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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


gefallen bist. Es braucht Niemand zu wissen, wo wir heute Nacht miteinander gewesen sind.“

„Und Du, Du?“ brachte Kuni endlich mühsam hervor.

„Ich? Ho, mir schadet’s so leicht nicht – ich bin’s gewöhnt,“ sagte er, „ich will noch nach dem Scheerfloß umschau’n, damit es ihn nicht wieder losreißt, dann will ich auf den Schlösselhof geh’n, will beim Bauern an’s Fensterl klopfen und ihm sagen, wo er Dich finden und abholen kann morgen in der Früh’.

Er schritt während dieser Worte vor ihr her dem Hause zu; sie folgte schweigend.

Auf sein Klopfen erscholl bald Antwort; eine Stimme wurde laut und fragte, wer zu so ungewohnter Zeit noch Einlaß begehre; er flüsterte ihr zu, selbst zu antworten, damit Niemand wisse, daß sie einen Begleiter gehabt und wen. Sie that es, halblaut und unsicher, und bald kam von innen der Bescheid, daß rasch geöffnet werden solle. Kuni hatte ihren Namen genannt, und die Stimme konnte sich schon jetzt nicht genug verwundern, daß „ein solches Leut“ zu solcher Zeit an die Hütte komme.

Sylvest und Kuni standen vor der Thür nebeneinander. Jedem war es um’s Herz, wie wenn noch etwas unter ihnen besprochen werden müsse, ehe sie, wer weiß auf wie lange, auseinander gingen. Aber Keines vermochte den rechten Anfang zu finden, und als Sylvest endlich doch den Mund öffnen wollte, um ihr zu sagen, daß die Feindschaft, die sie beide im Angesichte des Todes aufgegeben, auch aufgegeben sein solle gegenüber dem neugewonnenen Leben – da knackte der Holzriegel an der Thür und scheuchte ihn hinweg.

Er sprang seitwärts in’s Dunkel und hatte nur noch eben Zeit, Kuni ein flüchtiges „Behüt’ Dich Gott!“ zuzurufen.

„Behüt’ Dich Gott!“ sagte Kuni leise. „Behüt’ Dich Gott – und …“

Der Nachsatz blieb ungesprochen. Die Frau des Hauses erschien auf der Schwelle und ließ, um sich zu vergewissern, daß keine Täuschung obwalte, den vollen Schein des hoch emporgehobenen Spahnlichtes auf Kuni fallen, daß sie wie in einer verklärenden rothen Beleuchtung stand, welche alle Zeichen und Erinnerungen der ausgestandenen Schrecknisse verschwinden machte. Mit angehaltenem Athem lauschte Sylvest in seinem Verstecke, bis mit dem Verschwinden des Lichtes das schöne Bild verflog, gleich einem vom Himmel zuckenden Sternschuß.

Eine Weile wartete er noch und lauschte den Stimmen, die er drinnen murmeln hörte. Da sich bald nichts mehr regte, mochte der Gast wohl gute Aufnahme gefunden haben. Da ging auch er langsamen Schrittes unter den dürren Bäumen dahin, dem Lande und der Richtung zu, wo die Straße sich hinziehen mußte. Als er zurücksah, blinkte noch Licht in dem Hause, aber nun kam es von einem anderen Orte her, offenbar aus dem Fenster der Kammer, welche Kuni zur Nachtherberge angewiesen worden war.

Er stand und schaute und sann einen Augenblick – ihm war, als habe er etwas Wichtiges vergessen und müsse noch einmal umkehren. Zufällig glitt ihm das Tuch, das ihm Kuni umgebunden hatte, von der Stirn und schien ihm den Grund dazu recht buchstäblich in die Hand zu geben; er bedurfte des Verbandes nicht mehr. Das Blut hatte die Wunde verklebt und vertrat dessen Stelle. Schon erhob er den Fuß zur Umkehr, als er das am Tuche klebende Blut gewahrte. „So kann ich das Tüchel doch nicht zurückgeben,“ sagte er, wie entschuldigend zu sich selbst, indem er es sorgsam in die Tasche schob, „ich muß es doch erst waschen lassen.“

Eilend verschwand er in der Nacht; je weiter er aber kam, je langsamer wurde sein Schritt; die Gedanken und Erinnerungen der durchlebten Nacht hefteten sich daran, wie sich dem Waldwanderer eine Dornhecke anhakt und ihn zwingt, daß er still stehen und sich von ihr ablösen muß. Auch der Abend vom Erlinger Loostanze kam ihm in den Sinn und die Weise des Liedes, das dort erklungen war. Er konnte die Töne nicht aus dem Sinne bringen und summte sie halb unbewußt vor sich hin. Das bittere Gefühl, daß nach einem solchen Zusammentreffen das Auseinandergehen ein anderes hätte sein müssen, hatte die Oberhand behalten –

„Wo die Brennnessel wachsen,
Ist für’s Grasel kein Platz,
Und der Hund thut halt bellen
Und miau schreit die Katz’.“




4.
Mattheis – bricht’s Eis.

Auf dem Schlösselbauernhofe war es schön.

Es war so schön, wie damals, als der alte Hochzeitlader geritten kam, nur war es eine Schönheit anderer Art; damals war der Sommer in letzter Pracht zur Neige gegangen, jetzt quoll des Frühlings erste Herrlichkeit aller Enden hervor. Die ältesten Leute besannen sich kaum, jemals einen so schönen „Auswärts“ erlebt zu haben und einen so baldigen obendrein. Obwohl erst der Hornung zu Ende ging, war auf den Hängen und Breiten überall der Schnee bereits gewichen und hatte nur noch in Hohlwegen oder an schattigen Waldrändern einzelne verlorene Posten zurückgelassen. Ueber Bäumen und Sträuchern lag jener zarte Schimmer von Grün, der überall das Hervorbrechen und theilweise Aufgehen der Blattknospen verkündet; an den Weidenzweigen krochen die wollenen Kätzchen hinan, und hier und da, an besonders sonnigem Bühel lugten schon einzelne Kirschblüthen vorwitzig in die gleich ihnen aufknospende Frühlingslandschaft. Der Ammersee spiegelte einen kühlen, aber lichtblauer Himmel ab, durch welchen oben zarte weiße Duftwölkchen schwammen, während unten die Möven und Geier mit blitzenden Schwingen dahin schossen, als wollten sie ersetzen, was jenen an Schnelligkeit abging. Das Gebirge freilich trug noch die Eiskronen um den Scheitel, aber darüber wob sich ein kaum durchsichtiger Schleier, jener weiche wonnige Duft, der das Geheimniß eines neuen Werdens verkündet, indem er es verhüllt.

Um den Hof, der trotz des hohen Standortes eine wohlgeschützte warme Sonnenlage hatte, war es besonders freundlich; die Linden an der Rückseite hatten schon dicke Knospen, und die Schlehenhecke, welche sich darunter als Umzäunung hinzog, begann ihre Zweige mit den weißen Silberstiften ihrer Blüthenaugen zu beschlagen; der Schafbub aber, der eben aus dem Hause auf die Gräd kam, hatte um seinen alten verblichenen Hut einen Kranz goldiger Schlüsselblumen von der Weide heimgebracht.

Der Bub trug einen Teller mit Brod und Gläsern und eine Flasche Kranewitter, denn auf der Gräd saß der Schlösselbauer wieder bei einem Gaste und vor derselben stand wieder das Wägelchen bereit, wie damals zur Fahrt nach dem Diessener Markte; der Gast aber war Niemand anders, als der kundige Bader, der von dem besorgten Vater um die Gesundheit und den Gemüthszustand seiner Tochter befragt worden war und längst den unfehlbaren Heiltrank aus den Frühjahrskräutern gebracht hatte, die noch niemals so frühzeitig, aber eben deshalb auch niemals so kräftig zu haben waren, wie diesmal. Jetzt im Auswärts hatte er alle Hände voll zu thun, denn die Landleute halten darauf, daß ein Aderlaß zu dieser Zeit die größte Wohlthat sei, die man sich selber anthun könne; auf einer seiner Wanderungen mit Schnepper, Blutschüssel und rother Binde hatte der Bader auch wieder beim Schlösselbauer vorgesprochen, um sich nach dem Erfolge seiner Arznei zu erkundigen.

„Wir müssen das Beste hoffen,“ sagte der Bauer, indem er die Gläser füllte, „bis jetzt hat sich noch nicht viel spüren lassen von einer Besserung; ich bin schon zufrieden, weil es nur nicht ärger geworden ist. Sie ist noch die alte Sinnirerin wie zuvor und noch stiller, wenn’s möglich ist, aber im Ganzen kommt sie mir doch ein wenig frischer vor, und wie neulich das Ladschreiben gekommen ist, daß es nun doch noch etwas wird mit der Heirath von dem Zachariesel, dem ewigen Hochzeiter, mit der Grubenmüllertochter, da ist es mir schier vorgekommen, als wenn sie lachen wollte.“

„Wird schon noch kommen, das Lachen,“ entgegnete der Bader wichtig und versteckte das Kinn in dem hohen Halstuche, das er trug, „meine Mixtur ist gerade besonders auf das Lachen berechnet. Wird schon noch kommen; das Lachen sitzt eben im Zwerchfelle, und so lange die Milz nicht frei ist von betrübten Dünsten, und so lange die Galle die Oberherrschaft hat, kann das Zwerchfell nicht erschüttert werden – ergo! Aber wo ist denn die Patientin? Ich möchte sie wohl sehen, ihr den Puls fühlen und auch linguam, zu deutsch: die Zunge betrachten.“

„Ich glaub’ nit, daß sie sich vor Euch sehen läßt,“ sagte der Bauer kopfschüttelnd, „sie will von Euch und Eurer Medicin nichts wissen, und ich hab’ ihr zureden müssen mit Teufelsgewalt, daß sie sie nur eingenommen hat. Wie sie Euch vorhin hat kommen sehen, ist sie in ihre Kammer hinauf und hat gesagt,

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