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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


nicht aussprach, sagten seine Blicke desto deutlicher. Auch der Vater ließ sich mit Behagen erzählen, wie auf dem Hofbräuhauskeller unlängst ein so herrliches Fest gefeiert worden sei und wie er einen Finger aus der Hand darum hätte geben wollen, wenn der Herr Grubenmüller dabei hätte zugegen sein können. Darüber war Mechtild allmählich kühler und gleichgültiger geworden, und ihre Blicke richteten sich immer öfter dahin, wo sie Zacharias bemerkt hatte, aber der Platz war leer. Sollte er wirklich im Stande gewesen sein, seine Drohung zu erfüllen? Hätte er es wirklich vermocht, fortzugehen und sie allein zu lassen ohne „Grüß Gott“ und „behüt’ Dich Gott“? Je länger sie sich umsah, je peinlicher ward ihr zu Muthe. Zorn und Kränkung wechselten in ihr; zuletzt vermochte sie nicht mehr auf ihrem Sitze zu verbleiben und mahnte den Vater, wie es nun Zeit sei, aufzubrechen, und wie sie noch beim Krämer des Orts allerlei zu fragen und zu besorgen habe. Der Müller erhob sich ohne Widerrede, und der Geometer gab ihnen bis an die Stufen das Geleit; „Auf Wiedersehen“, rief er ihnen zu und sah ihnen mit eigenthümlichem Lächeln nach; es mochten auch eigenthümliche Gedanken und Bilder sein, die sich ihm an diese Hoffnung des Wiedersehens knüpften. Dann kehrte er nach seinem Sitze zurück, nahm das Brodmesser und kritzelte nachdenklich auf der Tischplatte herum; es währte geraume Zeit, ehe er mit den Gedanken, die ihn beschäftigten, so weit im Reinen war, daß er der Gesellschaft an den andern Tischen einige Aufmerksamkeit, und ihrem laut genug geführten Gespräche Gehör schenken konnte.

Dort saßen unmittelbar am nächsten Tische einige Bauersleute; bei ihnen ein hübscher, soldatenhaft aussehender Bursche mit weißem Brustschurze, dem Zeichen, daß es sein Geschäft war, die Gäste zu bedienen und im Pferdestalle behülflich zu sein.

Eben trat der Trompeterfranzel, der Hochzeitlader, hinzu und begrüßte ihn mit lauter Stimme und freundlichem Handschlage. „Grüß’ Dich Gott, Sylvest!“ rief er, „freut mich, daß ich Dich da find! Hab’ es schon gehört, daß Du die Hulanenuniform ausgezogen hast und willst wieder ein Bauer werden. Hast aber nichts verloren bei dem Tausche, stichst auch im Bauernkittel alle anderen Bursche aus und allen Mädeln in die Augen.“

„Du lobst mich für nichts und wider nichts,“ entgegnete Sylvest lachend; „ich veracht’ den Bauernstand nicht; es ist nach meinem Sinne der schönste Stand auf der Welt, aber wenn ich auch den Ulanen wieder ausgezogen habe, ein Reiter bin ich doch geblieben und hab’ meine meiste Freud’ mit den Rossen. D’rum hab ich mich auch hierher zum Wirthe verdingt, da hab’ ich viel mit den Rossen zu thun – einen Bauernknecht zu spielen, das lustet mich gerad’ nicht mehr.“

„So mußt halt schauen, daß Du statt des Bauernknechts den Bauern spielen kannst,“ rief der Hochzeitlader, erfreut über die Wendung des Gesprächs. „Mußt halt einheirathen, wo man einen richtigen Bauern braucht. Weißt keinen Hof, wo eine einschichtige Täubin sitzt? Man hat oft gar nit weit zu geh’n, bis man einen findet.“

„Damit hat’s gute Weil,“ rief Sylvest lachend und doch etwas verstimmt; die Rede des Alten hatte ihn an ein Zusammentreffen erinnert, das er, so unangenehm es ihm war, nicht mehr aus dem Sinne brachte. Er hatte nicht die volle Wahrheit gesagt: nicht bloß die Vorliebe für Pferde und die Abneigung, als Bauernknecht arbeiten zu sollen, hatte ihn von dem väterlichen Buchmaierhofe vertrieben – er war gegangen, um der Nachbarschaft des Schlösselbauerngutes auszuweichen, dessen Bewohnern er nicht begegnen wollte und voraussichtlich doch unvermeidlich begegnen mußte. Draußen im fernen Griechenlande unter fremden Menschen hatte er seine Feindin und seinen Haß beinahe vergessen. Er hatte ihres Daseins kaum mehr gedacht; um so lebhafter wachte die Erinnerung und mit ihr die alte Abneigung auf, als sie ihm unerwartet und plötzlich gegenüber stand. Er mußte sich selber gestehen, daß sie sich sehr verändert hatte und daß die Veränderung keineswegs zu ihrem Nachtheile gerathen war, zugleich aber stand fest, daß sie demungeachtet im Grunde dieselbe geblieben: diese blauen Augen hatten ihn so trutzig angesehen, dieser Mund ihn so übermüthig angelacht, wie in der Bubenzeit, wo er unwillkürlich über sie herfallen mußte, um sie für all diese Bosheit zu züchtigen, und wieder wie in der Bubenzeit hatte es ihn angewandelt, als müsse er sie mit Gewalt ergreifen und als könne in seinem Leben ein Glück nicht eher aufkommen und gedeihen, als bis dieser sein böser Geist gebändigt und gebannt sein würde. Demungeachtet begegnete es ihm, daß manchmal wider Wollen und Denken Kuni’s Gestalt wie hervorgezaubert vor ihm stand und ihn ansah, als fordere sie ihn heraus, den Kampf mit ihr aufzunehmen und sein Aergstes an ihr zu versuchen. All’ das war bei den Worten des Alten ihm flüchtig durch die Seele gegangen, und dahin zielte seine Antwort, wenn er auch nicht wußte, ob derselbe mit Bedacht gesprochen oder nur zufällig die empfindliche Stelle berührt hatte. „Damit hat’s gute,Weil’,“ wiederholte er, „ist auch nicht allemal eine Täubin, was so einschichtig sitzt, sondern ein bissiger Hacht oder gar ein Auf mit Krallen. Das Einheirathen gefällt mir nicht, und wenn mir etwas über’s Kreuz kommt, dann laß ich mich wieder anwerben und geh’ noch einmal in’s Griechenland hinein; es giebt doch nichts Schöneres als ein Ulan sein und sein Rössel unter sich haben, das ist leicht treuer und anhänglicher als mancher Mensch und als manches Weib obendrein …

,Den Säbel an der Seiten,
Ein’n Federbusch von Haar,
Ein schwarzbraun Roß zum Reiten,
Ob wohl was Schön’res war’!’“

Die Bauern jubelten ihm laut entgegen; der Geometer begann zuzuhören. „Wie treu ein Rössel sein kann, davon will ich Euch eine Geschichte erzählen,“ mischte sich der Trompeterfranzel in’s Gespräch, „da ist ein Franzos in Tobolsk gewesen, in Sibirien, wo sie uns hingeschleppt haben, in die Gefangenschaft. Das ist ein Rittmeister gewesen von den Dragonern und hat sein Pferd mitgehabt, einen Rappen, an dem kein weißes Härl’ gewesen ist, als die Bläß’ auf der Stirn, und den Rappen hat ihm der Gouverneur abgenommen, und der Rittmeister hat den Stall von dem Gouverneur versehen müssen, wie ein gemeiner Stallknecht, und er hat das Pferd so gern gehabt, daß er oft mit ihm gered’t hat, als wenn’s ein Mensch wär’, und der Rapp’ hat ihn dann so traurig angeschaut und hat ihm den Kopf auf die Achsel gelegt, als wenn er ihn trösten wollt. Und manchmal hat der Rittmeister ein kleines Bild hervor geholt; das hat er geküßt und hat geweint dazu und hat’s dem Rappen auch gezeigt. Und der Rapp’, als wenn er wirklich Menschenverstand hätt’, der hat dazu mit dem Kopfe genickt, als wenn er sagen wollt’: ich kenn’ das Gemäl’ schon, das ist das Bild von Deiner Frau, nach der Du Dich so sehnst. Und wiederum einmal, da ist ein Brief kommen an den Rittmeister, da muß etwas Trauriges drinnen gestanden sein; der Rittmeister ist noch betrübter ’worden als zuvor, und einmal ist er in der Frühe verschwunden gewesen und der Rapp’ mit ihm; er hat’s nicht mehr ausgehalten und hat gemeint, er könnt’ durchkommen durch die Posten und durch den Schnee und könnt’ heimreiten nach Frankreich zu seiner Frau. Da sind gleich ganze Schaaren Kosaken aufgesessen mit ihren Spießen und sind ihm nach, ich weiß nicht wie weit, und er immer davor her, und der Rapp’ hat ausgehalten, als wenn er wüßt’ auf was es ankommen thät. Aber viele Hund’ sind des Hasen Tod; der Rapp’ ist gelaufen, bis er den letzten Schnaufer gemacht hat, und mit dem ist er zusammengestürzt. Den Rittmeister haben ein Paar an ihren Lanzen aufgespießt.“

„Der arme Herr, das brave Roß!“ riefen die Bauern durch einander; der Aelteste davon aber mochte der Zeit gedenken, da auch er die Leiden des Krieges empfunden hatte. „Das sind traurige Sachen,“ sagte er, „und es ist nur gut, daß solche Zeiten vorbei sind. So was kommt bei uns doch nimmer vor, daß man einen armen Gefangenen verfolgt und hetzt wie ein wildes Thier.“

„Das ist wahr, Landsmann,“ unterbrach ihn der Geometer, der sich zum Gehen anschickte, „aber wenn es auch nicht mehr zum Spießen kommt, wird doch auch jetzt noch mancher arme Teufel gejagt, als wenn er ein Fuchs oder Hirsch wäre. Ich bin erst, als ich von der Stadt herkam, einem Trupp solcher Jäger begegnet. Ihr habt doch wohl davon gehört, daß eine Handvoll Studenten in Frankfurt am Main Revolution gemacht hat, weil sie die Landesherren absetzen und einen Kaiser machen wollen über das ganze deutsche Reich; es ist ihnen mißglückt, und die meisten sitzen nun gefangen auf Leben und Tod. Auch aus unserm Lande sind einige davon, und Einer ist aus der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_489.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)