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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


und überlegen, und wenn’s nur wegen dem alten guten Vater wär’, von dem der Herr gesagt hat …“

Das Geräusch eines heranrollenden und vor den Hause anhaltenden Fuhrwerks erscholl von der Straße herauf.

„Da kommt ein Gefährt’,“ unterbrach er sich, „ich muß hinunter, komme aber bald wieder. Zieh der Herr indessen nur die Uniform an, damit er bereit ist; man kann nicht wissen, was sich oft schickt.“

Raschen Schrittes eilte er aus der Stube und die Treppe hinab; er vergaß darüber, wie zuvor, die Thür der Kammer zu verschließen.

Unten kam er eben recht, um aus der Hand des Schlösselbauers Zügel und Peitsche in Empfang zu nehmen. Er erkannte denselben, sowie das neben ihm sitzende Mädchen augenblicklich, aber er hatte so lange an den Strängen zu nesteln und sich darauf hernieder zu beugen, daß keines von Beiden ihn hinwieder erkannte oder auch nur beachtete. Sie waren daher schon abgestiegen, und der Bauer erzählte dem höflich herbeigeeilten Wirth, daß er zwar die Wallfahrt, wie sich’s gehöre, zu Fuße gemacht habe, den Rückweg aber mit den flinkern Beinen seiner Braunen zurücklegen wolle, mit denen daher der Stallbube nachgefahren gekommen sei. Kuni erkundigte sich bei dem Wirthe sehr angelegentlich nach dem Befinden seiner Tochter, die ihre gute Freundin, aber immerwährend krank und seit Jahren bettlägerig war, ohne daß man eigentlich den Namen des Uebels zu bezeichnen vermochte, an dem sie einem frühen Tode entgegensiechte. Sie ließ sich von dem Wirthe deren Zimmer bezeichnen und wollte sie besuchen, während der Vater in der Stube für Platz, Imbiß und Trunk zu sorgen versprach. Sie hatte das weiße Vermählungstuch wieder abgenommen, aber das grüne Kränzlein mit Goldflitter, das sie als Prangerin getragen, saß ihr noch auf den emporgeschlagenen lichtbraunen Zöpfen, daß sie nicht viel zu ändern bedurft hätte, um als Braut an den Altar treten zu können.

Mit wohlgefälligem Schmunzeln betrachtete sie der Wirth. Auch unter der Thür und hinter den Fenstern ließen sich neugierige Köpfe sehen. Unter ihnen war auch Sylvest wider Willen. Er hatte sein Geschäft bei den Pferden beendet und kam eben vom Stalle her, um wieder zu seinem Gaste in den oberen Stock zu gehen, als er durch die Leute an der Thür aufgehalten wurde. Hätte er sich hindurch gedrängt, so wäre er sicher aufgefallen und bemerkt worden; so blieb ihm nichts übrig, als einfach ruhig stehen zu bleiben und die Eintretenden an sich vorbei gehen zu lassen. Er konnte den leisen Bemerkungen der um ihn stehenden Leute nicht widersprechen. Kuni war schön; es kam ihm sogar vor, als sei sie noch schöner geworden, seit er sie das letzte Mal gesehen, nur wollte es ihn bedünken, als sei sie etwas bleicher und der strenge Zug über der Nase und in den Brauen noch stärker geworden. Es kam ihm vor, als müsse sie jeden Augenblick den Kopf nach ihm wenden, als sähe er schon wieder das höhnische verächtliche Lächeln, das die schönen Lippen so sehr verzog, und die alte volle Bitterkeit des Hasses wallte in ihm empor.

Es war wirklich eine leichte Veränderung in Kuni’s äußerer Erscheinung vorgegangen. Hatte sie schon vorher im Hause für so gutherzig und freundlich gegolten, daß ein hartes Wort, das sie aussprechen mußte, ihr selber leider that, als dem, den es betraf, so war sie nun vollends, wie man im Sprüchworte sagt, „die gute Stunde selber“ geworden. Nur manchmal, ganz plötzlich, wie oft bei völlig blauem Himmel der Donner zu rollen beginnt, zuckte die frühere übermüthige Schärfe und das wegwerfende stolze Wesen in ihr auf, bei Veranlassungen, wo Niemand sich einen solchen Ausbruch zu erklären vermochte; am öftesten bei einem unschuldigen, arglosen Scherzworte, das auf Männer, Liebe und Hochzeit anspielte.

Hatte sie in dieser Hinsicht entschieden an Ruhe gewonnen, so hatte sie dagegen sehr viel von der liebenswürdigen Heiterkeit eingebüßt, welche auf ihrem Antlitze gefunkelt hatte, wie eine frische Thauperle im Kelche des Frauenmantels, jenes lieblichen Feldblümchens, das die ihm gewordenen Tropfen noch lange bewahrt, wenn die Sonne von allen übrigen Gewächsen sie längst hinweggesogen hat. Stundenlang saß sie über der Arbeit, ohne daß ein Laut über ihre Lippen kam. Sie sah nachdenklich aus und war es auch – der Tag auf dem Dießener Markte und was vorhergegangen, namentlich aber die schmucke Gestalt des trotzigen Ulanen, machte ihr in der Erinnerung viel zu schaffen, und so sehr sie dieselben auch abwehrte und zu verscheuchen suchte, die Gedanken kamen und umsummten sie immer wieder, wie es wohl werden solle, wenn sie sich doch einmal entschließen müsse, einem Manne die Hand zu geben und ihn zum Herrn des Schlösselbauernhofes und ihrer selbst zu machen.

Der Schlösselbauer fing an, um Kuni’s Gesundheit besorgt zu werden, und fragte unter der Hand bei dem Bader um Rath, der dann, als er zum Herbstaderlaß auf den Hof gekommen war, die wunderliche Kranke unvermerkt beobachtete und den Alten beruhigte. Es habe keine Gefahr, sagte er ihm, Kuni’s Zustand sei eine Art von Herzgespann oder Herzschein, den man durch Sympathie leicht bewältigen könne. Er solle nur suchen, das Miederleibchen, das sie gewöhnlich trage und das also ihr Herz umspanne, heimlich in die Hand zu bekommen und in der ersten Vollmondnacht unter einem Hollunderbaum so aufzuhängen, daß es vom Mondscheine nicht erreicht werde; das ziehe alles Gespann heraus. Uebrigens wolle er ihr zum Frühling ein Kräutertränkchen kochen.

Wirklich hatte Kuni an einem Tage ihr Leibchen vermißt, vergeblich überall gesucht und am andern Morgen in der Stube wiedergefunden, ohne sich erklären zu können, wie dasselbe dahin gekommen war. Der listige Alte hatte also das Mittel wirklich angewendet, aber es mußte doch etwas dabei übersehen worden sein, denn die Hülfe wollte nicht kommen, und es blieb nichts übrig, als auf das Frühlingstränklein zu hoffen.

„Mach’s nur nicht zu lang’!“ sagte Kuni zum Vater, als er von den Zurüstungen zum Imbiß sprach, „wir halten uns doch nicht lang’ auf? Ich möcht’ bald wieder daheim sein.“

„Ja wohl, daheim sein und immer daheim! Da freut’ mich mein Leben,“ eiferte der Vater entgegen, „möchtest Dich daheim wohl gar einspinnen und einhäuseln wie eine Klosterfrau – daraus wird heut’ einmal nichts. Daheim, auf dem Hof kann ich’s nicht ändern, wenn Du den Kopf hängst und Kalender machst, aber wenn wir einmal unter den Leuten sind, dann bin ich Herr und dann sollen die Leut’ auch wissen, daß der Schlösselbauer da ist.“

„Kann ich dafür, wenn es mir halt daheim am liebsten ist?“ entgegnete das Mädchen ungeduldig und mit sauersüßer Miene; „brauchtest mir das nicht vor allen Leuten vorzurufen, Vater, und mir aufzubringen, daß ich den Kopf häng’.“

„Mich zimmt, die Dirn’ tragt den Kopf eher zu hoch,“ grollte Sylvest in seiner Ecke vor sich hin.

Der Vater hatte ebenfalls schon eine Erwiderung auf der Zunge sitzen, aber der gewandte Wirth fuhr dazwischen, um dem Gespräche schnell eine angenehmere Wendung zu geben und zu versichern, wie es auf zehn Stunden im Umkreis bekannt, wie trefflich die Jungfer auf dem Schlösselbauernhofe schalte und walte.

„Heut’ aber muß die Jungfer für jeden Fall eine Ausnahm’ machen und darf nichts vom Fortgehen reden. Die Jungfer weiß ja doch, daß es heut’ noch einen Loostanz giebt.“

Kuni warf geringschätzig die Lippen auf. „Wird sich nicht machen lassen, Wirth,“ entgegnete sie und trachtete dem Hause zu; „ich komm’ eben von der Wallfahrt und hab’ noch das Kränzel auf als Prangerin – da thät sich das Tanzen wohl nicht schicken.“

„O, mit dem Loostanz ist das ein ganz anderes Ding,“ antwortete neben ihr herschreitend der höfliche Wirth, „das ist ein Tanz, den man am heiligsten Feiertag tanzen kann und in dem frömmst’ Gewand’. Und das Kränzel schickt sich erst recht gut dazu. Die Jungfer sieht darin nochmal so sauber aus – helllicht wie eine Hochzeiterin.

(Fortsetzung folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_504.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)