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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


dagegen nicht übel Lust zu haben, als Vermittlerin aufzutreten, es bedurfte dessen aber nicht, denn gerade in der entscheidenden Minute, wo die Sache eine bedenkliche Wendung nehmen konnte, war die Thür mit Gewalt aufgestoßen worden, und ein junger Mann in soldatischer Uniform war eingetreten. „Auseinander! Da wird nichts gerauft,“ rief er mit echter Commandostimme, ging aber auch sogleich daran, die Ausführung seines Befehls in’s Werk zu setzen. Mit Einem Rucke der kräftigen Arme nach rechts und links waren die Streitenden auseinander gedrängt, daß sie kaum wußten, was ihnen geschah, und neugierig von selbst in ihrem Ringen innehielten.

Der junge Mann trug die schöne Kleidung der griechischen Ulanen von blauem Tuche mit karmosinrothem Aufschlage und Brustlatze. Ein schöner Kalpak von gleicher Farbe mit weißem hängendem Haarbusche saß auf dem keck aufgeworfenen Haupte. Reiche blinkende Fangschnüre hingen gefällig um Schulter und Brust.

Der Ulane hatte sich eben durch den Schwarm hindurch gearbeitet, als Kuni von der andern Seite sich demselben näherte. In der Mitte ihres Weges trafen Beide zusammen und standen sich plötzlich und unvermuthet hart gegenüber. Ein Augenblick[WS 1] stummen gegenseitigen Betrachtens folgte, dann wie ein aufzuckender Blitz ein Moment des Erkennens – im dritten funkelte es unheimlich in Beider Augen, als habe der Strahl dort eingeschlagen und gezündet. Um ihre Lippen spielte ein Lachen, aus Hohn und Haß gemischt, und mit einer Geberde gleichgültiger Nichtachtung hätten sie sich von einander abgewandt.

Raschen Schrittes, mit glühenden Wangen und fliegendem Athem verließ Kuni die Stube. In gemessenem Gang, den Kalpak zurecht setzend, als wäre er verrückt worden, folgte der Ulane; auch Mechtild mit dem Hochzeiter fand es gerathen, sich ihm wie einer Sicherheitsescorte anzuschließen.

Mit lautem Jubel, als wären sie Sieger, behaupteten die Bursche das Schlachtfeld und kehrten zur alten Unterhaltung zurück, hatte dieselbe doch neuen, noch anziehenderen Stoff gefunden. Wohl war von dem eigenthümlich feindseligen Verhältniß, in welchem Sylvest und Kuni zueinander standen, unter den Leuten nicht viel bekannt geworden, aber etwas hatte doch durchgesickert, wie feuchter Grund eine verborgene Quelle anzeigt, und so konnte es nicht fehlen, daß in dem einen oder anderen der Bursche, die mit Sylvest von gleichem Alter waren, durch die auffallende Eigenthümlichkeit und abstoßende Kälte dieses Begegnens Erinnerungen aus der Bubenzeit wieder aufwachten und allerlei Vermuthungen Nahrung gaben. Es währte nicht lange, so hatte der Stoff sich auch schon in die Form des Liedes gefunden, und lustig klang es den Enteilten nach, wenn sie es auch nicht vernahmen:

„Und ein Hund und ein’ Katz
Haben bei einander nit Platz,
Und der Hund, der thut beißen,
Und krallen de Katz.“




2.


Sanct Galli Tag
Soll jeder Apfel in sein’ Sack.

Mit einem Lächeln auf dem heißen, müden Angesichte war der Sommer entschlafen – lächelnd, wie durch erquickenden Schlummer gestärkt, war der Herbst erwacht und hatte sich rasch an sein Tagewerk gemacht, die Früchte zu ernten, die jener reich und schön wie selten zur Reife gebracht. Schon war er damit nahezu am Ziele und schickte sich an, von den Scheuen und Speichern, die er gefüllt, selbst wieder Abschied zu nehmen, den Abhang seines Wirkens hinunter zu schreiten und dem Winter Platz zu machen, damit dieser mit Ruhe und Stille den Fluren die Kraft wieder gebe, einen neuen Frühling keimen zu lassen. Die Freude und der Segen Aller, die er erfreut und bereichert, gab ihm das Geleit: man sah im ganzen Gau nur heitere Gesichter; das Fest der Sichelhenk und des Schnitthahns war fröhlicher begangen worden, als in vielen Jahren geschehen, und selbst die Natur schien sich der glücklichen Menschen zu erfreuen, denn obwohl bereits die rasch abnehmenden Tage verkündeten, daß der October seine nebelreiche Herrschaft begonnen hatte, war doch der Himmel so sonnig und blau und die Luft so mild und weich, daß Wiesen und Fluren noch im vollsten Grün eines Spätfrühlings prangten und nur hier und da in den Wäldern eine vergilbende Birke oder das geröthete Laub einer Buche verrieth, wie nahe vielleicht das Ende all dieser Herrlichkeit sein mochte.

Es lag im Sinne des Volkes, seine Freude auch durch kirchliche Festlichkeiten kund zu geben, und Wallfahrten zum Danke für die gesegnete Ernte waren, wie noch bis zur Stunde, das beliebteste Mittel, die Andacht mit dem Vergnügen zu verbinden. Der Hauptort, wohin diese Züge sich richteten, war die am entgegengesetzten Ufer des Ammersees vom hohen Berge weithin sichtbare Kirche von Andechs, vom Volke der heilige Berg geheißen und in grauen Zeiten der prangende Herrschersitz der Grafen von Andechs, die sich auch Herzöge von Meranien genannt, aber nach kurzer Macht und Pracht untergegangen waren, ohne etwas anderes zurück zu lassen, als einen fast zum Märchen gewordenen ruhmvollen Namen.

Die Glocken der mächtigen Kirche hatten eben mit ihren feierlichsten Klängen einen solchen Wallfahrerzug empfangen. Es war die Gemeinde, zu welcher der Schlösselbauernhof gehörte; der Besitzer desselben fehlte daher in dem Zuge so wenig, wie Kuni in der Nähe der Prangerinnen. Die Riesenkerze war der verlobte Dank und das Opfer für die reiche Ernte. Auch von anderen Orten waren bereits ähnliche Züge eingetroffen. Die Kreuze und Fahnen glänzten im Laube der um die Kirche stehenden Lindenbäume, indeß ihre Träger und die Wallfahrer, die den andächtigen Theil ihres Tagewerks bereits hinter sich hatten, auf dem Rasen vor dem damals unbewohnten Kloster herumsaßen und sich glücklich priesen, wenn sie zu dem mitgebrachten Mundvorrathe einen Krug Bier aus dem Wirthshause erobern konnten, das in seinen nicht unansehnlichen Räumen kaum hinreichte, dem zehnten Theile der dürstenden Frommen Aufnahme zu gewähren. Viele zogen es daher vor, in das nahe Dorf zurückzukehren, dessen Häuser sich an solche Tagen für Freunde und Bekannte in ebenso viele Herbergen verwandelten.

Unter diesen Auswanderern befand sich auch der Grubenmüller mit Tochter und Bräutigam; wäre auch die Nachbarschaft nicht gewesen, die sie mit den Wallfahrern verknüpfte, so hätte das herrliche Wetter zu einem Vergnügungsausfluge eingeladen; das junge Paar war immer zu einem solchen bereit, erhielt es doch durch denselben Gelegenheit zu ungestörtem Beisammensein, die sich außerdem seltener bot, denn die Hochzeit, die schon so nahe angesetzt gewesen war, hatte sich durch eine Reihe zufälliger Umstände verzögert und war zu nicht geringem Staunen und Kopfschütteln der Geladenen um einige Wochen verschoben worden. Ein starkes Gewitter, das sich in einer Art Wolkenbruch entladen, hatte in der Grubenmühle arge Verwüstung angerichtet, so daß über der Ausbesserung an den Einzug eines neuen Herrn nicht wohl zu denken war; eine Schwester des Müllers hatte durch ihren Tod Trauer in’s Haus gebracht – die Hauptveranlassung aber lag wohl in den beiden Brautleuten selbst. Wenn sie von einander entfernt waren, sehnten sie sich nacheinander, wie ein Paar jener Vögel, die man die Unzertrennlichen nennt; waren sie einige Stunden beisammen, so kam es jedesmal unter ihnen zu einem Zanke oder Zwiste, der zwar immer mit einer Aussöhnung endete, aber ohne daß dadurch für das nächste Begegnen ein ähnlicher Vorgang ausgeschlossen wurde; es war ein böser Samen aufgegangen in ihrem Liebesgarten, der, so oft auch das emporschießende Unkraut abgeschnitten wurde, immer neu aufwucherte, weil die Wurzel zurückgeblieben war. Die Liebenden selbst waren davon am wenigsten unangenehm berührt; sie wußten ja doch, daß sie sich angehörten, und lag doch ein eigener Reiz darin, nach dem Schmollen und Grollen sich immer lieben zu wollen; desto ärgerlicher waren die Zwistigkeiten dem Müller, der manchmal vermittelnd eingriff und es vortrefflich zu machen glaubte, wenn er Mechel eine „geschupfte Dingin“ nannte, die nächstens überschnappen werde, oder Zachariesel einen Lappen schalt, der sich keinen Respect zu verschaffen wisse.

Auf dem Wege zum Dorfe nahm ein Bekannter, der den Dreien begegnete, den Müller in Beschlag. Mechel und Zacharias gingen langsam voran. Es hatte wieder die gute Stunde für sie geschlagen, und sie gewahrten darüber kaum, daß er nach kurzem Gespräch ihnen nacheilte, mit einer Miene, welche schon von Weitem verrieth, daß seine Unterhaltung nicht so angenehmer Art gewesen war, als die ihrige. „Jetzt hab’ ich die Geschicht’ einmal satt bis an den Hals,“ rief er, als er die Beiden erreicht hatte; „jetzt muß einmal ein End’ hergehn; in sechs

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: „Augenbiick“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_487.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2019)