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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

wieder einmal aufzublühen, die Stadt, um für kommende böse Zeiten um so fester gerüstet zu werden. Diese begannen auf’s Neue, aber in furchtbarer, bis dahin noch unerhörter Weise, mit dem Dreißigjährigen Krieg.

In diesem Verheerungskampfe blieb Breisach erst lange Zeit von der Kriegslohe verschont, die rings in den Ländern wüthete, indem es sich als des Reiches festestes Bollwerk am Oberrhein bewährte. Verloren sollte es Deutschland durch einen deutschen Fürsten in Frankreichs Solde gehen.

Herzog Bernhard von Weimar zog im Jahre 1636 gegen die Länder des Oberrheins mit einem zwar schwachen Heere heran, das aber stark durch tüchtige Führer war; nur ein Judas befand sich unter diesen, der Schweizer Erlach, ein leider ebenso verkäuflicher als tapferer Abenteurer. „Sein Heldenmut,“ sagt W. Menzel, „hätte wohl verdient, mit Vaterlandsliebe gepaart zu sein, anstatt mit jener niederträchtigen Allerweltsdienerei um’s Geld, welche die Schweizer Söldner in der Weltgeschichte brandmarkt.“ – Erst nachdem der Herzog die meisten festen Plätze am Oberrhein genommen, auch Freiburg besetzt und einen der berühmtesten Helden des Kriegs, den kaiserlichen Reitergeneral Johann von Weerdt, bei Rheinfelden, am 28. März 1638, geschlagen und gefangen hatte, konnte er an die Einschließung von Breisach gehen.

Sobald die Kunde nach Wien drang, daß der Weimarische Herzog das schwachverproviantirte, aber von 4000 Mann unter dem tapfern General-Feldzeugmeister von Reinach vertheidigte Breisach einschließe und mit Redouten umgebe, offenbar um bei der Schwäche seiner Armee den Sturm zu vermeiden und die Stadt auszuhungern, so rüstete der Kaiserhof Heer um Heer, um die Belagerer zu vertreiben. Das erste führten General Götz und der Herzog von Savelli heran. Letzterer war ein Wortbrüchiger, denn zugleich mit Johann von Weerdt gefangen, entwich er, gegen das gegebene Ehrenwort. Götz und Savelli kamen von Offenburg her und sollten nicht blos Breisach entsetzen, sondern über dritthalbtausend Malter Getreide dorthin bringen, denn schon jetzt begann in der engumschlossenen Stadt die Noth. Durch französische Hülfstruppen verstärkt, lieferte Herzog Bernhard den Kaiserlichen am neunten August bei Wittenweier eine siegreiche Schlacht. Vergeblich hatte man in Breisach nach Hülfe und Rettung ausgeblickt, der reiche Proviant fiel dem Gegner in die Hände, und mit den von Deutschen eroberten kaiserlichen Fahnen wurde Ludwig’s des Vierzehnten Wiege geschmückt.

Jetzt erhoben sich auch die unmenschlich mißhandelten Bauern des Schwarzwaldes gegen Bernhard und schlugen viele seiner Schweden und Franzosen todt. Dennoch mißlang auch ein zweiter Versuch, einen ungeheuren Proviantpark von Mehl und Pulver in die Stadt zu bringen. Der ihn mit sieben Regimentern schirmende General Horst wurde vom schwedischen Obersten Rosen zurückgetrieben und wieder ein großer Theil der Ladungen ihm abgenommen. Trotz alledem wuchs mit der Noth der unglücklichen Einwohner die Hartnäckigkeit der Vertheidiger. Das war im September. Schon damals kostete in Breisach eine Ratte einen Gulden, ein Ei einen Thaler und ein Hundeviertel sieben Gulden – bei dem Geldwerthe jener Zeit!

In den ersten Octobertagen führte der Herzog Karl von Lothringen eine neue Entsetzungsarmee über Belfort heran; zwei andere Corps unter Götz und Horst sollten seinen Angriff unterstützen. Bernhard lag fieberkrank darnieder, aber die neue und große Gefahr rüttelte ihn auf, er stieg zu Roß und schlug den Lothringer am dreizehnten October bei Thann auf’s Haupt. Todtkrank im Wagen kam der Sieger in sein Lager vor Breisach zurück. Auf diesen Umstand baute Götz neue Hoffnungen. Mit zehntausend Mann eilte er am zweiundzwanzigsten October zum Entsatze herbei und siegte in mehreren Treffen über Schweden Franzosen und Weimarische, bis am achtundzwanzigsten October ihn ein Hauptschlag traf und zwang, mit den Trümmern seiner Armee sich nach Freiburg zurückzuziehen.

In Breisach hatte die Hungersnot alles menschliche Maß schon überstiegen. Thierhäute wären bereits zu Leckerbissen geworden, von den Wänden kratzten die Unglücklichen den Kalk, um ihn zu essen. Dennoch blieb der Commandant Reinach standhaft; ja er soll seine Gattin erschlagen haben, als er erfuhr, daß sie ohne sein Wissen Vorräthe aus der Festung verkauft habe, und er schwur, eher sein eigenes Kind anzugehen, als den Platz zu übergeben. Aber auch der letzte Hoffnungstag brach endlich an, und das Unglück wurde Herr über so frevelhafte Schwüre.

Jetzt endlich sollten drei Entsetzungsarmeen zugleich angreifen, Götz bei Neuenburg über den Rhein gehen, um Bernhard vom Elsaß abzuschneiden, der Herzog von Lothringen über Kolmar vorrücken und bei Drusenheim sich mit Horst verbinden. Die energische Befolgung dieses Planes würde für Bernhard verderblich geworden sein, wenn er ihn nicht verraten und er selbst durch neuntausend Franzosen unter dem General Longeville verstärkt worden wäre. So schlug er erst Horst zurück und warf sich dann mit aller Macht auf den kühnen Götz. Diesem war es gelungen, bis in die Nähe der Rheinbrücke von Breisach vorzudringen, ehe der Kampflärm ausbrach. Schon standen die Kaiserlichen auf der Brücke, und in Breisach erhoben sich die stehenden Hände den Rettern entgegen, da bezwang Bernhard abermals seine Krankheit und warf sich zu Roß mitten in den Kampf. Eine zufällige Erscheinung, in jener Blüthezeit des Aberglaubens ein himmlisches Zeichen, ermutigte Bernhard’s Soldaten: ein Adler schwebte hoch ob seinem Haupte. Der furchtbarste Kampf entspann sich auf der Brücke, acht Angriffe mußten zurückgeschlagen werden, Freund und Feind verschlang in Menge die Fluth des Rheins, bis Götz mit dem Rest seiner Leute nichts übrig blieb, als die Flucht. Der Lothringer kam nicht zum Gefechte und mußte nun, allein zu schwach, auf seine Sicherheit bedacht sein. Das letzte kaiserliche Entsetzungsheer war dahin.

Wie streng auch des Kaisers Befehl, die Festung zu halten, an den Commandanten lautete – die äußerste Grenze des Möglichen war erreicht: der Hunger wirkte entmenschend, der Hungerwahnsinn trieb zum Furchtbarsten: man fraß Menschenfleisch; man soll nicht nur Kinder geschlachtet, sondern Leichen ausgegraben und verschlungen haben. Wie viel noch Einwohner übrig waren, und in welchem Zustande, läßt sich nach der Kunde bemessen, daß von den viertausend Mann Besatzung nur vierhundertzwei die Uebergabe am neunzehnten December erlebten. Bernhard gestattete ihnen für ihre tapfere Vertheidigung, nach einer labenden Mahlzeit, über die sie wie die wilden Thiere herfielen, ehrenvollen Abzug mit sechs Kanonen und neunzehn Fahnen. Als der Herzog nach seinen in die Gefangenschaft der Kaiserlichen gefallenen Leuten fragte, erfuhr er, daß sie, achtundachtzig an der Zahl, theils verhungert, theils gezwungen worden seien, einander selber aufzufressen. Aber so furchtbar war der Anblick der allgemeinen Noth, daß Bernhard seinen Zorn bezwang; er ließ den Commandanten von Reinach unbestraft und hielt sein Fürstenwort.

Breisach sollte die Haupt- und Residenzstadt des starken deutschen Staates werden, welchen Herzog Bernhard am Oberrheine zwischen Schwarzwald und Vogesen zu gründen gedachte. Den treulosen Erlach, der sein ganzes Vertrauen besaß, der aber längst von Frankreich bestochen war, machte er zum Commandanten der Festung. Als er sein Ende nahen fühlte, setzte er seine Brüder als Erben seiner Eroberungen und seiner „fahrenden Habe“ ein; aber kaum hatte er am neunzehnten Juli 1639 die Augen geschlossen, so griff Erlach nach letzterer und that hinsichtlich Breisachs seine „französische“ Pflicht. Der westphälische Friede sanctionirte den Raub Frankreichs.

Fast ein halbes Jahrhundert blieb Breisach der französische Schlüssel zum deutschen Reiche. Trotz der vielen Kriege Ludwig’s des Vierzehnten war dies doch für die entvölkerte Stadt und die verwüstete Umgegend eine Zeit der Erholung. Damals wurde das Rheinthor gebaut, das noch jetzt als ein Denkmal französischen Hohns über Deutschland dasteht, und an dem noch heute die freche Inschrift zu lesen ist:

„Limes eram Gallis, nunc pons et janua fio,
Si pergunt Galli, nullibi limes erit.“

Zu deutsch:

„Grenze war ich dem Gallier, jetzt werd’ ich Brücke und Thor ihm.
Nirgends, dringet er vor, halten noch Grenzen ihn auf.“

Dennoch nahm der Ryswicker Friede (1697) Breisach den Franzosen wieder ab. Im Zorne darüber baute an der andern Rheinseite Ludwig der Vierzehnte sich selbst ein neues Breisach.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_570.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)