Seite:Die Gartenlaube (1875) 502.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


wenn sie Lust hatte, ihr Spiel mit ihm zu treiben. Grimm im Herzen, hatte er lange Zeit zugesehen, wie sie mit dem verwünschten gelben Geometer sprach, wie sie die Blumen, die sie für ihn gepflückt, ohne Widerrede dem Fremden ließ, der sie, als wenn er daran riechen wolle, an den Mund führte, mit Mühe hatte er sich zurückgehalten, daß er nicht hervorstürzte und Beiden an die Kehle fuhr. Er ertrug endlich den Anblick nicht länger und eilte fort, aber sein Entschluß war gefaßt. Sie hatte gelacht, als er mit einem bevorstehenden Unglücke gedroht; sie hatte es für kein Unglück gehalten, wenn er ginge. Nun sollte sie sich überzeugen, daß seine Drohung keine leere Prahlerei gewesen sei; nun sollte es wirklich ein Unglück geben, und wenn es ihm darüber selbst an den Kragen gehen sollte, der verhaßte Canarienvogel sollte nicht fortflattern, ohne daß er ihm das gelbe Gefieder ausgeklopft und ihm einen Denkzettel angehängt, der ihn an Beiden rächte.

Es währte lange, daß er so dalag in seinen Zorngedanken. Niemand kam die Straße heran, denn Keiner von den Gästen hatte Lust, sich schon auf den Heimweg zu machen. Nichts regte sich um ihn her, als etwa eine Eidechse, die aus dem Gesteine huschte, und auf dem wilden Birnbaume über ihm ein paar im Beginne ihrer Wanderschaft begriffene Staare, die neugierig und flügelschlagend heruntersahen, als hätten sie gern gewußt, ob der unbewegliche Mensch da unten todt oder nur eingeschlafen sei.

Endlich drang das Geräusch von Schritten an sein Ohr, aber es waren leichte Schritte, die er wohl nicht vernommen hätte, wenn er nicht so nahe am Boden gelegen wäre; auch kamen sie nicht von der harten Straße her, sondern über einen weichen, halb verrasten Wiesenpfad, der jenseits des Zaunes vorüber führte. Zachariesel horchte auf. Obwohl er beim ersten Laut erkannte, daß das nicht der Gang seines erwarteten Feindes sein könne, richtete er sich doch halb in die Höhe, denn ein beglückender Gedanke fuhr ihm blitzschnell durch den Sinn: wie wenn es Mechel wäre? Wenn es ihr leid wäre, ihn so gekränkt zu haben, und wenn sie nun käme, ihm aufzusuchen? Behutsam setzte er sich vollends auf; noch behutsamer schielte er nach der Richtung, von welcher die Schritte kamen; wenn es Mechel war, sollte sie nicht glauben daß er sie erwartet hätte; sie sollte ihm zur Strafe die freudige Ueberraschung nicht anmerken.

Es war ein Bauernmädchen, das mit einer Grasbürde auf dem Kopfe vorüberging. Sie war schon etwas entfernt, so daß er sie fast nur noch von der Seite sah; auch war ihr Gesicht etwas von den herabhängenden Halmen verdeckt. Dennoch erkannte er sie augenblicklich; dennoch stand er im Nu auf den Füßen, als ob eine unsichtbare Macht ihn vom Boden empor geschnellt hätte; die Staare schrieen darüber auf und flüchteten erschrocken nach einem andern Baumwipfel.

Es war das unbekannte und doch so bekannte Bauernmädchen, das ihm auf dem Gange von Andechs her über den Zaun zugenickt hatte.

Ohne Besinnen machte er sich daran, ihr nachzueilen, um seiner ungetreuen Erinnerung nachzuhelfen und zu erfahren, wer sie sei und wo er das Flachshaar und die blauen Augen schon gesehen habe. Er kam mit seiner Eile dennoch zu spät; wohin er sah, war kein lebendes Wesen zu erblicken. Er mußte entweder geträumt haben, oder das Mädchen war in einen der naheliegenden Gras- und Baumgärten getreten und in einem der Häuser verschwunden, ohne daß er es hinter den Hasel- und Brombeerstauden des Weges bemerkt hatte. Aergerlich ging er an dem Zaune hin und wieder; ärgerlich lugte er in jeden Garten und hinter jede Hecke, als wolle er selbst ein Feldmesser werden – das Mädchen war und blieb unsichtbar. Er wollte gehen, um in den Häusern nachzufragen, aber er unterließ es; es kam ihm doch zu sonderbar vor, nach einem Mädchen zu fragen, von dem er nichts sagen konnte, als daß sie Flachshaar habe und blaue Augen darunter.

Langsam und mit jedem Schritte mißmuthiger, aber abgekühlt, weil abgelenkt von seinen Rachegedanken, kam er an seine Lagerstätte zurück; inzwischen war der Geometer unbesorgt durch den gefährlichen Hohlweg gewandert, die Gefahr nicht ahnend, die so nahe an seinem Rücken vorüber gezogen war. Zacharias schien nicht mehr an ihn zu denken. Achtlos stieß er das Werkzeug seiner Rache, das ihm nun im Wege war, mit den Füßen von sich, als er sich wieder niedersetzte, um sich nach wenigen Augenblicken abermals aufzurichten. „Ich bin doch ein recht dummer Kerl,“ sagte er in rückhaltloser Selbsterkenntniß laut vor sich hin. „Was plag’ ich mich denn so ab? Ich darf ja nur in das Haus gehen, wo sie mich über den Zaun gegrüßt hat, da werd’ ich doch nachfragen dürfen und erfahren können, wer der Flachskopf ist.“

Die Ausführung des Gedankens ward augenblicklich unternommen, dem ungeachtet blieb es beim Beginne; wie er die Hohlgasse hinab wollte, kam ihm das Wägelchen des Müllers entgegen gerollt, das er in seiner Vertieftheit nicht gewahr geworden war. Desto besser hatten ihn die Ankommenden bemerkt und sein Aufstehen als ein Zeichen betrachtet, daß auch er sie bemerkt habe und ihnen entgegen kommen wolle. Er konnte weder ausweichen noch umkehren; der Plan wegen des Gartenzauns mußte aufgegeben werden und war es auch im Augenblicke, denn aus Mechtild’s Augen spannen sich ihm die wohlbekannten Strahlen wie Fäden zu einem Netze entgegen, dem zu entrinnen er die Kraft nicht besaß.

„Hast Deinen Zorn verschlafen, Du dummer Franzel?“ rief sie ihm mit einem Lächeln entgegen, das wohl auch einen Stärkeren bewältigt hätte, und rückte bei Seite, daß er neben ihr auf dem Sitze bequem Platz nehmen könne. Er erwiderte nichts, aber er stieg ein und wies die Hand nicht zurück, die sich ihm zu Frieden und Versöhnung entgegenstreckte; schweigend fuhren sie davon, denn auch Mechtild hielt es für gerathen, das Vorgefallene nicht zu berühren und die kaum geschlossene Wunde nicht zu reizen, nur der Müller konnte seinen Unmuth nicht bemeistern. „Dummes Zeug – da beißt die Maus keinen Faden ab,“ brummte er und schwang die Peitsche, daß die Pferde ausrissen und der Wagen, über den Steinen der Straße dahin fliegend, das sonderbare Liebespaar enger zusammen rüttelte, als es sonst vielleicht gekommen wäre. –

Während dieser Zeit war Sylvest mit seinem unvermutheten Kriegscameraden in seiner Schlafkammer angekommen, die im oberen Stockwerke des Hauses an einem Seitengange gelegen war und deren Fenster aus ansehnlicher Fronte gegen den Hofraum und die Stallungen mündete. Es war die gewöhnliche Stube eines Knechts, mit einer Bettstelle aus blanken Fichtenbrettern und einem schlichten Bette in roth und weiß gestreiftem Ueberzuge. Die hölzerne Truhe, worin der Knecht seine ganze Habseligkeit verwahrte, mußte den Dienst von Tisch und Stuhl versehen, und hoch an der Wand hingen ein schönes blankes Pferdegeschirr, das der Wirth bei festlichen Gelegenheiten benützte, und die Schellenkränze für die Zeit des Winters, des Schnees und der Schlittenfahrten. Das einzig Ungewöhnliche, das zugleich den jetzigen Bewohner des Stübchens kennzeichnete, waren allerlei bunt bemalte Bilder, mit denen die Wände beklebt waren, eine Ansicht von Athen, ein Angriff von bairischen Jägern aus einen ungeheuren viereckigen Palikarenthurm und die Portraits von König Othon in rothem Fez und weißem Fustanell mit den schnauzbärtigen und krummnasigen Köpfen der Klephtenhäuptlinge Plaputas und Kolokotronis, die den jungen Hellenenkönig bedenklich nahe in die Mitte genommen hatten.

In dem Menschengewühle, das im untern Stockwerke des Wirthshauses durcheinander drängte und summte wie ein Bienenschwarm, war es Sylvest nicht schwer geworden, wenn auch nicht unbemerkt, so doch unbeachtet die Kammer mit seinem Schützlinge zu erreichen, ihn mit Speise und Trank zu versehen und dann einzuschließen, bis er wieder kommen konnte, um wegen dessen Sicherheit und fernerer Flucht das Weitere zu besprechen. Allmählich hatte sich unten Alles zusammen gefunden, was unter den Wallfahrern ein junges Herz und nicht müde Beine besaß; war es doch üblich, daß, wenn man den Morgen und Mittag dem Himmel geopfert hatte, der Nachmittag und Abend der Erde und ihren Freuden gehörte und mit einem kleinen Tanze beschlossen wurde. In der Nähe des heiligen Ortes selbst war das natürlich nicht statthaft, aber in dem nahe gelegenem Dorfe, gewissermaßen außerhalb des Bannkreises der Frömmigkeit, war kein Grund vorhanden, die Weltfreude auszuschließen. Um sich aber selbst zu beruhigen und vor jedem Einwande zu schützen, der im Hintergrunde eines strengeren Gewissens lauern mochte, erzählte man sich, daß es mit dem Tanze, der bei solchen Anlässen üblich war, eine ganz eigene Bewandtniß habe und derselbe

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_502.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)