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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


8.

Durch eine dichte Schonung der zum Hartmann’schen Schloßgute gehörigen Waldungen drängten sich etwa eine Stunde nach den eben erwähnten Vorgängen drei Männer, von denen zwei einen erlegten stattlichen Rehbock trugen.

„Nur vorwärts, vorwärts, meine Herren!“ mahnte der Dritte, der inzwischen vorangegangen war und mit sichtlicher Ungeduld das Herankommen seiner Begleiter erwartete. „Schon ist es sieben Uhr. Wir müssen den Bock so rasch wie möglich in Ihren Wagen schaffen, wenn wir nicht am Ende noch abgefaßt sein wollen.“

„Nurrr einen Augenblick Geduld, Errrlaucht, ich –“

„Zum Donner–, laß’ hier die Titulaturen unterwegs!“ unterbrach der Graf zornig die Entschuldigung des dicken Oberlandjägermeisters. „Du weißt, daß ich auf solchen Gängen nicht gekannt sein will. Wenn es Dir übrigens zu schwer wird, den Rehbock zu tragen, so will ich selbst wieder an Deine Stelle treten. Der alte gehörnte Bursche da hat allzu lange auf sich warten lassen. Die Sonne steht schon gewaltig hoch. Fort, fort, Ihr Herren!“

Der Präsident las aus den Mienen des regierenden Herrn dessen wachsende Besorgniß vor dem Ausgange des Unternehmens, und hielt es deshalb für gerathen, seine Maßnahmen, die sich auf die Dauer nun einmal nicht verhehlen ließen, schon jetzt zu enthüllen. In der gegenwärtigen Bedrängniß war der Graf wahrscheinlich am meisten geneigt, auch eine kleine Gewaltthat, wenn sie ihm nur irgend zu Gute kam, ungerügt durchschlüpfen zu lassen.

„Unsern Gegner habe ich für heute völlig unschädlich gemacht,“ bemerkte er deshalb mit schlauem Augenblinzeln. „Auch seine Diener werden jetzt an andere Dinge als an Forstschutz zu denken haben.“

„Wie haben Sie das bewerkstelligt, Sie Pfifficus?“ fragte Max Theodor dagegen mit dem Ausdrucke lächelnden Staunens.

„Ich erfuhr, daß Hartmann heute Morgen in gewohnter Keckheit sein Asyl verlassen würde, und traf daher meine Maßnahmen so, daß er sich sicher jetzt in den Händen der getreuen Garde befindet.“

„Der Garde? Sie haben ihn also wirklich verhaften lassen?“ fragte der Graf mit etwas krauser Stirn. „Offen gestanden, das gefällt mir nicht besonders, Herr Präsident. Abgesehen von Ungelegenheiten, die uns unser Vetter, der Kurfürst, deshalb bereiten kann, hätte ich Hartmann für die Zwecke unseres Schalkstreichs lieber überlistet, als roh vergewaltigt gesehen.“

„Aber der Hund? Der arme treue Tyras, den der rücksichtslose Mensch so grausam tödtete?“

„Das freilich war nicht recht und hat mir wehe genug gethan,“ erklärte der Graf.

„Erlaucht urtheilen immer viel zu mild über die Schuldigen. Nur die ausgesuchteste Bosheit und Feindschaft konnte so handeln.“

„Hm, hm, ich weiß doch nicht, was ich selbst thäte, wenn mich ein solcher Hund, wie der Tyras war, anfiele. Und durch die Schuld Ihres Johann ist er am Ende von der Leine losgekommen. Dem Christian Blümchen selbst wäre das nicht begegnet. Das behaupte ich noch heute. Habe es deshalb auch gar nicht gern gehört, daß Du den Christian entlassen hast, Holderbusch. Es war ein treuer Mensch und ein Original dazu.“

„Aberrr Errr– ja, so – das hat doch meine Frrrau gethan, und Herrr von Strrraff sagt auch –“

Ein grimmiger Blick des Präsidenten ließ den Dicken jählings verstummen.

„So muß ich also doppelt bedauern, den hohen Wünschen nicht genügt zu haben,“ erklärte der Präsident mit der Miene gekränkter Unschuld.

„Nein, nein, ich will Sie nicht ernstlich schelten,“ lenkte dagegen der Graf gutmüthig ein. „Sie meinen es immer mit mir gut, haben aber manchmal einen allzuharten Griff. Ich bin mit Ihnen ganz zufrieden und lasse mich nicht verhetzen. Habe deshalb auch in dieses Papier hier, das man uns in die Tasche gesteckt hat, um mir den Appetit zu verderben, just zum Trotze, mein Frühstück eingewickelt. Da haben Sie den Fetzen! Was sagen Sie dazu?“

„O, das ist schändlich!“ rief der Präsident nach einem Blicke auf das Schreiben, das ihm der Graf behändigt hatte. „Mich so tückisch zu verleumden!“

„Aergern Sie sich nicht!“ beruhigte ihn der Graf. „Ich glaube nimmer, daß Sie unser Haus bei der Brandenfelser Affaire benachtheiligt haben, am wenigsten aber glaube ich einem namenlosen Angeber. Doch nun ist genug gerastet. Vorwärts! Ich löse Dich ab, Dicker. Sonst rührt Dich noch der Schlag.“

Der Graf faßte den erlegten Rehbock, um ihn gemeinsam mit dem Präsidenten weiter zu tragen. Plötzlich aber horchte er hoch auf.

„Was war das? Klang es nicht wie Hundegebell?“

„Meinerrr Six! Ich habe es auch gehörrrt. Zum Kukuk, es wird doch kein Forrrstläufer mit dem Hühnerrrhunde hierrr herrrumstrrreichen.“

Von Neuem und schon recht nahe erklang das Gebell. Der Hund näherte sich ganz offenbar.

„Das ist kein Hühnerhund,“ bemerkte der Graf. „Der Ton ist zu tief und zu voll. Horchen Sie! Klingt es nicht genau, als ob mein alter Tyras anschlüge?“

Die Begleiter des Grafen fanden keine Zeit die Frage zu beantworten. Schon hörte man deutlich, wie das starke Thier gewaltsam durch die dichten Büsche drang, schon erscholl auch aus der Nähe ein gellender Pfiff, um ihn zurückzurufen.

„Verdammt! Diesmal werden wir wahrhaftig abgefaßt,“ rief der gräfliche Wilderer, indem er zornig mit dem hohen Jagdstiefel das Waldmoos stampfte. „Was thun wir?“

„Wir sind drei gegen einen,“ wagte ihm der Präsident zuzuflüstern, indem er zugleich sein Gewehr schußfertig emporhob.

„Unsinn! Nieder das Gewehr!“ befahl dagegen der Graf streng und mit blitzenden Augen. „Soll unsere Thorheit zum Verbrechen werden? Kein Menschenblut um solcher Possen willen! Hallo, da bricht das Thier durch.“

Wirklich stürmte in dem Augenblicke, da der Graf die letzten Worte sprach, ein übergroßer Hund durch das Birkengebüsch und geraden Wegs auf den Grafen los.

„Herr, mein Gott, ist es möglich? Der Tyras!“ Mehr konnte der hohe Herr nicht sprechen, denn schon sprang der getreue Hund, vor Freude schier außer sich, an ihm empor.

„Mein Alter! Mein Getreuer! Du lebst, und man hat mir das verschwiegen? So hat Dich also das Grabscheit doch nicht tödtlich getroffen?“ rief der Graf, während er sich der allzu stürmischen Liebkosungen nur mit Mühe erwehrte. „Wer hatte gedacht, daß mir der heutige Tag noch eine solche freudige Ueberraschung bringen würde!“

„Werden mich Erlaucht dagegen zu den unangenehmen Ueberraschungen zählen?“

Der Graf und seine Begleiter blickten erstaunt nach dem Manne um, der diese Worte gesprochen hatte und nun aus dem Gebüsche auf die Lichtung vortrat.

„Sie – Sie, Herr Domänenrath?“ stammelte der Graf sichtlich verlegen. „Was – was – werden Sie sagen, wenn – wenn –“

„Ich bin von ganzem Herzen erfreut, daß Erlaucht endlich einmal meine wiederholte Einladung zur Jagd angenommen haben, und noch mehr darüber, daß sie so glücklich ausgefallen ist.“

„Allerdings, Herr Domänenrath. Mir scheint, ich habe da einen recht kapitalen Bock geschossen,“ erklärte der Graf durch die Auffassung Hartmann’s sichtlich beruhigt. „Aber wie um des Himmels willen haben Sie uns in dieser einsamen Gegend im dichten Gebüsche auffinden können?“

„Tyras – er hat sich, wie Sie sehen, unter meiner Pflege schnell erholt – war, sobald er nur erst die Spur bekommen hatte, ein vortrefflicher Führer. Aber die Herren werden sicher ermüdet und hungrig sein. Ich habe mir daher erlaubt, ganz in der Nähe an der Königseiche, wo auch der Wagen des Herrn von Straff steht, ein kleines Frühstück auftragen zu lassen. Darf ich Euer Erlaucht und den Herrn Oberlandjägermeister ersuchen, daran gütigst Theil zu nehmen?“

„Von Herzen gern. Aber soll unser Präsident allein leer ausgehen?“

Hartmann warf dem Herrn von Straff einen keineswegs besonders einladenden Blick zu.

„Der Herr Präsident ist mein Freund nicht, und ich bezweifle deshalb, daß er meine Einladung annehmen würde,“ sagte er dann langsam und bedächtig.

„Da haben Sie nun Ihre Strafe, Herr Präsident!“ scherzte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_428.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)