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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

seiner Aufgabe im höchsten Grade ernst nahm und daß es für ihn im Dienste keinen andern Gedanken gab, als pünktlichen Gehorsam. Sylvest zögerte einige Augenblicke, vielleicht gelang es ihm, einige Worte des Gesprächs zu erhaschen und daraus zu ersehen, wie weit oder nah der Spürende auf der Fährte seines Wildes war; erst ein wiederholter Befehl scheuchte ihn hinweg.

Der Brigadier war schon in hohem Grade unmuthig angekommen. Sein Ritt den ganzen Tag hindurch war ein vergeblicher gewesen; gelang es ihm auch hier nicht, die Spur des Verfolgten zu entdecken, so war es klar, daß er in falscher Richtung gesucht und dadurch dem Verbrecher Zeit gelassen hatte, auf einer andern Seite zu entkommen. Die Antwort des Wirths war nicht geeignet, seinen Unwillen zu mindern; sie enthielt nichts Anderes, als daß demselben keine verdächtige oder unbekannte Persönlichkeit vorgekommen sei – er konnte das auch mit Grund sagen, denn er hatte Sylvest nicht bemerkt und wußte also nicht, welchen Gast er in seinem Hause beherberge. „Hat denn der Spitzbube Flügel oder kann er sich in den Erdboden verkriechen?“ rief der Brigadier, indem er den Säbel aufstieß und einen grimmigen Fluch zwischen den Zähnen zermalmte. „Im letzten Dorfe hat mir doch der Gemeinderath gesagt, er habe einen Mann über das offene Feld in’s Gebüsch laufen sehn, einen Mann in abgetragener Kleidung und ohne Hut, der große Eile zu haben schien und sich kaum mehr fortschleppen konnte. Er hat die Richtung nach hierher eingeschlagen; er muß also noch hier, muß in einem Hause oder sonst um das Dorf herum versteckt sein. Es muß sogleich eine Durchsuchung und Streife vorgenommen werden; Ihr, Herr Wirth, seid der Gemeindevorsteher. Also trefft Eure Anordnungen. Hier ist der gerichtliche Befehl und hier der Steckbrief mit dem Signalement des Verbrechers.“

Mißmuthig rückte der Wirth die grüne Schlegelhaube hin und her; war doch, wenn die Streife vorgenommen werden mußte, allen Anwesenden die bevorstehende Lustbarkeit und ihm selber die Aussicht auf einen gewinnreichen Abend vereitelt; er starrte wohl in das Blatt mit dem Signalement, aber er war so zerstreut, daß er den Beschriebenen daraus nicht erkannt haben würde und wenn derselbe unmittelbar vor ihm gestanden wäre. Willenlos folgte er dem Brigadier, der in die Zechstube trat und die Anwesenden aufforderte, ihm mitzutheilen, was ihnen etwa von dem flüchtigen Verbrecher bekannt sei.

Der Erfolg war nicht glücklicher, als vorher beim Wirthe; Niemand wußte etwas zu sagen; es waren nur wenige gewesen, welche den kurzen Vorgang zwischen Sylvest und dem Fremden mit angesehen hatten – der Zufall wollte, daß von Allen Niemand, als der alte Bauer in der Stube anwesend war, der aber machte sich seine eigenen Gedanken; und als eben der forschende Brigadier an ihm vorüberging und das Aussehen des Flüchtlings beschrieb, schüttelte er bedeutungsvoll den Kopf und wiederholte dessen Worte. „Hm, hm,“ sagte er, „also einen grauen abgetragenen Anzug und nicht einmal einen Hut.“

„Jawohl, alter Krachezer“, rief der Brigadier, „hast einen solchen ausfindig gemacht, weil Du mir meine Worte nachsprichst?“

„Ich? Warum nit gar!“ erwiderte der Alte mit verschmitztem Doppelsinne. „Wie kommet ich zum Ausfindigmachen? Das ist ja Euer Geschäft und nachgesagt hab’ ich’s nur, damit ich mir’s in meinem alten Kopf besser merken kann, wenn mir doch so von ungefähr ein solcher unterkommen sollt’.“

Der Brigadier war immer verdrießlicher geworden; obwohl alle Nachforschungen vergeblich gewesen, hatte er doch ein unbestimmtes Gefühl, als ob nicht Alles in Ordnung sei, aber es fehlte jeder Anhaltspunkt, eine strengere Nachforschung daran zu knüpfen. Aergerlich fragte er den Wirth, ob er die Bauern bereits als Streifmannschaft aufgeboten habe, und ließ sich im Vorplatze des Hauses zu einem Kruge nieder; über seinem Vorhaben brütend, sah er starr vor sich hin und trug dem Knechte auf, sein Pferd nicht in den Stall zu stellen, sondern vor dem Hause anzuhängen, ihm aber doppeltes Maß Haber zu geben; das Thier müsse bald wieder daran und habe vielleicht noch einen starken Ritt auszuhalten.

Inzwischen hatte Kuni sich vom Vater losgemacht und war in das obere Stockwerk geeilt, wo sich das Zimmer der kranken Tochter befand. Sie stand vor der ihr bezeichneten Thür und pochte leise; als keine Antwort erfolgte, wiederholte sie das Klopfen noch stärker und als hierauf keine Entgegnung erfolgte, drückte sie behutsam auf die Klinke und öffnete die Thür…

Mit einem lauten gellenden Schrei der Ueberraschung oder vielmehr des Schreckens prallte sie zurück – ihr gegenüber in voller Uniform, schmuck wie damals bei der Begegnung in Diessen, stand der verhaßte Ulane.

Er machte eine abwehrende Bewegung gegen sie, eilte ihr nach, rief ihr einige Worte zu – er trieb die Kühnhheit sogar so weit, daß er sie umfaßte und zurück zu halten suchte. Mit einem noch lauteren Schrei des Unwillens rang sie sich von dem Frechen los, wandte sich und – sah in ein ihr unbekanntes kummervolles Gesicht, in Augen, die sie bittend ansahen, auf einen Mund, der um Schweigen flehte.

Sie verstummte, indeß glühende Röthe ihr Stirn und Wangen überdeckte. Es war zu spät. Der im Vorplatze sitzende Brigadier hatte das Schreien vernommen und aus demselben erkannt, daß da oben etwas Ungewöhnliches geschehen sein müsse – schon sah sein bärtiges Angesicht über das Treppengeländer herauf; im nächsten Augenblicke stand er bereits vor dem Ulanen und legte ihm die Hand an die Schulter. „Machen Sie keine Umstände, Herr Mündler!“ sagte er. „Geben Sie sich! Ich erkenne Sie trotz der Verkleidung.“

Der Gefangene war todtenbleich geworden: er rang einige Augenblicke nach Fassung und Luft, dann sagte er gelassen: „Ich bin in Ihrer Gewalt – thun Sie mit mir, was Ihre Pflicht Ihnen gebietet!“

Drunten war der Vorfall wie Lauffeuer von Mund zu Mund gegangen, und neugierig drängte Alles herauf, um die Bestätigung zu erfahren und zugleich zu sehen, wie ein so hochgefährlicher Verbrecher wohl aussehen möge. Auch der Wirth war darunter und Sylvest. Einen Augenblick nur stand er Kuni gegenüber, aber er genügte, ihr mit einem einzigen Augenblicke zu sagen, daß er den Zusammenhang des Vorgefallenes vollkommen durchschaue und von ihrer Bosheit auch nichts Anderes erwartet habe. Kuni ertrug diesen Blick haßerfüllten Vorwurfs nicht; war sie doch schon auf’s Tiefste erschüttert durch die unglückliche Wendung der Ereignisse und brach beinahe zusammen vor dem Anblicke des unglücklichen jungen Mannes, der durch sie wieder in die Hände seiner Verfolger gefallen war. Um sich tastend und sich gewaltsam zusammennehmend, fand sie nun bald die zuvor in der Achtlosigkeit verfehlte Thür des Krankenzimmers, um neben dem Bette der Leidenden sich in Thränen hinzuwerfen, selbst krank bis in’s innerste Herz hinein.

Der Wirth strömte über von Beredsamkeit, um den Brigadier zu überzeugen, daß er von der Anwesenheit des Missethäters keine Ahnung gehabt und daß derselbe sich in’s Haus geschlichen haben müsse, was bei dem Zudrängen der vielen Gäste leicht möglich gewesen sei.

Auch Sylvest fühlte das Bedürfniß, allen Verdacht von sich abzulenken, und ging mit verstelltem Zorne auf denselben Gedanken ein. „Freilich muß er sich eingeschlichen haben, der Hallunk’!“ rief er, sich an den Gefangenen machend. „Und ich, der ich sonst so accurat bin in meiner Kammer, muß gerade heute auf das Zusperren vergessen! Herunter mit der Uniform!“ fuhr er, ihm dieselbe ausziehend, fort. „Hätte sie dem Herrn getaugt, um durchzukommen und auf meinen Namen alle seine schlechten Stückeln zu unternehmen? Und meinen Paß und Abschied hat der Herr auch gefunden und meinen Geldbeutel auch?“ fuhr er, die Taschen untersuchend, fort. „Das ist ja ein rechtes Glück, daß es so gegangen ist. Da wäre jetzt auf die schönste Manier mein ganzes erspartes Geld’l hin und meine schöne Ulanenuniform auch, mein einziges Andenken aus dem schönen Griechenlande.“

Der Brigadier befahl den Zuschauern, sich zu entfernen, dem Gefangenen aber, sich wieder in die Kammer zu begeben und seine eigenen Kleider anzuziehen. Sylvest in seinem Eifer ließ es sich nicht nehmen, ihm dabei zu helfen und ihm seinen Raub triumphirend Stück für Stück wieder abzunehmen. Der über den erwarteten Erfolg von Glück strahlende Brigadier gewahrte nicht, daß er ihm dazwischen leise hastige Worte zuflüsterte, die ganz anders klangen, als die laut gesprochenen.

Als man den Gefangenen allein ließ, begnügte sich der Brigadier nicht, die Thür abzusperren und den Schlüssel in die Tasche zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_518.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)