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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


hier werden nur Spielpapiere zu festen Coursen gehandelt. Im Vergleiche mit diesem Schauspiele ist das sonstige Treiben der Börse still und matt zu nennen. Hier wird eine Schlacht geschlagen; hier tobt ein Kampf wie einst vor Troja, mit lautem Rufen im Streite. Man stürzt hin und her; man springt auf die Sitze; man steht einander fast auf den Köpfen. „Wer kauft Credit?“ „Wer hat Credit?“ „Ich nehme Franzosen mit 61/4.“ „Ich gebe Lombarden mit 21/2.“ (Der Kürze wegen werden im Laufe des Geschäfts blos die Einer und Bruchtheile gerufen, während man die Zehner und Hunderte als bekannt voraussetzt.) „Wie steht Credit?“ „Was gelten Lombarden?“ „Ich brauche Credit bis 75/8 – So schallt es wild durch einander, wild und ununterbrochen. Die Rufer im Streite, welche, das Notizbuch und den Bleistift in der Hand, wie besessen hin- und herspringen, sind die Pfuschmakler, und ihr Dienst ist wirklich anstrengend. Die Meisten leiden an ewiger Heiserkeit; Einige sehen bedenklich schlagflüssig aus; Manche verlieren binnen ein paar Jahren völlig die Stimme und müssen dann nothgedrungen ihren Abschied nehmen.

„Rumänier (Rumänische Eisenbahn-Actien) zu 331/2,“ ruft ein dünnes Männchen mit schriller Stimme und plappert es in einemfort, ohne den Athem anzuhalten. Mit 331/2 bietet er Rumänier aus. Herr Cohn, der sich noch immer an unserer Seite befindet, macht plötzlich gegen das Männchen eine Wendung und spricht: „50,000 (Thaler) von Ihnen.“ Nun brauchte der Andere blos zu antworten: „An Sie!“ und das Geschäft wäre rechtsgültig abgeschlossen. Aber nein, er blickt Herrn Cohn nur grinsend in’s Gesicht und versetzt mit demselben breiten Grinsen: „Reden Sie doch keinen Stuß!“ Herr Cohn lächelt gleichfalls, murmelt mit offenbarem Wohlwollen: „Alter Spitzbube!“ und geht weiter. Das Männchen aber nimmt seinen Ruf wieder auf, und Herr Cohn erklärt uns dieses Räthsel, indem er bemerkt: „Der Alte braucht selber Rumänier, darum schreit er sie herunter.“ – „Credit! Ich kaufe Credit!! Ich nehme 50 (Stück) Credit mit 71/2!!!“ brüllt ein großer Mann, ebenso schön anzusehen wie Thersites, und mit einem ebenso melodischen Organ ausgerüstet. „Ich gebe sie franco (ohne) Courtage,“ bemerkt ein modischer Jüngling. „Mit! Sonst verdiene ich nichts,“ brummt Thersites. „Franco!“ wiederholt der Modische. Thersites besinnt sich noch einen Augenblick, dann kritzelt er in sein Taschenbuch, spricht „Gemacht!“ und stürzt sich wieder in die Schlacht.

Unter der Coulisse ist jedes Alter, vom Milchbart bis zum Greise, vertreten, und sie rekrutirt sich aus den verschiedensten Ständen. Hier ist Mancher, der „seinen Beruf verfehlt hat“, manche „catilinarische Existenz“. Viele sind noch Neulinge, Andere erfahrene bemooste Häupter. Die gewöhnlichen Coulissiers beschränken sich in ihren Abschlüssen auf mäßige Summen und spielen thatsächlich um das tägliche Brod. Die da selbstständig vorgehen und größere Operationen unternehmen, heißen Faiseurs, aber augenblicklich fehlt es an solchen sehr. Dort sitzt ein Kerlchen, gelb wie eine Quitte, mit klugen stechenden Augen. Der Mann sitzt wie ein bevorrechteter Stammgast unmittelbar vor dem Makler, dem er fortwährend Aufträge ertheilt und den er fast allein beschäftigt. Seine Glaubensgenossen, die Baissiers, sehen mit Bewunderung zu ihm nicht hinauf, dazu ist er zu klein – aber doch hinunter, und richten sich nach ihm, wie die Heerde nach dem Leithammel. Herr Levi – so heißt er, wenn wir nicht irren, – verkauft ein 50 Stück Credit und ein 100 Stück Lombarden nach dem andern. Aber er verkauft nicht blos; er kauft auch wieder; er kauft fast ebenso oft – „um sich zu decken“, wie es in der Börsensprache heißt. Der Cours steigt und fällt wie die Meereswogen. Herr Levi hat sich „gedeckt“ und „fixt“ von Neuem frisch darauf los. Er glaubt an die Baisse, und in diesem Glauben scheint sich auch der allergrößte Theil der Börse zu befinden.

Die Mehrzahl der Jobber, wie die bloßen Spieler genannt werden, hält nicht lange Stich, sondern verschwindet etwa binnen Jahres-, ja häufig schon nach Monatsfrist, und sie werden nur dann vermißt, wenn sie, was sich nicht zu selten trifft, die Differenzen schuldig geblieben sind. Wie man behauptet, sollen die Haussiers besser als die Baissiers oder Fixer gedeihen, aber – genauer besehen – spinnen die Jobber überhaupt keine Seide. Sie bereichern nur die Banquiers und die Makler, und die kleinen Speculanten werden fast regelmäßig von den großen aufgefressen.

Allerdings gelten die Zeit- oder Differenzgeschäfte nicht für ganz reinlich und zweifelsohne. Sie werden nicht im amtlichen Theile des Courszettels, sondern in einem Nachtrage notirt, und hauptsächlich durch Pfuschmakler vermittelt. Dessen ungeachtet beherrschen sie die ganze Börse, geben täglich Stimmung und Haltung derselben an, setzen Hausse oder Baisse auch für alle übrigen Papiere in Scene.

Ein Uhr.

Das Geschäft hat seine Höhe erreicht. Durch das Gewühl und Gedränge winden sich fortwährend die Boten des in einem Nebenzimmer befindlichen Telegraphenbureaus, und alsbald ist der Fußboden mit Couverts bedeckt. Der Empfänger wagt das Telegramm nur ein Viertel auseinanderzufalten und liest es dicht vor dem Gesicht, damit ein Nachbar rechts oder links nicht etwa hineingucke. Will Einer dem Anderen etwas allein sagen, so packt er ihn beim Kopfe und flüstert ihm in’s Ohr. In gleicher Weise verkehren auch die Ausläufer und die „jungen Leute“ mit ihren Chefs, denen sie Meldungen abstatten, oder von denen sie Befehle erhalten. Die „Häuser“ und die „großen Häuser“ sitzen in stolzer Zurückgezogenheit auf ihren Plätzen, tauschen dann und wann eine Bemerkung aus, beobachten ruhig und winken ihre Angestellten heran, denen sie zuweilen nur ein Wort sagen oder mit den Augen ein Zeichen machen, worauf gewöhnlich irgendwo eine Bewegung entsteht, gewisse Effecten in „Posten“ (großen Summen) gekauft oder verkauft werden, bald so heimlich wie möglich, bald mit absichtlichem Geräusch.

In der Ecke neben dem Büffet, am sogenannten Moritzplatz, werden die „Schundpapiere“, z. B. federleichte Eisenbahnen wie Rhein-Nahe, Lüttich-Limburg, Schweizer Union Tamines-Landen, auf Zeit, oder eigentlich „auf Stunde“ gehandelt. Hier hat eine armselige Sorte von Pfuschmaklern Posto gefaßt, die von Stunde zu Stunde um eine Kleinigkeit speculiren, die sich untereinander 1 bis 2 Thaler abnehmen, und bei einem Verluste von 5 Thalern „ausbleiben“.

Während die Beamten, denen „die Erhaltung und Handhabung der äußeren Ruhe, der Ordnung und des Anstandes obliegt“, fernab von dem lärmenden Treiben ein verstohlenes Mittagsschläfchen halten, belegen sich im „Lombardenviertel“ ein paar erhitzte Jobber mit den schwersten Ehrenkränkungen und gehen wohl auch zu Maulschellen über. Im „Lombardenviertel“ herrscht allgemeine Redefreiheit; Verbal- und Realinjurien werden als selbstverständlich gegeben und empfangen; sie kommen zu häufig vor, als daß man deswegen klagen, als daß man deshalb sich beleidigt fühlen sollte. – Von Zeit zu Zeit gehen die „Berichterstatter der Presse“ durch den Saal, um über den Stand der Geschäfte Erkundigungen einzuziehen.

Zwei Uhr.

Die Börse ist officiell zu Ende. Die „Häuser“ und die „großen Häuser“ haben sich schon vorher entfernt, jetzt leert sich allmählich der Saal. Die vereideten Makler ziehen sich zurück, um die Course festzustellen. Jeder Makler handelt nur in bestimmten Effecten, und jedes Papier wird von zwei, drei und mehr Maklern gehandelt, welche den Cours gemeinschaftlich machen, indem sie die erhaltenen Aufträge zu An- und Verkäufen gegen einander abwägen.

Unter Vergleichung der verschiedenen unlimitirten, limitirten und festen Aufträgen einerseits, des vorhandenen Materials und beziehentlich der vorhandenen Käufer andererseits, ermitteln die Makler gemeinschaftlich für jedes Papier den sogenannten Mittelcours, welcher nun für die limitirten wie für die unlimitirten (aber nicht für die festen) Ordres zur Ausführung kommt und der auch in den amtlichen Courszettel aufgenommen wird. Selbstverständlich fällt der Cours, je mehr Waare am Markte ist, und er steigt, wenn die Käufer überwiegen. Nach Rückkehr der Makler werden die festgestellten Mittelcourse an den verschiedenen Schranken ausgehängt und von den Reportern der Zeitungen abgeschrieben. Inzwischen geht der Handel im „Lombardenviertel“ mit ungeschwächten Kräften fort.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_458.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)