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7.

„Eine ganz verflixte Geschichte, das, Feldwebel.“

„Zu Befehl, Herr Hauptmann, ganz ausnehmend verflixt.“

„Weiß, meiner Seele nicht, was dem hochgräflichen Gardecommando einfällt. Haben Sie in Ihrem ganzen Leben schon gehört, daß hochgräfliche Grenadiergarde mitten in der Nacht hätte ausrücken müssen? Hat sie jemals stundenlang im Walde gelegen? Haben Sie so ’was Tolles schon gehört, Feldwebel?“

„Das Warum werden wir erfahren, wenn ich, der Ordre gemäß, Schlag sechs Uhr den versiegelten Befehl öffne.“

„Wie viel Uhr haben wir, Feldwebel?“

„Fünf Uhr vierzig Minuten. Aber was giebt es da?“

„Wo? Was, Feldwebel?“

„Dort oben. Sehen Sie nicht die Dame, die dort zu Pferde den Waldweg zu uns herabkommt? Neben ihr reitet ein Herr und dahinter ein Diener.“

„Meiner Seel’, so ist es. Der Herr ist Kurt von Holderbusch und der Diener ist der alte Brauer vom Schlosse.“

„Ganz recht, Herr Hauptmann. Und die Dame – O herrjemine! Es ist unsere erlauchte Comtesse höchstselbst.“

„Was wär’s? Bataillon antreten! Stillgestanden! Bataillon richt’ Euch! Augen links! Achtung! Präsentirt –“

„Erst Gewehr auf, Herr Hauptmann,“ zischelte der Feldwebel seinem Vorgesetzten zu.

„Alle Teufel, ja, das hatte ich vergessen. Also Gewehr auf! Achtung! Präsentirt das –“

Aber schon war die Comtesse mit dem Jagdjunker von Holderbusch und ihrem Diener so nahe herangekommen, daß sie durch ein rasches Zeichen die ihr zugedachte Ehre ablehnen und hiermit zugleich einen schweren Stein von der bedrängten Seele des Hauptmanns abwälzen konnte. Denn es schien dem Armen sehr zweifelhaft, ob der einfältige Tambour wirklich so leise schlagen würde, wie um der Ordre willen zu wünschen war.

„Guten Tag, Herr Hauptmann von Felsewitz!“ sagte die Comtesse mit einer leichten Neigung des Hauptes. „Schwerer Dienst heute, nicht wahr?“

Der Hauptmann bejahte mit einem leisen Seufzer.

„Nun, ich komme, um diese Last von Ihren Schultern zu nehmen. Marschiren Sie jetzt mit Ihrer Compagnie getrost wieder heimwärts!“

„Wär’s möglich, Erlaucht? Das wäre allerdings Manchem von den Leuten recht erwünscht. Und Erlaucht bemühen sich allergnädigst höchstselbst, uns diese Contre-Ordre zu überbringen! Darf ich unterthänigst um die Ordre bitten, Erlaucht?“

„Um was? Eine schriftliche Ordre habe ich nicht bei mir,“ entgegnete Comtesse Charlotte ein wenig verlegen. „Aber ich kann Ihnen versichern, daß mein Bruder, der Graf, sicher mit meinen Anordnungen einverstanden sein wird.“

„Auch zufrieden sein wird? Also keine geschriebene Ordre? Und unser erlauchter Herr wissen am Ende noch nicht darum?“

„Nein, allerdings nicht. Als mir die Nachricht von dem Ausrücken einer Gardecompagnie zuging, suchte ich meinen Bruder sofort auf, um auch ihn zu benachrichtigen. Denn er weiß sicher nichts von diesem Zuge. Leider war der Graf nicht zu finden, da er schon gestern mit dem Präsidenten und dem Oberlandjägermeister ausgefahren und noch nicht zurückgekehrt ist. So ritt ich denn selbst, um Sie zur sofortigen Umkehr zu bewegen.“

„Ganz verflixte Situation das, mit unterthänigstem Permiß,“ murmelte der Hauptmann, während er sich unter der gewaltigen Bärenmütze verlegen kraute. „Ja, höchst verflixte Situation. Habe natürlich auf Ehre vor Erlaucht die allergrößte, pflichtschuldigste Ehrerbietung. Aber ohne schriftliche Contre-Ordre kann ich meiner Seel’ nicht zurückmarschiren, Erlaucht. Und wahrhaftig, gerade jetzt schlägt’s sechs Uhr da unten im Flecken. Also die versiegelte Ordre heraus! Was steht da? Feldwebel Lindenzweig, lesen Sie einmal!“

Der Feldwebel las: „Punkt sechs Uhr bricht die erste Compagnie der gräflichen Garde von ihrem Haltepunkte auf, umstellt vorsichtig die Kirche in Brandenfels und arretirt den Domänenrath Hartmann, sobald er die Kirche verläßt; Arrestant ist alsdann anhero abzuliefern. Verhaftung in der Kirche selbst ist zu vermeiden; etwaige Emeuten des Plebs sind mit Waffengewalt zu unterdrücken. Gräfliches Garde-Commando.“

„Bon, sehr schön!“ Nun wissen wir’s,“ sagte der Hauptmann mit Gewicht. „Wußte ja schon, daß das eine verteufelte Geschichte wurde. Die Bauern in Brandenfels sind bärenmäßig grob, wie weltbekannt. Der Christian Blümchen war ja auch aus dem Neste. Hilft aber Alles nichts. Also: Bataillon in Sektionen –“

„Halt, noch ein Wort,“ bat die Comtesse. „Wenn ich selbst Ihnen nun eine schriftliche Ordre gäbe, umzukehren? Würde Ihnen das genügen?“

Wiederum und noch verlegener kraute sich der Hauptmann unter der Bärenmütze.

„Feldwebel, was machen wir?“ zischelte er seinem Factotum zu. „Ganz verflixte Situation! Ich komme in die Tinte, mag ich es machen, wie ich will.“

„Der Herr Hauptmann können jetzt nur der Ordre pariren,“ entgegnete der Feldwebel ebenso leise.

„Haben wieder Recht. Erlaucht, es geht nicht, es geht leider bei allen tausend Teufeln nicht. Erlaucht excusiren also gnädigst. Bataillon –“

Comtesse Charlotte berührte ihr munteres Pferdchen mit der Reitpeitsche und flog dann, von dem Jagdjunker und ihrem Diener begleitet, in raschem Trabe, der bald in Galopp überging, am Waldrande hinauf. Der Hauptmann aber brachte nunmehr sein mehrfach unterbrochenes Commando wirklich zu Stande und rückte dann mit seiner Compagnie in raschem Schritte quer über die Wiese und gerade auf die bezeichnete Kirche los. Der Uebergang über den Steg wurde von den Truppen glücklich bewerkstelligt, und auch der weitere Marsch bis in die stillen Straßen des Marktfleckens bot zum Heile weder taktische noch strategische Schwierigkeiten; denn von irgend wie verwickelten Bewegungen wußte man bei hochgräflicher Garde so viel wie nichts.

„Da liegt nun die Kirche, Feldwebel,“ sagte der Hauptmann, sobald sich das Militär im Angesichte des unansehnlichen Gotteshauses befand. „Aber nun sagen Sie mir um des Himmels willen, wie fangen wir das Umstellen an?“

„Wir stellen an jeden Ausgang eine Section.“

„Schön. Das thun wir.“

Während der Hauptmann seine Befehle ertheilte, um das beschlossene Manöver zum Vollzuge zu bringen, sprengte von der andern Seite die Comtesse im schnellsten Laufe ihres Pferdes durch die Pfarrgasse bis zur Kirche heran, glitt dann mit Kurt’s Hülfe gewandt aus dem Sattel herab und warf ihrem getreuen Brauer die Zügel zu. Nun trat sie mit dem Junker von Holderbusch rasch unter das Portal und von da in die Kirche.

Die heilige Handlung war soeben beendet, und Hartmann nebst seiner Tochter begegnete daher den Eintretenden im Hauptgange der Kirche, zwischen den Sitzreihen.

„Sehe ich recht? Charlotte – das heißt – Erlaucht?“ rief der Domänenrath erstaunt.

„Zum Wundern ist jetzt nicht die Zeit,“ entgegnete die Comtesse eilig. „Geschwind hinaus, nach Ihrem Gute zurück! Fort, fort! Ich komme nur Ihretwillen in aller Hast. Man will Sie verhaften.“

„Wie? Also hätte der Brief, den meine Tochter erhielt, dennoch Recht gehabt?“

„Welcher Brief?“

„Ein expresser Bote brachte ihn von Schwalbenstein herüber,“ erzählte Anna hastig im Weiterschreiten. „Fräulein Hulda von Straff schrieb mir von Feindseligkeiten gegen mich und die Meinen, die sie nicht theile und nicht billige, und von Plänen, welche gegen die Freiheit meines Vaters geschmiedet würden –“

„Und Sie folgten der Warnung nicht?“ fragte die Comtesse vorwurfsvoll, indem sie sich an den Domänenrath wandte.

„Bah, Erlaucht, ich bin zu alt, um noch das Gruseln zu lernen.“

„Sie bleiben immer derselbe. So eilen Sie denn mir zu Gefallen, ehe die Garde anlangt! Mein Pferd ist vor der Thür. Hinauf und fort! Ich –“

Die Comtesse ließ vor Schrecken ihre Rede unvollendet, denn in diesem Augenblicke rasselten draußen die Gewehrkolben auf die Steinplatten des Hauptportals nieder. „Zu spät! Da sind sie schon. Was thun wir nun?“


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verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_426.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)