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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Das muß ich schon sagen, da freut mich mein Leben,“ rief der Bauer und wollte ärgerlich werden, weil er sich so überlistet sah, weil ihn die Thaler wurmten und weil Kuni über seinen Aerger in lautes herzliches Lachen ausbrach. Er fand sich aber nicht recht in den Unwillen hinein, denn die Freude über Kuni’s Lachen war zu groß, als daß nicht alle unangenehmen Regungen vor dem lange entbehrten heitern Lachtone verstummt wären. „Da möcht’ man schon gleich in den Hut steh’n mit dem Mädel, aber sie lacht, und sie singt wieder; sie lacht wahrhaftig, und das ist die Hauptsach’ – wenn es auch ausgelacht ist und über mich selber hergeht. Am End’ hat Dir gar nichts gefehlt, Du bist nit einmal krank gewesen, und es ist Alles nichts gewesen, als daß Du Deine Mucken und Spergamenter mit uns getrieben hast.“

„Nein, Vater,“ sagte Kuni plötzlich ernst, faßte ihn bei der Hand und sah ihm so voll und herzlich in’s Gesicht, daß der Alte nahe daran war, feuchte Augen zu bekommen. „Ich bin wohl krank gewesen, recht krank – ich hab’ einen Stein in mir gehabt, der ist mir schwer auf dem Herzen gelegen und hat mir’s fast abgedrückt – die Bas’l hat mir davon geholfen.“

„Die Bas’l? Die feindselige Dingin? Die keinem Menschen was Gut’s gegönnt hat? Die Dir gar Nichts und Alles fremden Leuten vermacht hat?“ rief der Bauer. „Das müßt’ sonderbar zu’gangen sein.“

„Die Bas’l ist nit so gewesen, wie die Leut’ gemeint haben. Mußt ihr nichts Ungut’s nachreden, Vater, wenn’s Dich freut, daß ich wieder anfangen kann zu lachen und zu singen,“ sagte Kuni, von der Erinnerung an das Sterbebett der Base gerührt. „Es hat so kommen müssen. Auf dem Wege von ihr her – Du weißt wohl, in der bösen Nacht, wo ich mich so vergangen hab’ – da ist mir der schwere Stein vom Herzen gefallen.“

„Aber wie denn? Warum rückst Du nit heraus mit der Sprach’?“ fragte der Alte entgegen. „Warum denn lauter solche Heimlichkeiten? Ich weiß alleweil’ noch nicht recht, was Dir eigentlich geschehen ist in der Nacht, und wie Du in das Gestad’lhäusel gekommen bist, wo ich Dich geholt hab’.“

„Das wirst Alles schon einmal erfahren, Vater,“ sagte Kuni mit gewinnendem Tone, „nachher wirst Alles versteh’n.“

„Thät schon noth, denn jetzt versteh’ ich von der ganzen Sach’ so viel, wie gar nichts,“ rief er dazwischen. „War eine Nacht, daß man keinen Hund hinaus jagen sollt’. Gestürmt hat’s, daß ich ein paar Mal gemeint hab’, es nimmt mir das Dach über’m Kopfe weg. Auf einmal, schon gegen den Tag zu, kommt was an mein Fenster und klopft an und sagt, Du wärst von der Bas’l fort; das Wetter hätt’ Dich überfallen, und ich soll Dich in der Früh’ beim Gestad’lhäusler holen – weiter hätt’st Du nimmer kommen können. Ich hab’ lang’ gemeint, es wär’ nur ein Traum, und hab’ um den Namen gefragt, wer mir denn die Botschaft bringt. ‚Das brauchst nit zu wissen,‘ hat er gesagt, ‚Du thätst mich doch nit kennen.‘ Dasselbe ist aber nit wahr gewesen, denn wenn er auch die Sprach’ verstellt hat, ist sie mir doch bekannt vorkommen, und wenn’s nit gar so närrisch gewesen wär’, so hätt’ ich fast geglaubt, es wär’…“

„Horch, Vater!“ unterbrach ihn Kuni, „der Bub’ schnalzt mit der Peitschen; er hat also schon eingespannt. Machen wir uns auf den Weg, damit wir nit zu spät kommen!“

„Hast Recht,“ sagte er, indem er sie verwundert betrachtete und sich dann gegen die Thür wandte; aber, wie sich eines Bessern besinnend, hielt er inne. „Das ist auch wieder was Neues, daß es Dir zu so was eilt. Aber wie wird’s denn nachher sein;“ begann er wieder, fast wie verzagt? „auf der Hochzeit werden gar viel Leut’ sein – da könnt’s leicht geschehen, daß man Jemand begegnen könnt’, der Einen nit besonders freut …“

„Brauchst Dich deswegen nit zu fürchten, Vater,“ unterbrach sie ihn fest, aber sich rasch abwendend, damit er ihr Erröthen nicht gewahren solle, „ich will den Leuten zeigen, daß ich mich nicht vor ihnen scheu’, und denk’, wenn ich tanzen will, wird’s wohl noch einen Burschen geben, der mich holt, wenn’s auch nicht zum Loostanz ist. Derselbige aber, den Du meinst,“ setzte sie etwas zögernd hinzu, „der wird nicht da sein. Du weißt ja, daß er sich nirgends blicken lassen darf.“

Kuni hatte schon den Wagen erstiegen. Der Vater setzte sich neben sie. „Auf das ist kein Verlassen,“ sagte er, Zügel und Peitsche ergreifend. „Derselbige kann wohl kommen, wenn es ihm darum zu thun ist; es heißt, der König hat den Flüchtling begnadigt, weil seine Mutter einen Fußfall vor ihm gemacht hat; da wird man dem, der ihm durchgeholfen hat, auch den Kopf nicht abreißen.“

Die letzten Worte verloren sich etwas im Geräusche des dahinrollenden Wagens; das tiefere Roth, das Kuni’s Wangen überflog, verrieth jedoch, daß ihr dieselben nicht entgangen waren – sie schwieg aber und machte sich mit dem Sitze zu schaffen, als ob sie es sich auf demselben erst bequem machen müsse.

Der Vater sah sie nach einer Weile von der Seite an. „Nun,“ sagte er, „ist Dir die Stimm’ verfallen? Warum red’st Du denn nichts?“

„Es ist nicht gut reden im Fahren; es stoßt so,“ sagte sie sich zur Seite wendend.

Der Bauer aber, dessen Stolz es war, daß sein Wägelchen sich so leicht fahre, als ginge es auf einer geschlagenen Tenne dahin, ließ die Peitsche knallen, daß die Pferde ausgriffen und das Wägelchen hin und wieder flog. Wenn dasselbe denn doch einmal stieß, kam es auf ein paar Püffe mehr oder minder auch nicht an. –

In dem Dorfwirthshause, in welchem das Hochzeitmahl gerüstet wurde – es wird wohl das in Utting gewesen sein – wurde indessen aller Orts schon tüchtig gearbeitet, besonders in der Küche; es war auch keine Kleinigkeit, für eine zahlreiche Gesellschaft eine so ausgiebige Mahlzeit herzustellen, als es der Landesbrauch erforderte – war es doch eine sogenannte „große Hochzeit“, die gefeiert werden sollte, und außer den achtzig oder neunzig Personen, welche mit in die Kirche gingen und an dem Essen Theil nahmen, also „in die Hochzeit“ gingen, waren mindestens ebenso viel andere Gäste zu erwarten, welche „auf die Hochzeit“, also erst gegen Abend kamen und deren Bedürfnisse also auch befriedigt sein wollten. Obendrein mußte auch dafür gesorgt werden, daß jeder Mahlgast noch einen angehäuften Teller voll „Bescheidessen“ zurückstellen und in ein Tuch gebunden, seinen Angehörigen heimbringen konnte. In der Küche sott und briet, brodelte und qualmte, rauchte und duftete es bunt durcheinander, und eine kundige Nase hätte bereits vermocht, einige der landesüblichen „Hauptrichten“ zu unterscheiden, wie das mit Knoblauch gespickte Brühfleisch und das unerläßliche „Ehrenkraut“.

Nicht minder emsig ging es im obern Stockwerke, in dem langen, aber niedrigen Saale zu, in welchem die Tafel in langer schmaler Reihe aufgestellt war, während eine ausgeräumte Stube nebenan zum Tanzboden umgeschaffen war, damit die Gäste keinen weiten Weg zu machen hätten, denn es ist Sitte; daß der Tanz nicht bis zuletzt verspart, sondern in Abtheilungen zwischen den einzelnen „Richten“, deren jede aus mehreren Speisen besteht, eingeschaltet wird. In Ermangelung anderen Grüns waren die Fenstersimse und Thürgerüste mit Tannengewinden verziert, an welchen breite Streifen bunten Papiers sich emporringelten; hinter dem Platze des Brautpaares war ein für den Abend bestimmtes Transparent angebracht, in welchem ein M und ein F in geschliffenen Glassteinen flimmerte. Die Braut hatte es durchgesetzt, daß auch hier der mißtönende Zachariesel vermieden worden war.

In der Tanzstube war der alte Trompeterfranzel mit der Herrichtung des Musikantensitzes beschäftigt, auf welchem bereits der Brummbaß sich, wie in grämlicher Erwartung der seiner harrenden Strapazen, mit dem Gesicht in die Ecke gelehnt hatte. Der Alte hatte zwar den abermaligen Hochzeitsritt ausgeschlagen, aber bei der Hochzeit selbst wollte er doch seines gewohnten Amtes walten, die verschiedenen Sprüche thun, die „Abdankung“ halten und mit seinem kräftigen Geigenbogen die Musik in Ordnung halten, wenn sie etwa mit der vorrückenden Zeit und der wachsenden Steigerung des Vergnügens in’s Schwanken gerathen sollte.

(Fortsetzung folgt.)



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