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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


kannten. Es war bei Mörike so: Manche seiner Lieder wurden gesungen, oft gesungen, so das volksthümliche schwäbische Lied „Die Soldatenbraut“:

Ach, wenn’s nur der König auch wüßt’,
Wie wacker mein Schätzelein ist!
Für den König, da ließ er sein Blut,
Für mich aber ebenso gut.

oder das von Kaufmann herrlich in Melodie gesetzte „Schön-Rohtraut“. Andere, wie die „Geister am Mummelsee“, wurden wohl in Schulen gelesen und vorgetragen. Aber der Mann und sein Name blieb doch der Menge ziemlich unbekannt. Er lebte zu still und bescheiden, und im Genießen und Schaffen des Schönen, in wunderbarer Mischung des Romantischen und classisch Antiken den vollen Frieden seiner Seele findend, verschmähte er die Erregung und den Beifall der Menge. Schon früher, noch mehr aber, als er, ein vorgerückter Sechziger, in Nürtingen wohnte, verbrachte er seine Tage gern in häuslicher Zurückgezogenheit, umgeben von seiner Gattin (siehe das Gedicht „An Gretchen“), zwei lieblich aufblühenden Töchtern, einer „Blondine“ und einer „Mohrin“, wie er sie unterscheidet, und von seiner immer besonders enge mit ihm verbundenen Schwester Clara, jetzt mehr lesend und künstlerisch genießend als dichtend und schaffend, aber doch immer von freundlichen Genien und neckischen Geistern besucht und in seine Rede heiteren Scherz und holde Anmuth webend. Unter den Freunden, die ihn während seines ländlichen Stilllebens ab und zu besuchten, sind Männer wie David Friedrich Strauß und Moritz von Schwind, der Münchener Maler, die ihm beide im Tode vorausgegangen, und viele andere bedeutende Männer, besonders auch Dichter gewesen. Denn bei den Dichtern selbst und auch bei den Jüngern anderer Künste, bei Malern und Tondichtern, galt Mörike als ein hochverehrter, gottbegnadeter Sänger. Ihrer Liebe und Verehrung bedurfte aber auch sein weiches Gemüth. So scheu er sich dem lärmenden Tage verschloß, so empfindlich er gegen jede Störung und Verneinung seines Schönheitsdienstes war, so tief erquickte und so reich förderte ihn die Mittheilsamkeit der Genossen und Freunde in Dichtung, Malerei und Tonkunst. Und wie gern er von ihnen empfing, so gern theilte er ihnen und überhaupt Denen aus dem Reichthum seines Geistes und Gemüthes mit, welche mit offenem, zugeneigtem Sinne ihm näher traten. Ja, so paradox es lauten mag über einen so zurückgezogenen und oft als hypochondrisch berufenen Mann, die Theilnahme, mit welcher sich Mörike in Andere, in Dichter und Laien versetzte, ihren Kräften das Zusagende bot und ihrer Förderung nachsann, war ein schöner Grundzug seines Wesens. Dem geistigen Austausche, der hierdurch bewirkt wurde, verdankte Schwind den Gedanken zur „schönen Melusine“ und mancher Componist die Anregung zu seinen Melodieen.

Eines Tages zeigte mir Mörike ein ganzes Album, dessen lose Blätter voll von Erinnerungen an solchen Verkehr waren und die tiefe Gemüthlichkeit des Dichters bekundeten. Ein Haus, wo er viel ein- und ausgegangen, ein Baum, eine Gartenthür, der Cleversulzbacher Thurmhahn und viele andere Raritäten kamen zum Vorscheine, theils von seinem eigenen geschickten Stifte auf’s Papier geworfen, theils von Freundeshand gezeichnet. Sinnig und schalkhaft war die mündliche Erklärung dazu, und wie ich so bei seinen Bildern saß, war mir zu Muthe, als hätte ich seine Lieder und Idylle vor mir, die auch so gelegentlich und aus dem vollen Gemüthserlebniß heraus entstanden sind und, ohne zu großen Werken sich zu gestalten, in schöner Harmonie auf uns wirken. So ist mir eine Zeichnung in Erinnerung geblieben, welche sich auf einen Besuch Moritz von Schwind’s bezieht. Dieser ist in Lorch als Gast des Dichters angekommen. Er bedarf der Ruhe von der Reise am heißen Sommertage und sucht im Oberstübchen sich auszuschlafen. In Hemdärmeln liegt der wegemüde Mann auf dem Ruhebette. Liebliche Märchen treten im Hause des Dichters vor seine träumende Seele. Eben will er zum Pinsel greifen, sie festzuhalten – da, o Tücke des Schicksals, springt ein gewaltiger Kater durch’s offene Fenster auf den Leib des Malers, der entsetzt auffährt und der Mittagsruhe völlig entsagt.

Daß Mörike bei solcher Gemüthlichkeit gleichwohl für einen Feind der Geselligkeit gelten konnte, erklärt sich aus seinem Bedürfnisse, nicht Vielen nahe zu kommen. Denn eben weil seine Seele weich war und das für andere Augen Kleine und Unbedeutende mit Innigkeit erfaßte, konnten viele und geräuschvolle Eindrücke nur störend für sie sein. Und in der That gab es nicht leicht Jemanden, den jedes Rauhe und Unschöne so empfindlich verletzte wie ihn. Um die intensive Wirkung zu begreifen, die das Geschaute und Gehörte auf ihn übte, mußte man ihn vor einem Bilde stehen oder einer Mozart’schen Sonate lauschen sehen oder ihn über das Gesehene und Vernommene reden hören. Da war alles Andere um ihn vergessen, und niemals hat sich der Fluß der Farben und Töne in ein dankbareres, hingegebeneres Gemüth ergossen.

Und an diesem Priester der Musen habe ich etwas Unreines nie entdecken können. Er war in diesem Sinne das Seitenbild zu seinem Landsmanne Schiller, mit dessen auf das Reich der That gerichtetem Genius er sonst so wenig gemein hat. Wenn Schillern die Macht des Ethos emporhob, daß „hinter ihm blieb in wesenlosem Scheine das, was uns Alle bändigt, das Gemeine,“ so hat die Weihe der Kunst und der Friede der Harmonie von Mörike’s lichter Seele jedes Trübe ferngehalten. Schiller, der ungleich Gewaltigere, hatte sich durchgekämpft und durchgerungen zum sittlichen Ideale. Mörike war immer ein Kind geblieben und war bis zum Tode harmlos wie ein Kind. Wenn er mit seinen Töchtern sprach und ging und ihrer holden Anmuth sich freute, erschien er wie ein Gärtner, der zwei Rosen pflegt, eine dunkle und eine helle. Nie hat eine reinere Hand über reineren Blumen gewaltet. Dieselbe Scheu vor allem Trüben und Unharmonischen und dieselbe Kindlichkeit war es auch, die Mörike noch weit mehr, als seinen großen lyrischen Meister Goethe, von den Zeitereignissen fernhielt und sein Lied niemals auch nur im Geringsten politisch werden ließ.

Wer aber darum glauben wollte, er hätte überhaupt kein Herz gehabt für des Vaterlandes Wohl oder er hätte die Größe der Siegesjahre nicht empfunden, der würde sehr irren. An einem sonnigen Märztage, nachdem kurz zuvor die Kunde von der Annahme der Friedenspräliminarien aus Versailles eingetroffen, kam er in gehobener Stimmung zu mir. Meine Schwester mußte sich an das Piano setzen, und diesmal durfte sogar die „Wacht am Rhein“ nicht fehlen. Abends aber kam er in die hochgelegene Wohnung meiner Mutter, um nach den Bergfeuern zu schauen, die vom Hohenstaufen bis zum Hohenzollern leuchteten. Da barg er seine höchste Freude nicht über des deutschen Volkes Auferstehung zu Sieg und Einigkeit, und der Mann, der grundsätzlich keinen politischen Vers gedichtet, hat damals in überwallender Begeisterung von dem Großen gesprochen, das zu sehen ihm am Abend seines Lebens noch vergönnt war.

Daß er ein durch und durch deutsches Herz hatte, zeigen freilich auch seine dichterischen Träume und Phantasien deutlich genug. Wer so wie er mit sicherer Hand aus dem Wortschatze des Volkes und seiner Stämme schöpft (vergleiche „Das Hutzelmännlein“ und „Die Idylle am Bodensee“) und den Sinn seiner Sprüche und Redensarten belauscht, wer mit solch lebendiger Wärme die Heimath schildert, vom Blautopfe bis nach Cleversulzbach im Unterlande, vom Mummelsee mit seinen Geistern bis zur Waldstille des Lorcher Klosters, wer so den Altvordern gleich die Natur belebt mit geheimnißvollen Geistern, Nixen und Kobolden, ohne doch je unwahr und manierirt zu werden, wer so wie er das Grab von Schiller’s Mutter aufgesucht und ihm zu sinnigem Schmucke verholfen, kurz wer die herrlichsten Menschen (Kepler, Schelling und Andere) und die schönsten Gegenden seiner Heimath so lieblich in den Kreis seiner Dichtung zu ziehen gewußt hat, dessen Seele hängt mit tausend Banden am deutschen Wesen, dessen ganzes Dichten und Schaffen ist nur Liebe zum Vaterlande, so wenig er von dieser spricht. Und dabei ist die Beschaulichkeit seiner Muse gegen anders geartete Dichtung niemals ungerecht geworden. Seinen Landsmann Uhland hat er nicht trotz, sondern wegen der Vereinigung echter Poesie mit der praktischen, patriotischen oder politischen Richtung in seinem Werthe sehr wohl gewürdigt, und von denen, die überhaupt echte Dichter sind, hat in seinem „Lararum“ jeder den rechten Platz gefunden.

Mörike war sehr bescheiden und kannte seine dichterischen Kräfte und ihre Grenzen gar wohl. Lied, Idyll und Märchen mit ihrer tiefen, reinen Empfindung und ihrem heitern scherzenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_491.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)