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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Und Bibi Holli nahm alle Werthzeichen ehrfurchtsvoller Huldigung der Kaufleute und Modisten allergnädigst an. So schwanden die Jahre im flüchtigen Reigen der Horen. Aber es kam kein Prinz, die Prinzessin zur Herrin seines Harems zu erkiesen. Bibi Holli ahnte – ach! sie erkannte die tragische Wahrheit von der Vergänglichkeit der Frauenschöne:

„Und die Schönheit vergeht,
Und die Backen fallen ein –“

Die glühenden Huldigungen der Wasungu erkalteten zu Aeußerungen frostiger Ehrerbietung. Der Stern der Prinzessin fing an sich zu neigen, während der der jüngeren Schwester immer höher emporstieg.

Bibi Salima war erblüht. Wir sagen nicht um der Prinzeß zu schmeicheln, sie wäre eine Wunderblume, ein Meteor zanzibarischer Schönheit gewesen. Sie war mehr. Außer dem Zauber der äußeren Erscheinung besaß sie Vorzüge höherer Art. Sie war in hohem Maße wahrhaft liebenswürdig; sie war eine edle Frauennatur von seltenen Eigenschaften des Herzens und des Geistes, von einem ganz außerordentlichen Streben nach wissenschaftlicher Vervollkommnung.

Und so saß des Sultans jüngstes Schwesterlein, Prinzeß Bibi Salima, an den linden mondhellen Abenden hinter den eisernen Gittern ihres Fensterleins und lauschte mit Theilnahme den Wasungu auf dem Nachbardache zu, wenn diese von Uleia, dem fernen Europa, erzählten, von den dortigen Sitten und Gebräuchen, von der geachteten freien Stellung der Frauen, von der Größe und Schönheit der Städte, von der Lieblichkeit des Landes und von tausenderlei Dingen, welche ihr wie lockende Märchensagen klangen. Sie lauschte mit Vergnügen den fremden Liedern, welche ihr zu Gefallen oft mehrstimmig vorgetragen wurden. Ihr klarer Verstand erkannte das Schöne und Gute der europäischen Sitten, und diese Erkenntniß weckte eine Sehnsucht in ihr, die sie fortzog in weite, unbegrenzte Fernen, traumselig,

„hangend und bangend in schwebender Pein.“

Und es kam die Krisis und, ach! auch das Aergerniß.

Der Wasungu, welcher das Nachbarhaus bewohnte, ein durch Festigkeit und Bestimmtheit des Charakters ausgezeichneter junger Mann, ein Deutscher aus einem Großhandelshause in Hamburg, erwarb sich nicht blos die Freundschaft, sondern die volle Liebe, das warme, überströmende Herz der zanzibarischen Prinzessin. Es erblühte ein Roman, ein Märchen aus „Tausend und eine Nacht“ in voller Wahrheit und Wirklichkeit, gegen die alle Phantasie der Dichtung zurückbleibt.

Der deutsche Kaufmann warb um die arabische Prinzessin. Und wie das Märchen es schildert, so geschah es. Es war, als hätten Torpedos alle Sitten des Harems, alle Gewohnheit des zanzibarischen Lebens, alle Etiquette des Hofes erschüttert und gesprengt. Eine so frevelnde Kühnheit des Wasungu, solche Herablassung einer Sultanstochter verwirrte alle Begriffe und Urtheile. Sultan Seid Madjid war von der Schuld der Schwester überzeugt. Sie wurde verhaftet und in den Kerker geworfen.

Einsam und verlassen schmachtete Bibi Salima und erwartete den Richterspruch des Bruders, der von der unbeugsamen Sitte beeinflußt war. Hülfe, Rettung, Wiedervereinigung mit dem Geliebten ihres Herzens schienen Fieberträume wüster Phantasieen. Der Befreiung, der Vereinigung mit dem geliebten Wasungu leuchtete keine Hoffnung. Und doch ging sie in Erfüllung, und alles, alles wurde Wirklichkeit, Wahrheit. Um nun mit keinem Titelchen von dieser Wahrheit abzuweichen, berichten und schließen wir nunmehr mit den Worten, mit denen die Erzählung des Ereignisses in „Baron Karl Claus von Decken’s Reisen in Ost-Afrika in den Jahren 1859 bis 1865“ endet. Da lesen wir Band I, Seite 114 wörtlich:

„Im Hafen Sansibars lag ein englisches Kriegsschiff. Der Capitain desselben muß wohl großherziger gedacht haben, als seine Landsleute in Indien und daheim, welche den deutschen Kaufmann und die Prinzessin später so schmachvoll verlästerten und verleumdeten; denn er hatte Verständniß für das Ansinnen des deutschen Kaufmannes und den Muth, ihm zu helfen. In einer späten Abendstunde stieß ein stark bemanntes Boot von jenem Kriegsschiffe ab, näherte sich lautlos dem Lande; bewaffnete Schiffer und Soldaten stiegen aus, wandten sich geraden Weges dem Kerker der Prinzessin zu, verscheuchte die Wachen, erbrachen das Thor und entführten die geängstigte Frau. Am andern Morgen hatte das Kriegsschiff die Gewässer Sansibars verlassen. Wer durfte es wagen, ihm seine Beute streitig zu machen?

Ein Schrei der Entrüstung wurde laut in der Stadt Sansibar. Die Araber sannen auf Rache und die fremden Handlungshäuser sahen sich in ihren Grundfesten erschüttert. Was konnte nicht alles geschehen, wenn der unberechenbare Zorn des Sultans nicht allein den Schuldigen, sondern überhaupt alle Wasungu traf? Was sollte aus dem gewinnreichen Eintausch von Elfenbein, Gewürznäglein und Ochsenhäuten fernerhin werden? Der Verlust ließ sich kaum nach Tausenden und Hunderttausenden berechnen. Mancher sah in der Liebe des Berufsgenossen ein todeswürdiges Verbrechen und fürchtete mehr als der Missethäter selbst die zürnende Gerechtigkeit. Schlimmer aber verfuhr die eigentlich unbetheiligte indische und später auch die englische Presse. In dem fernen Lande fühlte sich jeder Philister im Innersten getroffen; viele der dortigen Biedermänner hätten lieber noch als der Sultan den deutschen ‚Dütenkrämer‘ (shop keeper), wie sie ihn verächtlich nannten, am Galgen hängen oder auf dem Pfahle stecken sehen. Der deutsche Kaufmann aber wappnete sich auch dieser schnöden Denkweise gegenüber mit derselben unerschütterlichen Ruhe, welche er in der ganzen Geschichte an den Tag gelegt hatte. Er wickelte seine Geschäfte ab, reiste dann nach Aden, traf hier mit der inzwischen zum Christenthume übergetretenen Prinzessin zusammen, ehelichte sie und zog mit ihr nach seiner Heimath. Hier, in einer Handelsstadt Deutschlands, lebt gegenwärtig das glückliche Paar. Die Prinzessin hat sich rasch in die neuen Verhältnisse gefunden, und die Liebe, welche sie von allen ihr Nahestehenden genießt, läßt sie lächeln über andersdenkende Kaufmannsfrauen, welche ihr nicht vergessen, daß sie – doch eine Prinzessin ist.“

Soweit die Erzählung von Decken’s, die schon 1869 gedruckt, aber, wie leider auch sein ganz vortreffliches Reisewerk selbst, in den nächsten turbulenten Jahren vergessen wurde. Der gegenwärtige Besuch des Sultans in London brachte den zanzibarischen Liebesroman wieder in Erinnerung, nicht ohne vermeintliche journalistische Verschönerung.

Dagegen nun kam von Dresden die authentische Mittheilung: Die Notizen, welche über die hier lebende „Prinzessin“ erschienen, bedürfen der Berichtigung, beziehungsweise der Ergänzung. Es hat seine Richtigkeit, daß dieselbe an der Hand ihres Bräutigams vor etwa sieben Jahren lediglich unter Mitnahme ihres Schmuckes aus Zanzibar flüchtete, zum Christenthume übertrat und Herrn Ruite heirathete. Nach vierjähriger glücklicher Ehe in Hamburg traf sie das harte Geschick, daß ihr Mann in Folge eines Sturzes vom Wagen der Pferdebahn starb. Seitdem lebt sie mit ihren Kindern aus dieser Ehe hier hochgeschätzt und verehrt in einem kleinen Bekanntenkreise. Außer Arabisch, ihrer Muttersprache, ist ihr Englisch und Deutsch vollständig geläufig, und in letzterem vervollkommnete sie sich in der Weise, daß sie bei einem hiesigen Gelehrten regelmäßige Stunden in Sprache und Literatur nahm, wogegen dieser von ihr Arabisch lernte, in welchem er es bereits zu einer gewissen Fertigkeit gebracht haben soll. Frau Ruite bekundet bei einer angenehmen und liebenswürdigen äußeren Erscheinung außerordentliches Streben nach wissenschaftlicher Vervollkommnung, wobei ihre schnelle Auffassung und ihr reger Geist wesentliche Hülfen sind. Gegenwärtig weilt Frau Ruite in London in der Familie des Dr. Lyon Playfair, um sich mit ihrem zur Zeit dort anwesenden Bruder, dem Sultan von Zanzibar, zu verständigen und zu versöhnen.

Die Prinzessin von Zanzibar, Frau Wittwe Ruite, findet auch in London in den besten Kreisen lebhafte Theilnahme, doch zweifelt man daran, daß das Herz des Bruders, des regierenden Sultans, sich ihr in Gnade und in Edelmuth zuwenden werde.




Knüpfen wir hieran einige Momente zur Kenntniß des Landes und zur Charakteristik seines Herrschers, des Sultans Seid Bargasch.

Während man seit Jahrhunderten von allen Seiten, von Norden, Westen, Süden her Afrika zu erforschen suchte, blieb

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_493.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)