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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Namen mit dem ihres nächsten Stationsdorfes zu der vollklingenden Verbindung Herne-Bochum verschmolz. „Hernebochum!“ riefen die Schaffner in die Coupés und weckten im Reisenden, der nur ein wüstes, sumpfiges Gelände, von Herne wenig und von Bochum gar nichts sah, dunkle Anklänge an Czernebog und Melibocus.

Das Leben in dem kleinen Orte war, der Bedeutung desselben entsprechend, urwüchsig und patriarchalisch. Die Post kam täglich von Brünninghausen und ebenso oft in entgegengesetzter Richtung von Essen. Ueber Hattingen-Reviges vermittelte eine zweite Linie den Anschluß an die große Berlin-Elberfeld-Kölner Route. In engen, schlecht gepflasterten Straßen standen kleine unansehnliche Häuser, meist von Fachwerk und mit Schindeln bekleidet, im Style des bergischen Landes erbaut; neben oder vor dem Hause lag der Misthaufen, von dem aus Geflügel und Kleinvieh ungehindert seine Ausflüge auf die benachbarte Straße unternahm. Die engen Fenster und niedrigen Stuben der Häuser standen in lächerlichem Gegensatze zu den durchweg kräftigen, stellenweise sogar kolossalen Figuren der Bewohner.

Die Umgebung der Stadt war nur mäßig cultivirt. Große Obst- und Küchengärten verriethen nur selten das Walten einer kundigen und schönsinnigen Gärtnerhand; überaus schlechte Wege führten zu den kleinen Dorfschaften und ihren zerstreuten Höfen durch sumpfige, fieberathmende Niederungen hindurch, an Teichen vorbei und über buschige Hügel und Flächen, wo das Reh sprang und das scheue Wasserhuhn neben der wilden Ente hauste. Auf den haidebewachsenen unwirthlicheren Hochflächen huschte das wilde Kaninchen und nistete der Kibitz. Zwei kleine Kohlengruben Friederica und Engelsburg, je eine Viertelstunde vor der Stadt belegen und mit äußerst primitiven Einrichtungen ausgestattet, versorgten die Umgegend mit billigem Brande; es waren Besitzthümer von zweifelhaftem Werthe, die ihr Anlagecapital nur sehr gering zu verzinsen vermochten, bei einem durchschnittlichen Kohlenpreise von anderthalb bis zwei Silbergroschen per Centner.

In dieser stillen abgeschlossenen und regelrechten Abspinnung des gewöhnlichen Lebenslaufes brachte es eine große Aufregung hervor, als im Jahre des Herrn 1842 zwei Einwanderer in’s Städtchen kamen, ein paar Morgen Land kauften zu dem enormen Preise von fünf Thalern für die Kölner Ruthe (circa sechshundert Thaler per Morgen) und auf denselben etwa zehn Minuten vor der Stadt an der Essener Chaussee eine Gußstahlfabrik erbauten. Mit unverhohlenem Mißtrauen betrachtete man das Beginnen dieser „fremdredenden“ Menschen, welches die uralten Traditionen von Bochum zu stören drohte. Indessen wurde trotz allen Kopfschüttelns die Fabrik im Jahre 1843 unter der Firma „Mayer und Kühne“ mit wenigen Arbeitern eröffnet. Herr Jakob Mayer aus Dunningen in Württemberg war ihr technischer Leiter, und Herr Eduard Kühne aus Magdeburg führte die kaufmännischen Geschäfte.

Nach mehrjährigen Versuchen gelang es dem Ersteren, das große technische Problem des sogenannten „Stahlfaçongusses“ zu lösen, das heißt die verschiedensten Gegenstände in Stahlguß herzustellen. Diese hochwichtige Erfindung, auf deren Bedeutung wir im Verlaufe dieser Skizze genauer zurückkommen werden, fand die erste öffentliche Anerkennung auf der Gewerbe-Ausstellung zu Düsseldorf 1852, wo die Firma Mayer u. Kühne ein Gußstahlgeläute ausstellte und mit der silbernen Preismedaille geehrt wurde. Als im Jahre 1855 das mittlerweile in den Besitz des „Bochumer Vereins für Bergbau und Gußstahlfabrikation“ übergegangene Werk die Pariser Ausstellung mit drei gegossenen Stahlglocken beschickte, erhob sich ein erbitterter Widerspruch seitens der Concurrenz, die, unbekannt mit dem geheim gehaltenen Verfahren des „Stahlfaçongusses“, die Möglichkeit, solche Glocken aus Stahl zu gießen, hartnäckig in Abrede stellte und behauptete, sie seien aus Gußeisen. Indeß die Fabrik erbrachte den Beweis für die Richtigkeit ihrer Angabe, indem sie zuerst eine kleinere Glocke nach Paris schickte, an welcher der sogenannte Anguß – das überflüssig darauf Gegossene – noch nicht entfernt war, und diesen dort abnehmen und schmieden ließ. Als man auch hierbei noch Zweifel hegte, ließ sie eine Glocke zerschlagen und bewies durch die Schmiedbarkeit der Stücke, daß man es mit Stahl und nicht mit Gußeisen zu thun habe.

(Letzteres ist nämlich, wie wir gleich sehen werden, nicht schmiedbar.) Die große Jury ehrte das Werk und den Erfinder durch den höchsten Preis, die große goldene Ehrenmedaille und andere Auszeichnungen. Aehnlicher Anerkennung erfreute sich das Etablissement auf allen von ihm beschickten Ausstellungen. Die Londoner internationale Ausstellung 1862 brachte ihm drei Preismedaillen, die Stettiner Industrie-Ausstellung 1865 eine Preismedaille, die zweite Pariser Industrie-Ausstellung 1866 die goldene Medaille und die Wiener Weltausstellung 1873 das Ehrendiplom.

Um dem freundlichen Leser das Verständniß des Folgenden zu erleichtern, müssen wir zunächst einige Worte über die Eigenschaften der verschiedenen Eisen- und Stahlsorten hier einschalten.

Gußeisen, Schmiede-Eisen und Stahl sind eigentlich, soweit sie die Wissenschaft zur Zeit erkannt hat, im Wesentlichen nur durch ihren Kohlenstoffgehalt verschiedene Nüancen des Eisens. Schmiede-Eisen hat den geringsten Kohlengehalt, Gußeisen den höchsten, Stahl einen mittleren. Das Gußeisen wird bei tausendfünfzig bis tausendzweihundert Grad Celsius flüssig und gießbar, läßt sich aber weder schmieden noch walzen; es ist spröde und brüchig. Das Schmiede-Eisen dagegen ist kaum gießbar und muß durch Hammer und Walze bei Glühhitze in die gewünschte Form gezwungen werden; es ist biegsam, zäh und von großer Dichtigkeit. Der Stahl nähert sich, je nach seinem höheren oder geringeren Kohlenstoffgehalte, in seinen Eigenschaften der entsprechenden unvollkommeneren Eisensorte, idealisirt oder potenzirt jedoch dabei gewisse charakteristische Merkmale derselben. An Stelle der Sprödigkeit des Gußeisens tritt bei kohlenstoffreichem Stahle Elasticität und eine große Härtbarkeit. Bei geringer Beimischung von Kohlenstoff ist der Stahl zähe und biegsam, wie Schmiede-Eisen, aber in beiden Fällen, ob hart oder weich, von bedeutend größerer Haltbarkeit als jene. Je nach Bedarf wird er gehärtet oder ungehärtet benutzt. Messer, Scheeren, Feilen etc. werden z. B. erst ungehärtet verarbeitet und dann durch Glühen und rasche Abkühlung in besonders präparirtem Wasser gehärtet.

Es giebt verschiedene Sorten Stahl; die wichtigsten derselben sind: Raffinirstahl, Cementstahl, Tiegelstahl, Puddelstahl, Bessemerstahl und Martinstahl.

Der älteste ist der sogenannte Raffinirstahl, der für Messer, Schwerter, Säbel (Damascenerklingen) schon vor Jahrhunderten aus Rohstahleisen im Heerdfrischfeuer erzeugt wurde.

Cementstahl macht man aus Schmiedeeisen, indem man dasselbe mit Holzkohlen bestreut, in einem fest verschlossenen eisernen Behälter einer starken Rothglühhitze aussetzt und dadurch den Kohlenstoff dem Eisen imprägnirt. Dieser Stahl dient vorzugsweise als Material für den Tiegelgußstahl. Letzterer wird bei der höchsten im metallurgischen Betriebe erreichbaren Hitze in feuerfesten Tiegeln aus zerkleinertem Schmiedeeisen oder anderem Stahle unter Beimischung des erforderlichen Kohlenstoffes und anderer Ingredienzien hergestellt. Puddelstahl wird in Puddelöfen aus Roheisen durch Entziehung von Kohlenstoff erzeugt.

Bessemerstahl, nach dem Erfinder benannt, wird aus möglichst phosphor- und schwefelfreiem, vorher geschmolzenem Roheisen in großen birnenförmigen mit feuerfestem Material ausgefütterten „Convertern“ hergestellt, indem man atmosphärische Luft mit starker Pressung in die Converter durch das flüssige Eisen bläst und dadurch dasselbe von überschüssigem Kohlenstoffgehalt befreit.

Martinstahl wird aus Roheisen, Schmiedeeisen oder Abfällen von Eisen und Stahl bei Gasfeuerung in sogenannten Siemens’schen Regenerativöfen hergestellt. Dies letztere Verfahren ermöglicht auf die vorteilhafteste Weise die Verwerthung massenhafter Abfälle. Das Bessemer-Verfahren dagegen ermöglicht, sehr große Quantitäten auf einfachste und billigste Weise zu erzeugen. Die Erzeugnisse beider Fabrikationsmethoden haben die der älteren großenteils verdrängt mit Ausnahme jedoch des Tiegelstahls, der da noch immer Anwendung findet, wo es sich um Qualität handelt, wie z. B. bei Kanonen und bestem Eisenbahnmaterial, auch bei Werkzeugen, scharfen Schneidinstrumenten, wo es auf hohe Härte und gleichzeitig auf Zähigkeit ankommt, sowie endlich bei Preßcylindern, Schiffsschrauben, Glocken und anderen schwierigen Façonstücken.

Die Bochumer Fabrik hat sämmtliche Stahlfabrikationsmethoden sich zu eigen gemacht und alle, auch die neuesten, Verbesserungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_542.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)