Seite:Die Gartenlaube (1875) 410.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Hm, wird aber schwer halten, Herr Präsident. Wer soll den gnädigsten Herrn jetzt noch von dem Plane abbringen?“

„Nun freilich, der Graf giebt ihn nicht auf – das ist sicher. Ich dachte deshalb an ein probates Mittel. Wenn nun die beiden Hitzköpfe aneinander geriethen? Was meint Er, Johann? Der Weg macht dort am Garten eine scharfe Biegung. Wie nun, wenn Ihr vom Trosse, um die Ecke abzuschneiden, quer durch dieses prächtige Weizenfeld des Domänenrathes rittet, um uns einzuholen? Wenn Hartmann darüber nicht wüthend wird, so wird er’s nie.“

„Hm, hm, schön, ganz schön, Herr Kammerpräsident. Aber am Ende werden die Herren dennoch darin einig, daß wir allein die Schuldigen sind, und dann wehe uns! Mir fällt, mit Verlaub zu melden, etwas Besseres ein. Sehen Sie einmal dort über den Zaun hinüber! Was ist das Braune, Herr Kammerpräsident?“

„Zwei Rehe. Aber was denkt Er?“

„Ich denke, daß sie der besagten Jungfer Hartmann gehören, und daß es für den Tyras eine königliche Freude wäre, die beiden netten Thierchen zu jagen und wenn möglich ein bischen zu zerfleischen.“

Die grauen Augen des Präsidenten leuchteten hell auf.

„Vortrefflich, ganz vortrefflich, Johann! Wir müssen also sehen, daß der Tyras loskommt. Wie machen wir das am besten?“

„Ganz einfach, Herr Kammerpräsident,“ lachte Johann in seiner höhnischen Weise. „Der Oberlandjägermeister muß wieder einmal lügen und dann wie gewöhnlich den Christian zum Beistand rufen. Ich halte inzwischen die Hunde, und wenn dann der Tyras nicht gut angekoppelt ist und loskommt, so ist dies natürlich nur die Schuld des braven Christian Blümchen.“

„Vortrefflich!“ wiederholte der Präsident. „Wenn dem Hunde ein Leid geschieht, so vergißt es der Graf niemals. Johann, dafür werde ich Ihm dankbar sein.“

„Hm, ich habe jetzt Röcke genug, gehorsamst zu bemerken.“

„Verstehe. Er soll ganz zufrieden sein.“

Der Präsident gab nach diesem leise und abseits geführten Gespräche seinem Pferde die Sporen und sprengte wieder an die Spitze des Zuges.

„Wo waren Sie so lange, Herr Präsident?“ fragte der Graf.

„Ich revidirte den Troß ein wenig,“ entgegnete der Präsident. „Sind Erlaucht nicht damit einverstanden? Und bin ich um meines Eifers willen vielleicht um ein neues wunderbares Abenteuer unseres Freundes Holderbusch gekommen?“ fragte der Präsident, der seinen Zweck im Auge behielt, weiter.

„Der Herr Oberlandjägermeister hat uns heute etwas von einem kaum glaublichen Sturme erzählt,“ bemerkte der Major der gräflichen Garde lächelnd. „Es war ein Sturm, der Felsen übereinander würfelte, und der doch unseren Holderbusch nicht fortwehte.“

„Wie, Holderbusch? Das glaube ich nimmermehr,“ erklärte der Präsident.

„Das glauben Sie nicht? – Chrrristian!“

„Blümchen bleibt bei den Hunden,“ befahl der Graf.

Der Präsident aber neigte sich dem Ohre seines Herrn zu und flüsterte ihm leise die Bitte zu, um des Spaßes willen den Christian von seinem Dienste für einen Augenblick zu entbinden. Johann werde inzwischen die Hunde bewahren können.

„Gut, es mag sein!“ entschied der Graf, bei dem ein Wort des Präsidenten viel wog. „Laß’ den Christian kommen!“

Wenige Augenblicke später sprengte Blümchen bereits heran, nachdem er vorher noch rasch dem glatten Johann die äußerste Sorgfalt bezüglich des Hundes dringend empfohlen hatte.

„Nun, wie also ging es mit dem Wunder zu?“ fragte der Graf, sobald Christian über den Streitgegenstand unterrichtet war. „Hat Dein Herr gescherzt oder nicht?“

„Nein, es war wirklich so,“ erklärte Christian, der seinen Herrn nie im Stiche ließ. „Wir wären beide verloren gewesen, wenn der Herr Oberlandjägermeister uns nicht geholfen hätte. Er riß den Hirschfänger aus der Scheide, stieß ihn bis an das Heft in die Erde und dann klammerten wir uns beide am Gefäße fest. Das half. Aber der Wind drehte uns doch wie eine Wetterfahne um den Griff herum.“

„Bravo, Christian!“ sagte der Graf lachend. „So glaube ich das Ding schon eher.“

„Na, da hörrren es Errrlaucht selbst,“ fügte der Oberlandjägermeister triumphirend hinzu und wollte in seinen Renommagen fortfahren, da –

„Aber, was ist das?“ rief plötzlich Christian. „Hölle und Teufel! Hat der Lump den Tyras losgelassen! Na, ich dachte es mir gleich. Tyras! Tyras! Willst du her!“

„Tyras! Tyras!“ riefen auch der Graf und sein Gefolge.

Aber der riesige Hund hatte jetzt kein Ohr für die Stimme des Herrn. Am Zaune des Gartens in gewaltigen Sätzen entlang jagend, verfolgte er im blinden Jagdeifer die verlockende Spur der Rehe, auf die ihn Johann absichtlich aufmerksam gemacht hatte. Offenbar suchte er nach einer Lücke im Zaune, um zu seiner Beute zu gelangen, und endlich schien er sie gefunden zu haben. An den Boden niedergeschmiegt, wand er sich durch eine für menschliche Augen kaum entdeckbare Oeffnung des Zaunes. Gleich darauf ertönte im Garten zugleich ein heiseres Gebell und der Schreckensruf einer weiblichen Stimme.

„Vater! Hülfe – Hülfe! der Hund!“

Es war Anna, die ihre Lieblinge schon glücklich bis dicht an ihren Stall gescheucht hatte und nun im letzten Augenblicke das beutegierige Thier hinter sich hörte und in großen Sätzen auf sich zueilen sah.

Mit einem Sprunge war der Domänenrath, der sich bereits von seiner Tochter getrennt hatte, um nach dem Hofe zu gehen, wieder an ihrer Seite. Zugleich erfaßte er, rasch entschlossen, ein Grabscheit, das, an die Wand des Stalles gelehnt, in der Nähe stand. Schon war indessen Tyras bis an den Domänenrath herangekommen. Sein Athem keuchte vor Aufregung, und seine feurig blitzenden Augen maßen den Gegner, der sich ihm drohend entgegen zu stellen wagte.

„Zurück!“ rief der muthige Mann mit Donnerstimme.

Aber auch das Herz des gewaltigen Hundes blieb für Furcht unzugänglich, selbst als Hartmann schon seine Waffe über das Haupt emporschwang. Knurrend und die Zähne fletschend, machte sich Tyras zum Sprunge bereit, um den Gegner an der Brust zu packen. Aber der Domänenrath behielt jede seiner Bewegungen scharf im Auge. Jetzt schnellte der Hund mit der ganzen elastischen Kraft seiner schlanken und kräftigen Glieder vorwärts und doch nicht rasch genug, um den Feind zu überrumpeln. Das Grabscheit blitzte einen Augenblick in der Luft und sauste dann auf das Haupt des edlen Thieres hernieder, das mit einem wilden Klagelaute jählings zusammenbrach.

In diesem Augenblicke erschien der Graf, der in stürmischer Eile durch den Hof geritten war, im Garten. Ein Blick genügte, um ihn seinen schweren Verlust erkennen zu lassen. Da lag der Treue auf dem Rasen, den sein Blut färbte, und kein Glied des gewaltigen Leibes zuckte noch. Die braunen, klugen Augen hatten keinen Blick treuer Anhänglichkeit mehr für den geliebten Herrn.

„Verzeihung, Herr Graf! Es geschah bei Gott nur in der Nothwehr,“ stammelte Hartmann, der sich bei dem aus jeder Miene des Grafen redenden jähen Schmerze plötzlich wie ein schwerer Verbrecher vorkam. „Können Erlaucht mir jemals vergeben?“

Der Graf aber hatte kein Wort der Erwiderung. Seine Hand glitt über die hohe Stirn langsam nach den Augen herab, als gälte es dort Etwas zu verwischen. Dann wandte er sein Roß und schritt schweigend Schritt für Schritt zu seinem Gefolge zurück.




6.

Etwa eine Woche nach den letzterzählten Vorgängen saß Christian Blümchen im Reiseanzug der Kammerfrau Weiß gegenüber in deren kleiner, aber recht behaglich eingerichteter Stube. Zwischen den beiden, mit großblättrigen Geranien und blühenden Balsaminen dicht besetzten Fenstern und unter dem schwarzumrahmten Spiegel stand ein kleiner, halbrunder Tisch, auf diesem aber eine hohe und weitbauchige Kaffeekanne nebst zwei um so schmächtigeren Tassen. Frau Weiß hatte den labenden Abschiedstrunk mit gramerfülltem Herzen zurecht gebraut, aber er war trotz der Trauer aromatischer als jemals gerathen.

„Zum Davonlaufen ist es,“ sagte die behäbige kleine Frau, indem sie ihrem Gaste die vierte und dann sich selbst die siebente Tasse voll goß.

„Nein, Frau Weiß, d’rein schlagen möchte man,“ entgegnete

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_410.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)