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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


haben die Kinder nicht mehr zu einander gelassen, aber das Vertragen ist halt doch nicht zugetroffen. Wie sie in der Schul’ einand’ wieder zu Gesicht bekommen haben, ist der alte Tanz wieder angegangen; der Schulmeister hat seine liebe Noth gehabt mit dem Paare und wir Eltern mit. Erst wie sie größer geworden sind, haben sie sich nichts mehr gethan, aber sie sind einander ausgewichen und in den letzten fünf, sechs Jahren haben sie einander gar nicht mehr gesehen, glaub’ ich, und es ist wohl auch das Beste, wenn es so bleibt.“

Mit allen Zeichen der Verwunderung hatte der Hochzeitlader den Bericht des bekümmerten Vaters vernommen. „Da hab’ ich freilich mit der Hand in die Kohlen geschlagen,“ rief er am Schlusse, „wer kann aber auch an so was denken; närrischer könnt’ man sich’s schier nimmer träumen lassen. Da weiß man wahrhaftig nicht, wo man mit der Verwunderung anfangen und wo aufhören soll.“

Dennoch stand ihm noch Wunderbareres bevor; im Hofe vor der Gräd’ führte ein Knecht ein Paar frische Braune heran, um sie an das Schweizerwägelchen anzuschirren: die vom Bauer zur Abfahrt auf den Diessener Markt bestimmte Stunde war gekommen. Er stand auf und auch der Hochzeitlader schickte sich an, den Schweißfuchs wieder zu besteigen.

Aus der Thür des Hauses trat Kuni, zur Ausfahrt in vollen Sonntagsstaat gekleidet. Rock und Mieder von schwarzem Wollstoffe umgaben reich und weich die stattliche Gestalt. Das Mieder war oberhalb der Brust offen und durch einen hochrothen, mit Goldborten besetzten Brustfleck und eine Art Silbergeschnüre zusammengehalten. Um den Hals schlang sich ein schwarzes Flortuch mit breiter filigranener Schnalle; ein blendend weißes Fürtuch, von Spitzen eingefaßt, bedeckte den Leib, und auf dem reichen Haargeflechte saß leicht und keck das schwarze Sammetmützchen mit dem goldenen Kranze darüber und der breiten Verbrämung von dunklem Pelzwerke.

Der Eindruck ihrer Erscheinung war so liebenswürdig und gewinnend, daß der Hochzeitlader beim Aufsteigen mit dem einen Fuß im Bügel innehielt, um sie zu betrachten, und daß auch des Vaters Blick mit sichtlichem Wohlgefallen auf ihr haftete. Der Eindruck wurde noch gesteigert durch die Art, wie sie näher kam. Langsam, fast schüchtern, mit niedergeschlagenen Augen, ein hohes Roth der Befangenheit auf den Wangen, trat sie vor den Alten hin und bot ihm die Hand.

„Bist harb auf mich, Trompeterfranzel?“ fragte sie herzlich. „Ich bin recht schiech gewesen mit Dir und recht dumm. Du hast ja nicht wissen können, daß ich davon nichts hören mag. Schau, wenn’s geschieht, ist mir gerade, als wenn mir Jemand ein zweischneidig’s Messer mitten durch’s Herz stoßen thät. …

Verzeih’ mir’s halt, und wenn ich wirklich einmal heirathen müßt’, dann soll kein Anderer zu meiner Hochzeit einladen als Du, das versprech’ ich Dir.“

Der Alte war von der plötzlichen Umwandelung und dem schmeichelnden Tone so ergriffen, daß ihm das Wasser in die Augen schoß und er ihr nur stumm die Hand schütteln konnte.

Noch ein paar flüchtige Abschiedsworte wurden gewechselt, dann sauste das Schweizerwägelchen davon; auch der Hochzeitlader saß im Sattel, aber er hielt sein Pferd noch an und blickte dem dahinrollenden Wagen nach. „Bei der ist noch April im Kalender,“ sagte er kopfschüttelnd, „und der April treibt sein Spiel wie er will. Wie’s bei der wohl einmal aussieht, wenn’s Mai geworden ist – oder gar Juni!

Der Wind der dreht sich um Sanct Veit.
Da legt sich’s Laub auf die andere Seit’.

Schad’ ist’s aber doch, daß es mit dem Vest’l nichts werden kann – das wär’ so ein Paarl; mit einem schönern könnt’ ich meine Hochzeitladerei nicht beschließen, das ist gewiß.“

Das stattliche Gefährt des Schlösselbauern hatte bald die Ebene erreicht und rollte nach einem kurzen Stündchen schon zwischen den ersten kleinen Häusern des Marktfleckens Diessen dahin, über welchem das einstige Augustinerstift, längst in einen Edelsitz verwandelt, so freundlich emporsteigt, als habe es die alten Zeiten noch nicht vergessen, da ihm die Ansiedelung zu seinen Füßen zu Wacht und Schutz empfohlen war.

Der sonst so stille Ort hallte wieder von ungewöhnlichem Leben, und in der Hauptgasse, wo die Holzbuden der Krämer aufgestellt waren, vor und zwischen denselben drängte sich die bäuerliche Bevölkerung, bewundernd, feilschend und kaufend; die klugen Handelsleute wußten gar wohl ihre Waaren so zu wählen und so zu ordnen, wie der Bauer sie bedurfte und wie sie seinem Geschmack zusagten, dem häufig das Grelle und Bunte am besten gefällt. Farbige Bänder waren in zierlichen Bogen und befranzte Seidentücher wie wehende Fahnen aufgehangen; die Tuchpäcke lagen so geordnet, daß die dunklen Stücke immer einem scharlachrothen zur Folie dienten, das zur Weste unentbehrlich, oder einem hellblauen, wie es vielfach zu den Langröcken beliebt war. Durch derbe Schuhwaare, Holz- und Eisengeräth, dessen man in Haus und Feld bedurfte, Hüte und Pelzmützen wurde das Waarenlager vervollständigt, und zum Ueberflusse boten ein paar fliegende Buden reichliche Gelegenheit, die Kinder mit Zuckerwerk und vor Allem mit dem ersehnten „Lebzelten“ zu verseh’n. Auch für Schaulust und Unterhaltung war gesorgt; ein welscher Bilderhändler hatte an einer Schnur allerlei bunte Heilige und Mordscenen aus irgend welchen Schlachten aufgehangen und darunter sogar ein Brett voll Gypsfiguren angebracht, dessen Hauptzierde noch immer Napoleon war, in Reitstiefeln, die Arme gekreuzt und das Hütchen auf dem Kopfe. Zwei Künstlergruppen sangen zur Drehorgel die gräulichen „Morithaten“ ab, die auf Stangenbildern nicht minder gräulich abconterfeit waren, eine dritte aber, welche im stolzen Besitze eines Kameels, einiger rothröckiger Affen und eines besonders kunstgeübten Tanzbären war, riß durch ihre Leistungen vollends zur Bewunderung hin. Das Gedränge war ungewöhnlich, denn auch aus entfernteren Gegenden waren Jahrmarktsgäste gekommen; wenn auch auf den meisten Köpfen die Pelzmütze und der niedrige am oberen Theile aufgebürstete Hut mit der Goldschnur und Troddel saß, ließ sich doch auch der schwäbische Spitzhut und die bebänderte Backenhaube zahlreich erblicken und erinnerte daran, wie nahe die Grenzlinie lag, welche den feinen Schwabenstamm von jenem der derberen Baiern scheidet. Auch Joppe und Spitzhut mit Hahnenfeder und Gemsbart fehlten nicht und zeigten, daß auch die Bergler aus dem Vorlande dem Reize nicht widerstanden hatten, den lustigen Diessener Markt zu besuchen, wo es im Wirthshause zum „Maurerhansel“ ein preiswürdiges Bier gab, fröhliche Gesellschaft und einen Tanz, wie er weit und breit nicht lustiger zu finden war. Ueber das Summen und Sausen der wandelnden Menge hinweg und in das Quieken der Drehorgel hinein tönte manchmal ein einzelner Horn- oder Clarinetten-Ton, je nachdem einen der schon wartenden Musikanten die Lust anwandelte, Ton und Stimmung seines Instruments zu versuchen. Im oberen Stockwerk beim „Maurerhansel“, wo der Tanzboden war, hart über den Wipfeln der zu beiden Seiten des Thores aufgepflanzten Fichtenbäume, sah der Hals der angelehnten Baßgeige hinaus, als ob er ebenfalls warte und den Tänzern und Tänzerinnen entgegen zu sehen strebe.

Unten in der Zechstube und dem Vorplatze des Hauses hatte sich schon eine ansehnliche Schaar von Gästen eingefunden, meist junge Bursche, die sich bei Bier und Gesang auf die noch kommenden Genüsse vorbereiteten und zu denselben anfeuerten. Sie mochten schon Ansehnliches geleistet haben, denn die Köpfe waren bereits geröthet und erhitzt, die Hüte näher an’s Ohr gerückt, und die Schnaderhüpfeln und Trutzreime flogen immer rascher von Tisch zu Tisch, wie Wespen die summend nur auf den rechten Augenblick warten, um den Stachel zu gebrauchen. Der Gesang war nicht eben lieblich anzuhören; er bewegte sich in sehr hoher Stimmlage und einförmig leierndem Tone: der rechte Gesang dieser Liedchen ist nur tiefer in den Bergen, nicht aber in den Vorlanden heimisch – aber wenn er auch fremden Ohren minder angenehm klang, den Sängern selber gereichte er dafür zu desto innigerem Vergnügen. Die kurzen, meist im Augenblick entstehenden Absätze bildeten eine Art Unterhaltungssprache, in der man sich die lächerlichen Vorkommnisse der letzten Wochen erzählte, darüber spottete und witzelte, sich gegenseitig herausforderte und die Lustigkeit zu immer höherem Wellenschlage steigerte.

Auch in der Stube selbst fehlte es nicht an einem Gegenstande, der dazu willkommenen Anlaß bot. In einer Ecke, so weit wie möglich von allen Uebrigen abgesondert, saß ein hübsches, halb städtisch, halb ländlich gekleidetes Bauernmädchen mit einem jungen Bauernburschen, der in jeder Beziehung ihr würdiges Seitenstück war. Sie war dunkeläugig und schwarz von Haar, lebhaft von Bewegung und Blick; sein hellblonder Krauskopf und seine blauen Augen stimmten vortrefflich zu seinem mehr ruhigen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_466.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)