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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Devrient, der gleich mir von dem Singen Jessonda’s hingerissen war.

Er lächelte achselzuckend: „Die Stöckel ist nicht schön – ja, sie ist sogar grundhäßlich. Ihren plumpen Zügen fehlt jede Mimik. Wie aus Holz geschnitzt starrt ihr Gesicht in’s Leere. Und unsere lieben Dresdener sind verwöhnt durch eine Ungher-Sabathier und Wilhelmine Schröder-Devrient.“

Für den Carneval 1837 war Sabine Heinefetter an der Scala in Mailand engagirt, mit einem Honorar von tausend Franken für den Abend. Aber sie trat nur ein Mal als Inez de Castro auf und – gefiel nicht. Stolz verzichtete sie auf ihren Contract. Später hörte ich nur noch, daß Sabine die Bühne verlassen und in glücklicher Ehe als Madame Marquet zu Marseille lebe. Dann wieder nach vielen Jahren, daß sie als Wittwe sich in dem schönen Baden-Baden niedergelassen habe.

Kathinka wurde auf Kosten der großen Oper in Paris zur Sängerin ausgebildet. Diese Bühne betrat sie 1840 mit dem glänzendsten Erfolge. Ganz Paris schwärmte für ihre Schönheit, reizende Stimme, brillante Gesangskunst und ihr entzückendes Spiel. Und dann lief eines Tages die Nachricht von der grausigen Tragödie in Brüssel durch die Zeitungen, deren Heldin Kathinka Heinefetter war. In der Nacht vom 19. auf den 20. November 1842 war ihr Geliebter in ihrer Wohnung von einem Nebenbuhler getödtet. Bald hörte und las man mehr davon.

Wann Kathinka ihren Verlobten, den ich in Dresden kennen lernte, verabschiedete? Ich weiß es nicht. Im Sommer 1842 war der junge Pariser Advocat Caumartin ihr erklärter Anbeter. Er präsentirte sich als ein Mann sehr comme il faut. Er schenkte der Geliebten Silberzeug und Schmuck und begleitete sie zu einem Gastspiel nach Straßburg. Kathinka’s Gesellschafterin, eine Mde. Kerz, die während der Gerichtsverhandlungen im zweideutigsten Lichte erscheint und durch die affectirte Betonung ihrer Stellung als Ehrendame und Sittenmeisterin sich lächerlich macht, erkundigt sich angelegentlich nach den „Verhältnissen“ des jungen Mannes und sucht ihn zu einer „Erklärung“ zu bringen. Endlich erklärt Mr. Caumartin, daß er Mlle. Heinefetter heirathen wolle, obgleich das seiner Mutter Kummer bereiten werde. Er spricht sogar schon davon, für seine schöne Braut den Hochzeitskorb zu besorgen, und Ehrendame Kerz soll die Geschenke auswählen helfen. Man nimmt einen Fiaker. Vor dem Kaufladen muß Mde. Kerz zuerst aussteigen. Lachend fährt Caumartin mit der schönen Kathinka davon. Weinend kehrt diese zur Sittenmeisterin zurück und klagt ihr, daß Caumartin sie aus Rücksicht für seine Familie nicht heirathen könne, daß seine Mutter ihm bereits eine andere Braut auserwählt habe.

Bald darauf macht Kathinka die Bekanntschaft des jungen Mr. Steiner, und Ehrendame Kerz ruft aus: „Ha, Kind, das ist ein Mann für Dich. Laß den Caumartin laufen!“ Es kommt zwischen dem verliebten Advocaten und dem dreiundzwanzigjährigen Mr. Steiner zu einigen Eifersuchtsscenen, die durch Dame Kerz und ihre würdige Busenfreundin Mlle. Behr, die vergebens für sich den Titel „Madame“ beansprucht, glücklich arrangirt und durch Klatschereien und Briefe genährt werden. Es bleibt nicht bei Worten, und im Handgemenge erhält Mr. Steiner eine Verletzung am Auge. Kurz vor dem Duell sprechen sie sich offen über die Intriguen der Damen Kerz und Behr aus und entdecken, daß man sie absichtlich gegeneinander aufgehetzt habe. Sie scheiden als die besten Freunde. An demselben Abend erscheinen die Busenfreundinnen Kerz und Behr bei dem Vater Steiner, zeigen ihm einen Dolch vor, mit dem Caumartin seinen Sohn verwundet habe, und fordern ihn auf, die Hülfe der Justiz anzurufen, indem sie sich als Zeugen anbieten. Auch von Kathinka Heinefetter erhält Mr. Steiner jun. einen Brief, in dem sie ihm ihr Zeugniß gegen Mr. Caumartin zur Verfügung stellt und ihm verspricht: nie zu vergessen, ihn ewig zu lieben. … Mlle. Behr äußert sich sehr befriedigt, Mr. Steiner mit Kathinka entzweit zu haben, denn Mlle. Heinefetter habe kein Herz und sei nicht würdig, einen achtbaren Mann zu fesseln.

Arme Kathinka, wie weit bist Du schon gekommen, daß eine Kerz Dein Herz lenken und eine Behr sagen darf: Du habest kein Herz! Wie sehr fehlt Dir überall das treue kluge Auge, die sichere Hand und die Liebe Deiner Sabine!

All diese Ereignisse, die in Paris lebhaft besprochen wurden, machten Kathinka Heinefetter es wünschenswerth, wenigstens für einige Zeit den Schauplatz zu wechseln. Sie löst im September 1842 ihr Engagement an der großen Oper, obgleich sie noch drei Monate Contract hat, und engagirt sich bei der Oper in Brüssel. Bei der Diligence in Paris treffen die Sängerin und ihre Ehrendame mit Mr. Caumartin zusammen. Dieser läßt Dame Kerz in die Rotonde steigen und nimmt neben Kathinka im Coupé Platz. Die Mitfahrenden halten das junge heitere und zärtliche Paar für Eheleute auf der Hochzeitsreise. Kathinka und Caumartin steigen zu Brüssel im Hôtel de Suède ab und miethen eine Wohnung in der Rue des Hirondelles. Caumartin bezahlt die Miethe für einen Termin. Ende October kehrt er nach Paris zurück.

Bald darauf lernt Kathinka den sechsunddreißigjährigen Ainé Sirey kennen, der sich gern Graf nennt. Sein Vater ist ein berühmter Pariser Advocat, seine Mutter eine Nichte von Mirabeau. Ainé ist reich begabt, hat ein liebenswürdiges und sympathisches Aeußere und eine ausgezeichnete Erziehung erhalten. Sein Unglück ist: Eitelkeit. Als Knabe ist er ein glänzender Löwe der Boulevards und der Theater, als Jüngling ein blasirter Wüstling und verschuldeter Spieler. Es ist sein Stolz, sich schon in so jungen Jahren alle Laster seines Großoheims Mirabeau zu eigen gemacht zu haben. In den Julitagen treibt ihn die Eitelkeit, den Volksmann à la Mirabeau zu spielen. In einem Spielhause verliert er an einem Abend 22,000 Francs auf Ehrenwort. Er ruft: „Die Karten sind falsch – ich zahle nicht.“ Großer Tumult, der damit endet, daß die Falschspieler dem eleganten Sirey den Vorschlag machen, sich ihnen anzuschließen: à corriger la fortune! So tief ist Aimé noch nicht gesunken, und er übergiebt die Falschspieler den Gerichten.

Mit sechsundzwanzig Jahren verheirathet, hat er in wenigen Jahren sein und seiner Gattin Vermögen in leichtsinnigster Weise durchgebracht. Er muß sich vor seinen Gläubigern auf’s Land zurückziehen. Im November 1835 fordert er seinen Vetter Durepaire, der gegen Sirey’s Vater einen Geldproceß angestrengt hat, zum Duell. Durepaire lehnt es ab, sich zu schlagen. Sirey schlägt ihn in’s Gesicht, und das Duell findet statt. Im Parke von Issy ersticht Sirey seinen Vetter, der vor Gericht sein Recht wahren wollte. Er wird verurtheilt, der Wittwe Durepaire 10,000 Francs zur Erziehung ihrer vaterlosen Tochter zu zahlen. Aimé Sirey, der bereits 35,000 Francs Schulden hat und dessen Vater durch ihn ruinirt ist! Der schöne, elegante und von der Natur so begünstigte Aimé wird ein gemeiner Abenteurer. Er verläßt seine Familie und geht nach Brüssel, sein Glück zu versuchen. Er wird der Beschützer von Theaterdamen, die gerade in der Mode sind. Zunächst wendet er seine Gunst der Sängerin Mlle. de Roissy zu und macht mit Lärm Reclame für ihre Triumphe. Einen Friseur bedroht er mit Ohrfeigen und Degenhieben, wenn er wage den Gesang von Mlle. de Roissy nicht schön zu finden. Dem Director des Theaters stellt Sirey sich als Graf und Beschützer von Mlle. de Roissy vor und droht, Alle umzubringen, welche seine Dame auspfeifen würden. Einem Schauspieler, der sich erlaubt hat, den Gesang von Mlle. de Roissy zu kritisiren, giebt er eine Ohrfeige und bedroht ihn mit unzähligen, wenn er Klage führen werde. Einen Mediciner prügelt er zur Ehre von Mlle. de Roissy. Andere droht er zu tödten, zu würgen, aus dem Fenster zu werfen. Bei den Handwerkern, die mit Sirey zu thun haben, ist bald ein geflügeltes Wort in Gebrauch: Gewaltthätigkeit à la Sirey.

Dies ist der Mann, der sich bald nach der Abreise Caumartin’s dem neuen glänzenden Stern der Großen Oper in Brüssel, Kathinka Heinefetter, als Beschützer nähert und – der nicht zurückgewiesen wird.

Caumartin denkt inzwischen in Paris ernstlich daran, sich nach dem Wunsche seiner Familie zu verheirathen und sein Verhältniß mit Kathinka zu lösen. Er will seine Briefe von ihr zurückfordern und ihr die ihrigen, sowie Silber und Schmucksachen, die er noch von ihr in Händen hat, zurücksenden … da erhält er am 7. November von Kathinka aus Brüssel einen französischen Brief, den wir hier in der Uebersetzung mittheilen.

     „Mein theurer Eduard!

Ich schreibe Dir in derselben Stunde; denn ich liebe diese Stunde so sehr; sie erinnert mich an eine süße Zeit. Dein langer Brief, für mich immer zu kurz, hat mir ein unaussprechliches

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_523.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)