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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

unseren Blicken auf. Heute aber soll ihnen all ihr Locken und Grüßen Nichts helfen. Wie es auch den alten Jenenser heimwehstark hineinzieht in all die Herrlichkeiten der alma mater, heute sei nicht von ihnen gesungen und gesagt, so Vieles und Lustiges auch davon zu berichten wäre; die Gartenlaube wird ihnen später ein besonderes Gedenkblatt widmen. Darum fort mit den Erinnerungen an die „schönen Tage von Aranjuez”, hinweg mit den alten Studentenliedern, die alle wieder wach werden und lustig durch Kopf und Herz klingen! Zum Abschiede aber ein Kännchen Lichtenhainer auf das Wohlergehen und Blühen der fröhlichen Musenstadt und aus warmem Herzen ein aufrichtiges; „Stoßt an! Jena soll leben!”

Hinter uns liegen nun die Thürme und Häuser Saal-Athens; das Dampfroß führt uns weiter den Bergen zu, durch die Gärten der Stadt und durch das „Paradies”, einen von der Saale durchflossenen, vom Schienenstrange durchschnittenen Spaziergang, hinweg über die Stelle, wo die jetzt ganz verschwundene Rasenmühle einst sich erhob, von welcher ein unbekannter Poet so herrlich gesungen hat:

„Lichtenhain und Ammerbach und die Rasenmühle
Sind drei Orte, wo man sich kann gemüthlich fühle.“

Wir fahren vorüber an den „Burgen auf den Bergen“, an den bierberühmten Ortschaften Ziegenhain, Wöllnitz und Lichtenhain, den Sitzen ruhmreicher, uralter Herzogsgeschlechter „von Bieres Gnaden“, während weiterhin oberhalb des Städtchens Lobeda von schroffem Bergscheitel die Ueberreste der Lobedaburg, einer der größten und besterhaltensten Burgen „an der Saale kühlem Strande“, verödet in die freundliche Landschaft herniederblicken. Bald darauf ist die nächste Haltestelle, das Dörfchen Rothenstein erreicht, über welchem sich, steil zur Saale abfallend, eine aus rothen Sandsteinschichten gebildete Höhe, der Rothensteiner Felsen, erhebt. Hier war es, wo im dreißigjährigen Kriege sich ein schwedischer Trompeter, von den Feinden verfolgt, mit seinem Roß in die Saale hinabstürzte, dieselbe glücklich durchschwamm, dann aber, am jenseitigen Ufer angekommen und das Lied „Nun danket alle Gott!” blasend, von einem ihm nachjagenden Croaten erschossen wurde. Von der Spitze des Rothensteiners aus bietet sich eine anmuthige Ansicht auf Thal und Fluß, links hinab bis zu den kahlen Berggestalten von Jena, rechts hinauf bis zu den waldigen Höhen der Thüringer Vorberge, während mitten über dem schönen Bilde auf einem alle anderen Höhen überragenden Vorsprunge der alte Bergfried der stattlichen Leuchtenburg thront. Diese selbst, welche, einer Leuchte gleich, von nun an lange sichtbar bleibt, ist am schnellsten und bequemsten von der nächsten Station der Bahn, dem am Fuße des Dohlensteins malerisch gelegenen Städtchen Kahla, zu erreichen. Der Besuch der wohlerhaltenen Veste ist wegen ihrer entzückend schönen, umfassenden Rund- und Fernsicht auf das Saalthal und die Saalberge bis weithin auf die zahllos in einander überfließenden Waldgipfel Thüringens um so mehr zu empfehlen, als das Zucht- und Arbeitshaus des Herzogthums Sachsen-Altenburg sich nicht mehr hier befindet.

Von Kahla ab verändert sich nun der Charakter der Landschaft; ringsum wird’s grüner, thüringischer; in größeren Zwischenräumen erscheinen Dörfer, deren bescheidenes Aeußere sich den Walddörfern nähert, und statt der kahlen Jenaer Berge senken sich, fast bis zum Fuße mit dunklem Nadelholze bedeckt, die Ausläufer des Thüringer Waldgebirges in’s Thal hernieder. Nur einmal noch, bevor wir in Letzteres tiefer hineindringen, wird das Grün der bewaldeten Kuppen unterbrochen durch den schroff aufsteigenden Sandsteinfelsen, aus dessen langgestrecktem Rücken sich hoch über der Stelle, wo das Flüßchen Orla seine Fluthen der Saale vermählt, das an historischen Erinnerungen reiche Städtchen Orlamünda ausbreitet. „Das thüringische Bethlehem” nennt es das Volk, weil seine Lage der Geburtsstadt Christi so sehr gleichen soll, daß schon nach dem Berichte einer alten „Thüringischen Chronika” Einer von Bünau, „so eine Reise in’s gelobte Land mitgethan”, versichert hat, wer Orlamünda sehe, der sehe Bethlehem in Palästina.

Allein es weht auch ein Hauch bedeutender Vergangenheit durch das alte Städtchen, denn es ist der Stammort jenes mächtigen Grafengeschlechts von Orlamünda, welches am Anfange unseres Jahrtausends über einen großen Theil Thüringens und Frankens gebot, bis nach und nach durch den Uebermuth der stolzen Herren ein Besitzthum nach dem anderen verloren ging, Glanz und Ruhm erlosch und endlich das weitverzweigte Geschlecht gänzlich ausstarb. Dann wurde auch die umfangreiche Stammburg zerstört, und Nichts ist mehr von ihr übrig, als ein am östlichen Ende der Stadt gelegenes, unansehnliches Gebäude, die Kemnate der Burg, die sogenannte Kempte, die, jetzt mit hohem, bürgerlichem Dache versehen, als Speicher benutzt wird. Frau Sage aber hat zugleich Besitz ergriffen von dem zerfallenen Schlosse und die geborstenen Mauern nach ihrer phantastischen Art mit dem üppig rankenden Grün ihrer Märchen umkleidet. Sie läßt durch den einsamen Burghof in mondscheinerhellter Sommernacht eine weiße Frauengestalt wandeln, ein Weib aus dem stolzen Grafenhause, das einst, um ihre Heirath mit dem Burggrafen Albrecht dem Schönen von Nürnberg zu ermöglichen, ihre beiden Kinder aus erster Ehe ermordet haben soll und zur Sühne dieser Unthat nun ruhelos wandern muß durch die Trümmer der Burgen ihres erloschenen Geschlechts; ja, sie bringt diese weiße Gestalt in engste Verbindung mit jenen Burggrafen von Nürnberg, deren Sproß jetzt auf dem neuerstandenen Kaiserthrone Deutschlands sitzt, und läßt sie auch in den getäfelten Sälen des Berliner Schlosses erscheinen und „als weiße Frau nun ihre Schlüsselbündel kollern wenn ein Fleck sich soll verdunkeln an der Sonne Hohenzollern.”

Doch nicht blos die Sage, auch die Geschichte kennt eine Verbindung jener Nürnberger Burggrafen mit dem Orlamündaischen Grafenschlosse, und wieder ist es eine Heirath, eine für das Haus Hohenzollern bedeutsamste Heirath, bei welcher die alte Burg eine Rolle spielt: die im Jahre 1350 erfolgte Vermählung des Burggrafen Friedrich von Nürnberg mit Elisabeth, der Tochter Markgraf Friedrich’s des Ernsthaften von Meißen, der 1344 die Grafschaft Orlamünda käuflich erworben hatte. Die Mitgift der Letzteren aber wurde durch Verpfändung von Orlamünda gewährt, das bis 1358 im Besitze des Burggrafen Friedrich verblieb, während die Plassenburg, die Stammburg der fränkischen Linie der Orlamündaer Grafen, die schon vorher Eigenthum Friedrich’s war, von Letzterem seiner „zukünftigen ehelichen Wirthin zur Bewitthumung assigniret” wurde. Jene Elisabeth aber wurde die Mutter des ersten Kurfürsten von Brandenburg und damit die Stammmutter des kaiserlichen Hauses der Hohenzollern. Vielleicht veranlassen diese Erinnerungen, welche der trotzig in’s Thal schauenden Kempte ein historisches Interesse verleihen, manchen Saalbahnfahrer, dem an anmuthiger Umgebung und mancherlei Ueberresten aus alter Zeit reichen Städtchen, in welchem sich auch später ein kleines Stück Reformationsgeschichte, deren Held der Orlamündaische Pfarrer und Bilderstürmer Andreas Bodenstein war, abgespielt hat, einen Besuch zu widmen.

Nun verschwinden bald die Sandsteinfelsen Orlamündas, und der Zug braust durch eintönige, nur durch die helle Weißenburg, welche früher ebenfalls Eigenthum und Wohnort der Orlamündaischen Grafen war, belebte Gegend, bis sich hinter der nächsten Station, dem hart am Flusse gelegenen Dorfe Uhlstädt, das Thal weiter ausbreitet und das stattliche Schloß von Rudolstadt und kurz darauf auch die freundliche Stadt selbst sichtbar wird. Ihr namentlich und ihren zu wenig gewürdigten landschaftlichen Reizen wird der Schienenweg die gebührende Beachtung bringen. Denn wie herrlich ist schon die Lage der kleinen Residenz in dem von einem Kranze grüner Waldberge umrahmten Thale am Ufer der rauschenden Saale, überragt von dem auf einem Bergvorsprunge sich erhebenden Schlosse, der imposanten Heidecksburg! Wie schön liegt auf den Boden, den vor Kurzem noch die Wellen des Flusses bedeckten, der Bahnhof neben den schattigen Lindenalleen des Angers, des Brennpunktes des Lebens der Rudolstädter! Dazu rings auf den Höhen all die blühenden Berggärten mit schmucken Villen und Gartenhäuschen, ferner der Hain, ein Park auf dem westlich vom Schlosse sich ausdehnenden, mit Laub- und Nadelholz bewachsenen Bergrücken voll prächtiger Anlagen und Aussichtspunkte! Und weiter nah und fern Spaziergange der erfrischendsten Art und von allen Höhen herrliche Blicke auf Stadt und Fluß, auf Berg und Thal, so schön und lieblich, daß schon Kaiser Karl der Fünfte von Rudolstadt rühmte, er glaubte ein Bild des schönen Galliens vor sich zu haben. Und − merkwürdig − wie am Eingange des Saalthales Dornburg dem greisen Goethe ein erwünschtes Asyl bot, so hat am Ausgange desselben der in jugendlicher Manneskraft stehende Schiller hier in Rudolstadt und in dem nahen Volkstedt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_435.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)