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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


nicht vergaß, der, wenn auch allen Anderen ein Fest, seine Hoffnungen für immer vernichtete. Das Geschenk bestand in einem etwas vergrößerten Abguß des Amor, dem auf dem Diessener Jahrmarkte ein so betrübtes Ende zu Theil geworden; der Absender mochte auch jetzt ein ähnliches Loos gefürchtet haben, denn die Figur war diesmal nicht aus zerbrechlichem Gyps, sondern aus gebrannter Erde geformt, die sich wohl besser eignete, einen eifersüchtigen Anprall zu ertragen. Gleichwohl hing es an einem Haare, daß auch ihr dasselbe zerschmetternde Schicksal zu Theil wurde. Für Zachariesel’s Gemüth, vollgeladen mit allerlei Brennstoff der Ungeduld, des Aergers und unklarer Unzufriedenheit mit sich selber, war der Anblick der verhaßten Figur wie der Funke in’s Pulverfaß. Er sprang auf, und wäre der Grubenmüller nicht ebenso behend dazwischen gesprungen, so wäre die gebrannte Erde trotz ihrer Festigkeit in Trümmern an die ungebrannte Erde geflogen. Alle Schleußen zurückgehaltener Kränkung gingen in ihm auf. Er habe es mit Widerstreben überwunden und hinuntergeschluckt, rief er, daß Mechel – in seinem Unwillen fand er keinen anderen Namen – ohne sein Wissen sind Wollen in die Stadt gegangen und mit dem Kanarienvogel, dem Schmierer, auf dem Faschingstanz herumgefludert (geflattert) sei; wenn aber das Gethu’ und das Gespengel jetzt auch noch kein Ende nehme, so sei er Manns genug, das nicht zu leiden und gründlich nachzuholen, was er im Erlinger Hohlwege versäumt habe. Vergebens wiederholte Mechel alle schon oft vorgebrachten Entschuldigungen; vergebens mahnte der Müller zur Ruhe; wenn die Trauung vorüber sei, hätten sie noch Zeit genug, das Alles mit einander auszufechten. Erst dem Zureden seiner Mutter gelang es, ihn durch Schmeicheln allmählich wieder zu beruhigen und ihm begreiflich zu machen, wie er ja nun an dem Ziele stehe, nach welchem er sich so lange mit Leidenschaft gesehnt; wie es nun unmittelbar vor Thorschluß doch keinen Ausweg mehr gebe, und wie es ihm als einem gesetzten Burschen schlecht anstehe, sich von der Eifersucht so hinreißen zu lassen und den Leuten Anlaß zu neuem Reden und neuem Gespött zu geben.

„Mutterl,“ sagte er endlich, „ich thu’ Alles, was Du willst. Mit Dir kann ich nicht streiten. Du hast mir ja auch Alles gethan, was ich gewollt hab’, hast sogar eingewilligt, daß das Heimathl verkauft worden ist, und willst noch in Deinen alten Tagen eine neue Haut anzieh’n und mit mir übersiedeln an einen fremden Ort. Dafür sollst Du’s aber auch gut haben bei mir,“ setzte er hinzu, indem er ihre beiden Hände faßte und streichelte, „ich will Dich auf den Händen tragen und Alles thun, was ich Dir nur an den Augen abseh’n kann. Und immer mußt Du bei uns sein. Hast Du neulich, wie wir die Grubenmühl’ besichtigt haben, das kleine Kämmerl’ neben der Wohnstuben geseh’n, das heimliche mit der Holzverschalung, wo man so schön auf den Mühlschuß hinaussieht und auf die Buchen darum herum? Das richten wir Dir ein, wie Du’s daheim gehabt hast; das soll Dein Logis sein, Mutterl …“

„Du mußt nichts versprechen, was wir nicht halten können,“ unterbrach ihn Mechtild und faßte die ihr gebotene Friedenshand mit sehr kühler Bewegung; „denkst Du denn gar nicht daran, daß ich auch einen Platz haben muß? Wo willst Du denn mich hinthun in meiner Mühl’?“

„Dich?“ fragte Zachariesel staunend. „Ich mein’, wir werden miteinander hausen und beieinander logiren. Du wirst so wenig ein eigenes Zimmer brauchen, wie ich.“

„Nein, nein, das geht nicht,“ erwiderte sie spitz. „Ich muß mein eigenes Zimmer haben. Das bin ich so gewohnt von Jugend auf. Das Kämmerl’ neben der Wohnstube ist mein gewesen, so lang’ ich die Tochter im Hause gewesen bin; ich seh’ nicht ein, warum ich als Frau vom Haus mich daraus vertreiben lassen soll. Die Mutter kann in den obern Stock zieh’n; in der obern Kammer ist die Aussicht noch viel schöner.“

Zachariesel wechselte die Farbe. „Ah, das wird doch nit Dein Ernst sein, Mechtild, daß Du meine Mutter unter’s Dach hinauf logiren willst, daß das alte Frau’l mit sein’ müden Füß’ so hoch steigen soll…“

„Na, seid so gut und fangt noch einmal einen Disputat an!“ rief der Müller ärgerlich dazwischen. „Das ging’ mir justament noch ab.“

„Ich kann ja nichts dafür,“ sagte Mechtild weinerlich, „er fängt immer wieder an, wo er mich mit etwas tratzen (necken) kann.“

„Still jetzt, alle Zwei!“ rief der Müller wieder. „Keins redet mir mehr ein Wort! Ich will’s haben, und da beißt die Maus keinen Faden ab.“

Auch das alte Mütterlein ließ es nicht an begütigenden Worten fehlen; ihrem Zureden und Schmeicheln gelang es auch, den Sohn zu beruhigen, der keineswegs gesonnen schien, sich dem Machtgebot des Müllers so unbedingt zu fügen. „Meinetwegen,“ sagte er dann, „ich will noch einmal nachgeben; sind wir erst einmal beisammen, dann wird Jedes schon den Platz finden, wo es hingehört.“ Die Mutter wisperte ihm freundlich dafür zu, ihr war es ja gleich, welchen Winkel man ihr anwies. Sie lebte glücklich, wenn sie nur wußte, daß im übrigen Theile des Hauses ihr Sohn lebte und es ebenfalls war.

Das zweite Glockenzeichen machte den Abbruch des Gespräches nothwendig; es war Zeit, sich zum feierlichen Kirchgange im Zuge aufzustellen, und die Musik, welche mit einem fröhlichen Marsche vorausschreiten sollte, begann bereits, vor der Thür ihre Instrumente zu prüfen. Auch die Brautjungfern mit der ganzen Hochzeitsgesellschaft traten ein; ihnen entgegen stürmte der Bräutigam; er wolle gleich wieder zurückkommen und vor dem feierlichen Augenblicke nur noch einen Athemzug frischer Luft schlürfen.

Er schien dessen auch wirklich zu bedürfen; ganz gegen seine sonst so ruhige Weise glühten ihm Wangen und Stirn, und als er an der Küche vorüber in den Hofraum trat, in dem sich auch der kleine, noch winterhaft öde Hausgarten befand, wehte ihm die frische Luft wie eine wirkliche Kühlung und Erquickung entgegen, daß er tiefaufathmend einen Augenblick stille stand und nicht gleich bemerkte, daß er nicht allein war; das plötzlich beginnende Geplätscher des Röhrenbrunnens, der bis dahin verstopft gewesen sein mußte, lenkte seine Blicke dahin; an dem Troge, mit dem Wässern von Gemüse beschäftigt, stand eine schlanke Mädchengestalt, die ihm unbekannt und doch nicht fremd dünkte.

Er eilte hinzu; seine Tritte veranlaßten das Mädchen, sich umzuwenden, und Beide standen sich mit einem Halblaute unterdrückter Ueberraschung gegenüber, der bei Julei mehr ein Ausdruck des Schreckens, bei Zachariesel der einer unverhofften Freude war, die ihn im Augenblicke vergessen ließ, wo er sich befand, wohin er gehen sollte, und was der Rosmarinzweig an seiner Brust bedeutete.

„Du bist es, Julei?“ rief er, „ja, wie kommst denn Du daher? Bist es denn wirklich?“

„Was ist dabei Merkwürdiges?“ erwiderte sie gesenkten Blickes und in anscheinender Ruhe, aber das Geschirr in ihrer Hand erklirrte leise von der zitternden Bewegung derselben. „Ich bin halt auf der Stöhr da als Näherin.“

„Aber das ist eine unverhoffte Freud’,“ rief Zachariesel, und sein Antlitz strafte die Worte nicht Lügen. „Ich komm’ kaum zu mir selber; ich hab’ seitdem so oft an Dich gedacht und mich selber ausgescholten, daß ich Dich gar nit gefragt hab’, wo Du Dich denn aufhältst; ich hätt’ Dich so gern wieder gesehen und hab’ nit gewußt, wo ich Dich suchen soll.“

„Zu was wär’s auch gut gewesen?“ entgegnete das Mädchen mit unsicherer Stimme, „ich bin bald da, bald dort, und Du, mein’ ich, hast wohl auch den Kopf voll anderer Gedanken.“

„Aber jetzt mußt Du mir’s sagen, Julei,“ rief er, wärmer werdend, „jetzt such’ ich Dich gewiß oft heim, oder noch besser. Du mußt zu mir kommen in die Grubenmühl.“

„Ich glaub’, die Hochzeit hat Dir den Kopf verdreht,“ sagte sie, „Du weißt nit, was Du redst. Du hast nichts bei mir und ich nichts bei Dir zu suchen; die neue Müllerin kriegt Näherinnen genug, und ich hab’ so viel zu thun, daß ich eine neue Stöhr in der Grubenmühl’ nit annehmen kann.“

„Das ist recht schad’,“ entgegnete er und faßte sie fester in’s Auge, denn in seinem Innern stieg eine bisher unbekannte Ahnung, wie schwach beginnendes Tagesgrauen auf. „Du hast doch selber gesagt, daß die Grubenmühl’ so schön ist, und daß es Dir nirgends so gut gefallt, als wenn Du in eine Mühl’ kommst.“

Sie sah schweigend zu Boden. „Das ist früher gewesen,“ sagte sie dann kurz, nahm ihr Geschirr und wollte sich an ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_599.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)