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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Wir sind bei dem Wagen angelangt, und hier ist das Frühstück aufgetragen,“ warf der Domänenrath ein, um den Grafen auf frohere Gedanken zu bringen.

„Und hier ist auch sonst noch Jemand, der von der Partie sein möchte,“ sagte die Comtesse Charlotte, indem sie hinter dem Wagen des Präsidenten vortrat. „Erlaucht, werden ja wohl diesmal auch die eigenmächtige Ankunft der unterthänigsten Schwester in Gnaden verzeihn, zumal Ew. Liebden höchstmögender Herr Tyras so glücklich mit dem Leben davon gekommen ist.“

„Ei was? Ei wie?“ rief der Graf freudig erstaunt. „Du hier, Lottchen? Das ist ja ganz vortrefflich. Denn wärst Du jetzt nicht gekommen, so hätte ich wahrlich bei Dir noch heute um Gnade gebeten. Aber was in der Welt hat Dich auf diesen glücklichen Gedanken gebracht?“

„Nun, es könnte mich schon einmal gelüstet haben zu sehen, wie ein souveräner Reichsgraf als Wildfrevler gefangen wird,“ sagte die Comtesse mit ihrem munteren Lachen. „Solche Staatsactionen sieht man wahrlich nicht alle Tage. Dann aber war meine Anwesenheit auch nöthig, um unseren Wirth zu befreien, der – denk Dir nur, Max – verhaftet werden sollte, obwohl er aus der Kirche und vom heiligen Abendmahle kam. Sollte das wirklich Dein Wille gewesen sein?“

Der Graf erwiderte kein Wort, aber er sah den Präsidenten mit einem Blicke an, der schon eine nicht zu verkennende Drohung enthielt.

„Setzen wir uns hier auf das weiche Moos, um dem Dejeuner unseres Wirths die gebührende Ehre anzuthun!“ sagte er dann. „Sie, mein lieber Hartmann, zu meiner Rechten, Du Lottchen –“

„Noch einen Augenblick Geduld!“ bat die Comtesse. „Ich bin mit meinen Ueberraschungen noch immer nicht am Ende, lieber Max. Nur hervor dort hinter Ihrem Versatzstücke, Fräulein Hartmann und Herr Forstjunker von Holderbusch! Ihr Stichwort ist gefallen, und Sie müssen auf die Bühne.“

„Ah, noch ein Brautpaar, Lottchen! Immer besser – darf man schon gratuliren?“

„Noch nicht.“

„Aber das Ziel ist doch nicht unerreichbar, will ich hoffen. Welch ein hübsches Paar! Du wirst nicht steinherzig sein, lieber Holderbusch, wenn ich Dich bitte.“

„Au contrrrairrre. Welche Ehrrre, Errrlaucht! Wenn – ja, wenn nurrr meine Frrrau –“

„Hast Du schon vergessen, was ich Dir einmal über die Abfindung der von Holderbusch’schen Agnaten sagte: Unser Freund Hartmann wird hier so wenig knausern, wie bei diesem Dejeuner. Im Uebrigen soll es mir nicht darauf ankommen, Deiner gestrengen Frau Gemahlin selbst meine gehorsamste Aufwartung zu machen und um höchstihre Einwilligung geziemend zu bitten. Zu einer Erhöhung des Gehalts werden ja wohl die Mittel vorhanden sein, wenn wir die Processe künftig vermeiden und den jungen Mann seinen Verdiensten und Fähigkeiten nach besser verwenden. Nicht wahr, Herr Präsident?“

Diesmal schwieg der Präsident, aber ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl hören können, wie seine massiven Zähne an einander knirschten.

Der Graf erhob sich, das gefüllte Glas in der Rechten, aber die Comtesse legte ihre feine Hand auf seinen Arm.

„Keinen Toast!“ bat sie, „bevor ein anderer, weniger glücklicher Wilderer –“

„Meinetwegen mögen sie Alle zusammen laufen, wohin sie ihre spitzbübischen Beine tragen. Aber nun darf ich doch meinen Spruch sagen, Lottchen?“

„Champagner, Christian!“ befahl der Domänenrath.

„Ei sieh, noch eine Ueberraschung,“ rief der Graf, als der alte Christian herbeieilte, um vor Allem das Glas des hohen Herrn zu füllen. „Na, um des frohen Tages willen mag auch Dir noch Dein arger Fehler verziehen sein. Ein ander Mal aber koppele die Hunde besser!“

„Das brauchen mir Erlaucht unterthänigst nicht zu befehlen,“ entgegnete der Alte in seiner geraden Weise. „Meine Pflicht thue ich schon ohnehin.“

„Seht nur, wie stolz! Aber um Deinetwillen hätte ich doch fast meinen Tyras hier verloren.“

„Wenn Erlaucht unterthänigst erlauben, so ist das eine ganz infame Lüge.“

Sämmtliche Anwesende sahen den überkühnen Christian erschrocken an, und auch der Graf wußte einen Augenblick nicht, ob er zürnen oder lachen sollte, entschloß sich aber dann doch weislich zu Letzterem.

„Du bist ein ganz verzweifelt gerader Bursche,“ sagte er endlich. „Sag’, ist es, wahr, was die Leute behaupten, daß Du der gröbste Kerl in meiner Grafschaft bist?“

Christian wiegte erst eine ganze Weile nachdenklich den grauen Kopf.

„Nein, Erlaucht,“ gestand er endlich bescheiden. „Der Herr Präsident hier ist in dem Punkte mehr.“

Der Graf brach über diese unerwünschte Antwort Christian’s in ein munteres Gelächter aus, in das auch die übrigen Anwesenden mit einziger Ausnahme des Herrn von Straff, und Christian’s selbst einstimmten.

„Was ist da zu lachen?“ fragte der unerschrockene Alte endlich verwundert. „Ich kann beweisen, daß ich nicht daran schuld bin, daß der Tyras loskam. Das haben hier der Präsident und sein sauberer Johann auf dem Gewissen.“

„Kerl, wenn Du noch eine solche Lüge vorbringst, so zermalme ich Dich!“ rief der Präsident wüthend, indem er Miene machte, sich auf den Kühnen zu stürzen.

Der Graf aber erhob sich, um den Zornigen mit Ernst zurückzuweisen.

„Sie vergessen wohl ein Wenig, daß ich hier bin?“ begann er. „Ich möchte gebeten haben –“

Aber Christian unterbrach auch seinen Landesherrn, wenn es ihm gutdünkte.

„Ich bitte gnädigst um Verzeihung,“ sagte er, „aber ich werde mit dem Herrn Präsidenten schon allein fertig und brauche keine Hülfe. Also, Herr Präsident: Numero Eins habe ich nie gelogen, wenn es der Herr Oberlandjägermeister nicht befahlen. Numero Zwei, haben Sie es mit Ihrem Johann abgekartet, daß er die Leine unseres Tyras zerschnitt.“

„Christian, ich warne Dich ernstlich, sprich nicht mehr, als Du verantworten kannst,“ mahnte der Graf.

Aber der Alte ließ sich dadurch nicht einschüchtern.

„Das ist der Strick,“ sagte er bedeutungsvoll. „Wer nur ein bischen Hundeverstand hat, der muß sehn, daß die Leine nicht von Tyras zerrissen, sondern mit dem Messer zerrieben ist.“

„Auch ich muß dies glauben,“ erklärte der Domänenrath. „Ich habe das Stück, welches am Halsbande hängen geblieben war, sorglich betrachtet und kam so zu der Meinung Christian’s.“

„Wahrhaftig, so scheint es auch mir,“ gestand nun auch der Graf, nachdem er die Leine eine Zeitlang betrachtet hatte.

„Nein, so ist es,“ beharrte Blümchen. „Denn da habe ich auch das Messer, das an der bewußten Stelle, wo der Tyras loskam, gefunden ist. Dieses Messer aber gehört, wie alle Welt weiß, dem sauberen Herrn Johann, der dort auf dem Bocke sitzt. Fragen Sie ihn nur, Erlaucht! Er wird’s nicht leugnen können.“

Durch die Seele des gewandten Dieners, dem diese letzten Worte galten, zog während dieser Scene eine ganze Reihe von Gedanken. Seinen scharfen Sinnen war kein Wort und kein Blick entschlüpft, und er hatte deshalb mit Schadenfreude bemerkt, daß der Stern seines Herrn entschieden im Sinken und Erbleichen begriffen sei. Was konnte außerdem das frechste Leugnen jetzt noch nützen? Johann entschloß sich also rasch, die reine Wahrheit zu reden.

„Ich kann’s nicht leugnen. Erlaucht,“ räumte er ein, sobald der Graf mit den Beweisstücken in der Hand sich ihm näherte. „Das ist mein Messer, und damit habe ich auch die Leine zum Zerreißen gebracht.“

„Warum?“

„Der Herr Präsident wünschte, daß der Hund die Rehe anfallen möchte, und so –“

„Bei Gott, Du und Dein Herr, Ihr Beide seid keinen Schuß Pulver werth,“ murrte der Graf, indem er dem Bedienten verächtlich den Rücken zuwandte, um zu den übrigen Anwesenden zurückzukehren.

„Danke unterthänigst,“ murmelte Johann; „hätte wahrlich keine Lust, meinen Werth nach diesem fatalen Pulvermaße bestimmen zu lassen. Aber auch nach der Begegnung mit meinem Herrn Präsidenten gelüstet mich nicht besonders. Die beste Kleidung habe ich an. Mag also der Herr Expotentat

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_430.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)