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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

allemal unsern Platz an der prinzlichen Tafel hatten, so wurde auch Monsieur Gerstequé in gastlicher Weise aufgenommen und zur Tafel gezogen, ja es ward ihm sogar die Ehre zu Theil, neben dem Prinzen seinen Platz angewiesen zu erhalten. Natürlich waren wir Civilisten in Bezug auf unsere Kleidung für gewöhnlich von allen Etiquette-Rücksichten dispensirt, und auch Gerstäcker’s steirische Joppe rangirte für voll zwischen den Umformen der übrigen Tafelrunde. Seine ganze Art und Weise war freilich mit diesem feinem Reise- und Jagdcostüme so völlig verwachsen, daß man ihn füglich sich nicht anders als in dieser Stereotyp-Ausgabe hätte denken können. Nur in ein Löwen- oder Lamafell gekleidet, wäre er vielleicht noch willkommener gewesen, denn Jedermann wollte ein Stück lebendigen Robinson Crusoe in ihm vor Augen haben und hätte es ihm nicht vergeben, wenn er von allen Reminiscenzen an sein Weltfahrerthum frei gewesen wäre. Glücklicher Weise hatte er für diesen Zweck in seinem Quartiere wenigstens das Fell eines natürlich von ihm selbst, ich weiß nicht in welcher Prairie erlegten Büffels zur Verfügung, seinen steten, langjährigen Reisebegleiter und, wie er versicherte, seinen stummen Ueberreder zu immer neuen Wanderwagnissen.

Gerstäcker war gewöhnt, sich in allen Arten von Gesellschafts-Sphären zurecht zu finden. Er schrieb zwar besser, als er sprach, und seine Unterhaltung enttäuschte nicht selten Diejenigen, welche jede seiner Schriften mit lebendigem Interesse gelesen hatten. Dafür wollte er aber auch nichts aus sich gemacht wissen. Bücher und wissenschaftliche Gespräche zogen ihn wenig an. Sehen, mitmachen, selbst erleben, das war seine Leidenschaft. Nicht geringes Gaudium fand er daher an den Späßen, mit denen im engern Kreise nach Tisch sich unsere kleine Gesellschaft wohl hin und wieder zu vergnügen pflegte. Zu den Gegenständen, welche beim Ausbruch des Kriegs von dem Inhaber des Schlößchens vermauert worden waren, hatte auch ein hübsches kleines Pianino gehört. Natürlich hatte man dasselbe längst aus seiner Gefangenschaft erlöst, und seine verstimmten Saiten, von den vielen Musikkundigen des Kreises fleißig bearbeitet, gaben sich geduldig dazu her, bald Gutes und bald Mäßiges zu Gehör zu bringen. Nie ist es während der ganzen langen Belagerungszeit mit einem Stimmhammer in Berührung gekommen. Einen solchen aus Deutschland kommen zu lassen, zumal dann wohl auch noch immer der Stimmer gefehlt haben würde, schien nicht der Mühe werth, da man ja täglich vor Paris fertig zu sein hoffte. Aus Paris wäre wohl der Hammer noch am raschesten zu erhalten gewesen, denn die sächsischen Vorposten hatten das Zeitungs-Schmuggeln eine ganze Zeit lang vortrefflich in Gang gebracht, so daß wir oft sechs bis acht Pariser Zeitungen auf einmal erhielten, und die Zeitungs-Schmuggler hätten uns natürlich auch mit andern Pariser Artikeln versehen können. Selbstverständlich wurde aber inmitten der allgemeinen Entbehrungen auf jene verstimmte Laune unserer Musik kein Werth gelegt, und da der musikalisch sehr begabte Prinz Georg selbst sich mit den Schwächen des vielgepflegten Instruments genugsam abfand, so konnte auch die muntere kleine Nachtisch-Genossenschaft zufrieden sein, zu ihren ohnehin willig auf künstlerische Abrundung verzichtenden Einfällen eine Tonbegleitung zu haben, die ihren komischen Beitrag aus eigenen Mitteln spendete.

Auf dem Heimwege aus einer dieser improvisirten Soiréen wußte Gerstäcker nicht lebhaft genug zu beklagen, daß er einige dieser Kunstfertigkeiten nicht früher zu erlernen Gelegenheit gehabt habe. Man hatte eine Scene aus der Wolfsschlucht aufgeführt gehabt (welch ein verwerthbarer Stoff für die Geschichte Mr. Gerstequé’s!) und der Spectakel war allerdings von einer Wirkung gewesen, wie er den Wilden aller Länder zu hohem Genuß gereicht haben würde. Dies war aber nicht, was Gerstäcker so ausnehmend gefallen hatte. Auch die mit wirklich täuschender Nachahmung des Wasserplätscherns – durch Papierreiben an der Tapete – und des Mühlengeklappers – durch vieltactiges Messerklopfen auf einer Tischplatte – illustrirte Vorführung des Volksliedes: „in einem kühlen Grunde“ schien ihm keineswegs die Krone der Leistungen. Dagegen erklärte er für geradezu unübertrefflich diejenige Leistung eines Mitgliedes des Cirkels, welche das Gebrumme und Geknurre eines Haufens wilder Thiere nachzuahmen bezweckte. Der Künstler, ein gigantischer Cavallerieofficier, hatte sich dazu außer seinem Munde einzig eines Lampencylinders bedient und auf diese Weise in der That ein Concert von Mißtönen erreicht, das dem Durcheinander von Stimmen, wie es der Fütterung in einem Löwen- und Tigerzwinger voraus zu gehen pflegt, in erschreckender Weise ähnlich war.

„Bedenken Sie nur,“ rief Gerstäcker, als ich ihn heimbegleitete, damit er bei dem Parole-Anrufen der Wachposten nicht etwa Unannehmlichkeiten haben möge, „bedenken Sie nur, wie das meiner alten Freundin, der guten Königin Pomare, imponirt haben würde! Was will dagegen die Cither sagen, die ich ihr vorspielte! Ich muß noch einmal wieder über’s Meer. Dies Instrument soll kein Andrer drüben produciren als ich selbst.“

Daß dem Manne, der erst kurz zuvor die Belagerungsarbeiten um Straßburg so weiten Kreisen anschaulich zu machen gewußt hatte, Gelegenheit gegeben werden mußte, sich in einer oder der andern unserer Schanzen von den Pariser Granaten begrüßen zu lassen, versteht sich von selbst. Er selbst wünschte es und ihrerseits sind Militärs ja immer gern bei der Hand, wenn es den Civilisten zu einer Gänsehaut zu verhelfen gilt. Auch erhielt Gerstäcker zu dem Ritt in die Schanzenlinie ein Pferd, auf dem nicht Jeder sich wohl gefühlt hätte, ein kurzbeiniges Berberroß, wie deren während der Campagne sich manche aus französischer in deutsche Fütterung herüber gefunden hatten. Das war ihm aber gerade recht. Wenn er als Reiter etwas absonderlich aussah, so hielt er sich dafür um so fester im Sattel, und so verlief dann nicht nur der Ritt ganz nach Wunsch, auch die Beschießung der Schanze traf man gerade in lebhaftem Stadium, so daß jeder bei dem Ritt betheiligt Gewesene in höchster Befriedigung heimkehrte, da ja trotz dem Lärm und dem ganz nahen Crepiren der unliebsamen Pariser Sendlinge kein Unglück geschehen war.

Als ich wenige Tage darauf mit dem „Times“-Correspondenten auf einige Tage nach Versailles hinüber fuhr – St. Denis war eben von den deutschen Truppen besetzt worden und man hoffte täglich auch auf das Zugänglichwerden von Paris –, da fand ich im Speisesaale des „Hôtel de France“ zu Versailles, mißmüthig an einem Seitentische sitzend, den Mann in der bairischen Joppe.

„Diese verwünschten Franzosen!“ rief er mir zu, „jedes Gericht, das ich bestelle, wollen sie nicht kennen. Werd’ ich denn am Ende, diesen Narren zu Gefallen, noch französisch plappern sollen? Fällt nur nicht ein. Aber das Gallenfieber ärgert man sich an den Hals.“

„Und in welcher Weise.“ fragte ich, „haben Sie Ihre Bestellungen denn gemacht? Auf Deutsch?“

„Nicht einmal.“

„Auf Französisch?“

„Bei Leibe nicht. Werde ich Denen zu Liebe so viele Umstände machen! In der Fingersprache.“

„Wie so?“

„Hier.“ Und er zeigte mit dem Finger auf diejenige Partie der Speisekarte, die er zu bestellen wünschte. Als erfahrener Reisender hatte er dabei sich durchaus keines Irrthums schuldig gemacht. Der Kellner hatte nur nicht Lust gehabt die Pantomime zu verstehen, und ich mußte viele Worte verschwenden, um den tückischen Burschen gefügig zu machen.

Es war in der That, auch wenn man die französische Sprache fließender sprach, als Gerstäcker dies that, mit den Versaillern schwer auszukommen. Obschon allenthalben die deutschen Officiere unter den Gästen der Hôtels und Restaurants in starker Mehrheit waren, wurde jeder Deutschredende doch mit sichtlichem Widerwillen bedient, und die Kellner machten sich einen Spaß daraus, ihre Landsleute immer früher abzufertigen, als die Nicht-Franzosen. Warum nicht hin und wieder einmal ein Exempel statuirt wurde, das ist ein Geheimniß geblieben. Vielleicht war von oben herab die Parole ausgegebenen, jede Reibung sorglich zu vermeiden. Im Wesentlichen verstimmte unsern Gerstäcker übrigens während dieser Tage vornehmlich die Ungewißheit, ob er nach Paris hineinkommen werde oder nicht. Pariser erhielten täglich in großer Anzahl Erlaubnißscheine zum Besuchen von Versailles, und wenn dem Deutschen auch mit gutem Grunde nicht gestattet war, den Besuch zu erwidern, so konnte man dieses Verbot doch recht gut umgehen. Aber die Unberechenbarkeit des Empfangs, dessen man sich drinnen zu gewärtigen hatte! Selbst Engländer waren ihres

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_418.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2019)