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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

es demgemäß himmelschreiend, wenn Leute, die nichts verbrochen haben, als den Versuch, diesen seligmachenden Glauben zu befördern, mit schwerer Strafe belegt werden.

Wir reden von dem Processe des Photographen Buguet und Genossen, welche seit Jahren in der allerchristlichsten Seinestadt ein schwunghaftes Geschäft mit sogenannten Geisterphotographien betrieben hatten. Es war nicht das erste Mal, daß diese heitere Illustration unseres Culturlebens vor die Gerichte kam. Wir erinnern nur an den Proceß des Photographen Mummler aus Boston, welcher in den sechsziger Jahren die Spiritisten der englischen Metropole einmal sehr stark aufregte, aber jedenfalls war die neueste Wiederholung psychologisch überaus interessant, und es mag deshalb erlaubt sein, an dieser Stelle etwas näher auf dieselbe einzugehen. Die in Paris erscheinende und von dem ehemaligen Schneidermeister Leymarie herausgegebene „Revue spirite“ hatte seit langer Zeit ihre Leser von der überaus großen Geschicklichkeit benachrichtigt, welche jener unter Beihülfe eines amerikanischen Mediums arbeitende Photograph in der Kunst erworben, die Erscheinungen abgeschiedener Geister auf der gesilberten Platte zu fixiren.

Es giebt nicht leicht etwas Einfacheres in der Welt, als dem Geistergläubigen plausibel zu machen, daß die Photographie wie geschaffen dazu sei, das noch immer angezweifelte Dasein der Geisterwelt zu beweisen. Jeder Kundige weiß es und jeder Photograph kann es zeigen, daß sich auf der lichtempfindlichen Platte in Wirklichkeit Gegenstände abbilden, die, sei es ihrer Kleinheit, Lichtschwäche, oder einer besondern Oberflächenbeschaffenheit wegen, von dem unbewaffneten menschlichen Auge schlechterdings niemals wahrgenommen werden könnten. Von gleichen Gesichtspunkten ausgehend, suchte der nun halb vergessene Baron Reichenbach seit dem Jahre 1844 die vielfach angezweifelte Existenz des Odlichtes[1] mit Hülfe der Photographie darzuthun und ist ohne Zweifel dadurch der, wenn auch indirecte, geistige Urheber der Geisterphotographie geworden. In den Jahren 1861 bis 1862 gelang es ihm, durch Unterstützung des Berliner Hofphotographen Günther eine Reihe merkwürdiger, wenn auch nicht völlig aufgeklärter Ergebnisse zu erhalten, die so viel bewiesen, daß eine sehr empfindliche, mit ausgeschnittener Figurenschablone bedeckte photographische Platte in einem völlig verdunkelten Raume schon nach fünfzehn Minuten Abbildungen der Ausschnitte zeigte, wenn ihr Krystalle, Magnetpole oder andere angeblich Odlicht ausströmende Gegenstände, z. B. auch die menschliche Hand, während dieser Zeit entgegengehalten wurden.

Wir enthalten uns des Urtheils über diese in Gegenwart hoher wissenschaftlicher Capacitäten Berlins in einem Raume der Universität angestellten und sachlich vollkommen gelungenen Versuche, lassen dahingestellt, ob sie das Dasein des Odlichts beweisen können oder nicht, und erinnern an diese Dinge nur, weil ihre Beschreibung in einer kleinen, „Odische Begebenheiten in Berlin“ betitelten Schrift ohne Zweifel die nächste Veranlassung gab, daß alsbald in Paris, wie in Amerika Mediums und Photographen sich associirten, um Geister zu photographiren. Die Zusammengehörigkeit von Od, lebensmagnetischer und spiritischer Kraft war damals längst als ein Dogma anerkannt; die Sensitiven Reichenbach’s entsprachen den Somnambulen Mesmer’s und den Sonntagskindern der Geistergläubigen, und ein uns Wochentagsmenschen verborgenes, wahrscheinlich aber photographirbares Odlicht wurde von den Zügen der verklärten Gestalten ausströmend angenommen.

Dieser Gedanke enthielt den Keimling eines neuen Erwerbszweiges, und einem Photographen, dem es nicht gelingen wollte, das Vertrauen der Lebenden zu erwerben, stand nunmehr der Weg offen, „den Acheron zu bewegen“ und die Verstorbenen in sein Atelier zu laden. Nichts zeigte sich überflüssiger als die Sorge, ob denn auch Lebende die Geschäftsunkosten übernehmen würden. Die Mutter, der ihr Liebling gestorben, ehe er das Stillsitzen gelernt hatte, der Sohn, welcher seine Eltern verloren, ehe die Photographie erfunden war, die Familie, der in der Ferne ein lieber Angehöriger verschollen, was würden sie nicht darum geben, nun noch nachträglich ein Bild des Dahingeschiedenen zu erlangen! Den meisten Vortheil aber zog der neue Geschäftszweig aus der Lehre, daß fast jeder Mensch einen persönlichen Schutzgeist oder Dämon besitze, denn nichts ist natürlicher, als der Wunsch des Gläubigen, die Züge des freundlichen Geistes kennen zu lernen, der ihn unablässig umschwebt und über sein Dasein wacht.

Da aber die zarteren Lichterscheinungen ebenso wie das Nachleuchten eines besonnten Diamanten oder Papierblattes nur in völligster Dunkelheit wahrgenommen werden können, so wäre es folgerichtig gewesen, wie Baron Reichenbach gethan, auch die Geister in eine Dunkelkammer zu ihren Portraitsitzungen einzuladen, aber in der Praxis bildete sich ein ganz anderes Verfahren heraus. Die betreffende Person, welche das Geisterportrait zu haben wünscht, wird nämlich in der gewöhnlichen Weise von dem Photographen aufgenommen, während sie ihre Gedanken mit der vollkommensten Sammlung auf die verstorbene Person oder den aus spiritistischen Unterhaltungen bekannt gewordenen Schutzgeist zu richten hat. Je nachdem ihr diese innerliche Vergegenwärtigung mehr oder weniger vollkommen gelungen ist – sagt nämlich der Geister-Photograph –, mit desto größerer Deutlichkeit, Schärfe und Aehnlichkeit erscheint die gewünschte Gestalt hinter ihrem Rücken oder über ihrem Haupte schwebend. Eine so hochgradige Vertiefung der Betrachtung aber, wie sie zu diesem Werke nothwendig ist, erreicht der gewöhnliche Mensch nur selten; er bedarf daher nothwendig der Unterstützung eines Mittlers (Mediums), welcher mit der Geisterwelt auf Du und Du steht und seinen Einfluß auf sie geltend macht. Durch seine Mithülfe erst vermag der gegenwärtige Geist seinen ätherischen Körper so weit zu verdichten, daß er im vollen Tageslichte mit auf die lichtempfindliche Platte wirken kann. In unserem Falle war es ein Amerikaner, Namens Firman, der durch seine geheimnißvolle Kraft die Bildwerdung unterstützte, während Buguet sich bei dem feierlichen Acte mit flehentlich ausgebreiteten Händen und verdrehten Augen an die – Zimmerdecke wendete. Die Ceremonien sind dieselben geblieben, wie bei den alten Nekromanten, nur in der Ausführung malt sich der Fortschritt der Zeit, denn während man früher die citirten Geister nur erschreckt anstarrte, photographirt man sie jetzt und macht sie dingfest auf einer Glasplatte.

War die Sitzung beendigt, so eilte Buguet hinter den Vorhang, um festzustellen, ob das Werk auch erfolgreich gewesen, denn wie alle spiritistischen Sitzungen, so gelangten auch die photographischen nicht immer gleich beim ersten Anlauf zu einem vollkommenen Erfolge. Zuweilen erschien der gerufene Geist nur gleich einem gestaltlosen lichten Wölkchen über den Schultern, oder die Züge waren bis zur Unkenntlichkeit nebelhaft verwaschen und zerfließend. Für alle diese Ungelegenheiten, wie auch für das Ausbleiben einer vollkommenen Aehnlichkeit wurde dann ein Mangel an vollkommener Sammlung verantwortlich gemacht, eine neue Sitzung vorgeschlagen, vollkommenere und befriedigendere Resultate in Aussicht gestellt. Das wiederholte sich bei hartnäckigen Bestellern zwei- oder gar dreimal, bis die Geduld des Kunden erschöpft oder sein Verlangen befriedigt war. Für jede einzelne Sitzung aber war die Kleinigkeit von zwanzig Franken im Voraus zu entrichten.

Es ist nicht zu verwundern, daß die Gläubigen zuweilen völlig zufriedengestellt werden konnten, namentlich wo es sich um Portraitirung eines Schutzgeistes von bekanntem Namen handelte. So trat denn auch in diesem Processe eine Person auf, welcher der Geist Goethe’s seine besondere Fürsorge gewidmet hatte und die daher mit Stolz hinter einem Visitenkartenportrait ein wohlgetroffenes Schattenbild des deutschen Dichterfürsten aufweisen konnte. Handelte es sich um völlig unbekannte Geister, so fiel der Buchhalterin die aus den Häusern der Somnambulen und Kartenschlägerinnen bekannte Rolle zu, die Kunden in Abwesenheit des „für einen Augenblick ausgegangenen“, in Wahrheit aber hinter einer spanischen Wand versteckten Principals zu empfangen, zu unterhalten und mit Geschick – auszuhorchen. Gelang es dessenungeachtet nicht, beim ersten Versuche eine vollkommene Aehnlichkeit zu erzielen, so ließ sich der unbefriedigte Besteller dabei hinreichend über die Abweichungen der Nasenform etc. aus, um beim zweiten Male dem Ziele näher zu kommen. Schon im Allgemeinen macht der Tod nicht nur alle Menschen gleich, sondern auch einander ähnlicher, und im zarteren Alter verstorbene Kinder sind schon in Wirklichkeit, geschweige im Geisterbilde kaum von einander zu unterscheiden. Eine Costümschwierigkeit besteht auch nicht, denn die Abgeschiedenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_507.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)