungen und überaus schönen Fürstenwittwe Gabriele von Auersperg mehr Aufmerksamkeiten erwies, als es sein eheliches Verhältnis und die Anwesenheit seiner Gemahlin erlaubten. Auch glaubte man die Ursachen ihres Trübsinns in dem Umstande zu finden, daß ihre Ehe kinderlos war. Der Kaiser wußte übrigens die Güte und Liebenswürdigkeit seiner Gemahlin nicht genug zu rühmen, und er hatte wohl Ursache dazu; denn die Liebe der Kaiserin zu ihm war so groß, daß sie die Tochter, welche die Fürstin Narischkin dem Kaiser geboren hatte, bei jeder Begegnung mit Liebkosungen überhäufte – gewiß ein Zug edelster Selbstverleugnung in einem weiblichen Herzen. Ohne irgend welches Interesse für die politischen Verhandlungen zu verrathen und ohne ihren Gemahl in seinen Galanterien durch mehr als ihr trübes Wesen zu stören, nahm sie an den dargebotenen Festlichkeiten unter Beobachtung ihres sich stets gleichbleibenden Wesens in anspruchslosester Weise Theil, und nur ihr hoher Rang sicherte ihr eine allgemeine Beachtung.

Die dritte unter den Kaiserinnen des Congresses weilte nicht in Wien, sondern in der Nähe desselben; sie mußte eigentlich das größte Interesse für die Congreß-Verhandlungen haben. Dies war Marie Luise, die entthronte Kaiserin von Frankreich. Sie enthielt sich aus naheliegenden Gründen der Theilnahme an den Festlichkeiten und wohnte auf dem Rauhensteine in der Nähe Badens, in ihrer Abgeschlossenheit durch den vertraulichen Umgang mit dem von ihr sehr geschätzten Grafen Neipperg für die entbehrten Congreß-Freuden entschädigt. In Begleitung ihres Günstlings machte sie Ausflüge zu Pferde nach dem reizenden Helenen-Thale und sah überdies ihre idyllische Einsamkeit durch angenehme Besuche aus der Residenz unterbrochen.

Den Kaiserinnen reihten sich die Großfürstin Katharina, verwittwete Herzogin von Oldenburg und die Großfürstin Maria, Erbgroßherzogin von Sachsen-Weimar an, die sich ebenso sehr durch eine liebenswürdige Erscheinung wie, namentlich die Großfürstin Katharina und spätere Königin von Württemberg, durch Geist und Bildung auszeichneten. Welche Bedeutung die Großfürstin Maria für Weimar erhalten hat, ist bekannt. Die Königin von Baiern, eine Schwester der Kaiserin von Rußland, fand wegen ihres einfachen bürgerlichen Wesens nur geringe Beachtung.

Nachdem wir die durch ihren Rang ausgezeichneten Frauen auf dem Congresse erwähnt haben, gehen wir zu denjenigen über, welche damals durch ihre Schönheit und geistigen Vorzüge namentlich in den Salons glänzten und keine unbedeutende Rolle spielten. Und das will nicht eben wenig sagen, wenn man erwägt, daß Wien nicht nur bereits eine seltene Menge weiblicher Schönheiten in allen Schichten der Gesellschaft besaß und deshalb, wie noch heute, berühmt war, sondern daß auch ein Zustrom schöner Frauen stattgefunden hatte.

Der Kaiser Alexander rühmte sich, für sechs verschiedene Schönheiten die Urbilder in der Wirklichkeit gefunden zu haben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_403.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)