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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Pflege verdankt sie es, daß sie nicht nur der Hauptherd für die Fortschritte der kritischen Philosophie, sondern überhaupt der Brennpunkt der deutschen Wissenschaft wurde und mehrere Decennien hindurch blieb. Und mit dem ihm eigenthümlichen feinen Verständnisse für den Genius zog er im Bunde mit Goethe die genialen Koryphäen deutschen Geistes, deutscher Kunst nach Weimar. Deutschland

nennt keinen großen Namen,
Den dieses Haus nicht seinen Gast genannt.

Und nicht Gast allein; Karl August wußte sie in Weimar zu fesseln. Sehr treffend sagte Goethe im Tasso:

Ein edler Mensch zieht edle Menschen an
Und weiß sie fest zu halten.

So erfolgte, namentlich auf Goethe’s Betrieb, die Berufung Herder’s, und Karl August war es, der ihn gegen die Anfeindungen von orthodoxer Seite schützte; so erfolgte später die Berufung Schiller’s nach Jena, seine Uebersiedlung nach Weimar, und wieder war es Karl August, der für Schiller’s äußere Stellung nach Kräften Alles zu thun bereit war und sich des Freundschaftsbundes von Schiller und Goethe und ihres gemeinsamen Wirkens freute.

Und über die engen Grenzen seines Landes weit hinaus bethätigte der Herzog seine deutsch-patriotische Gesinnung. Der Gedanke, welcher erst in unseren Tagen zum Heile des Vaterlandes verwirklicht worden, erfüllte ihn schon in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Seine Sehnsucht, seine Hoffnung ging – nach seinen eigenen Worten – dahin, „daß der träge Schlummergeist, der Deutschland seit dem westphälischen Frieden drückte, endlich einmal zerstreut werden könnte – daß der Nationalgeist, von dem leider auch die letzten Spuren täglich mehr zu erlöschen schienen, erweckt werden könnte;“ er betrachtete den deutschen Fürstenbund, mit Preußen an der Spitze, als das Mittel zur Wiedergeburt des Gesammtvaterlandes, „seines beinahe erloschenen Gemeingeistes und seiner tiefgesunkenen Gesammtkraft,“ und wirkte und warb für diese Union mit Feuereifer.

Aber noch traurigere Zeiten sollten für Deutschland kommen und gerade in Karl August’s Lande, bei Jena, die Entscheidungsschlacht geschlagen werden. Durch die Mangelhaftigkeit der Heeresorganisation und die Unfähigkeit der Führer auf preußischer, durch die kluge Benutzung des Terrains, so namentlich des Rauthales, auf französischer Seite ging die Schlacht für Preußen, für Deutschland verloren. Wie anders hätte die Entscheidung fallen können, wenn die preußischen Oberbefehlshaber den weimarischen Herzog, ihn, dem jeder Zugang, jede Schlucht seines Landes genau bekannt war, in jenen verhängnißvollen Tagen nicht mit der Avantgarde nach Ilmenau beordert hätten! Während seine muthige, deutsche Gemahlin im Schlosse zu Weimar dem siegreichen Corsen, dessen zweihundert Kanonen ihr keine Furcht hatte hatten einjagen können, mit Ruhe und Würde Achtung abzwang und dadurch ein Ende der Plünderung ihrer Stadt und Schonung des Landes erlangte, befand sich der tapfere Herzog an der Spitze der preußischen Reiterei und suchte, nordwärts rückend, zu retten, was noch zu retten war. Mußte er dann auch der Nothwendigkeit der Rückkehr, wie des Beitrittes zum Rheinbunde sich fügen – sein deutsches Herz, sein Sinn blieb auch während der übermüthigen französischen Gewaltherrschaft deutsch, ungebeugt und tapfer, so daß Napoleon ihn mit Recht „den widerspenstigsten Fürsten von Europa“ nannte, und als endlich die Stunde der Erlösung geschlagen, rief er das Volk zu den Waffen und focht als russischer General und Befehlshaber eines deutschen Bundescorps selbst mit im glorreichen Befreiungskriege.

Und als der Sieg entschieden war und andere deutsche Fürsten das dem deutschen Volke so feierlich gegebene Wort der Einheit und Freiheit des Vaterlandes schmachvoller Weise uneingelöst ließen, war es Karl August, der schon als souveräner Fürst des Rheinbundes im Jahre 1809 trotz dem harten Drucke der äußeren Verhältnisse seinen altfürstlichen Landen eine verbesserte landständische Verfassung gegeben hatte und nunmehr in dem Grundgesetze vom 5. Mai 1816 seinem vergrößerten und zum Großherzogthume erhobenen Lande die erste constitutionelle Verfassung gab. Er ließ sich durch die Bedenken seines Ministeriums, welches eine solche Umformung der Staatsverhältnisse für gefährlich hielt, nicht abhalten; er, der wahre Freund des Volkes, war freisinniger als sein Ministerium, freisinniger selbst als sein Landtag, welcher aus wundersamer Aengstlichkeit die vom Fürsten wiederholt beantragte Oeffentlichkeit der Sitzungen nicht acceptiren mochte. Jene Verfassung aber, die erste in ganz Deutschland, und die gewährte Preßfreiheit waren der Anfangspunkt des deutschen constitutionellen Lebens.

Und mit welcher Freude sah Karl August den Nationalgeist die jungen Schwingen heben! Zu dem Wartburgfeste 1817 ertheilte er, trotz allerhand Einflüsterungen und Vorstellungen, die förmliche Erlaubniß, veranlaßte die Beherbergung der Burschen in den Bürgerhäusern, räumte ihnen die Wartburg ein, öffnete zum Festmahle die Fischteiche und bewilligte zum Siegesfeuer das Holz aus den Forsten. Er vertheidigte das vielgeschmähte Fest gegen die österreichischen und preußischen Bevollmächtigten. Er begünstigte und schützte die in Jena begründete „Deutsche Burschenschaft“ als die Bewahrerin und Pflegerin des Geistes der deutschen Einheit und Freiheit, des deutschen Nationalbewußtseins. Gern nahm er in Jena den von der Burschenschaft dankbar gebrachten Fackelzug an; freundlich lud er nach der Geburt seines Enkels Karl Alexander (des jetzigen Großherzogs) die Burschenschaft ein, zur Taufhandlung Vertreter zu senden, und als demzufolge am 5. Juli 1818 die ganze jenenser Burschenschaft, fast fünfhundert Mann stark, nach Weimar zog und unter Leitung ihres Generalanführers Heinrich von Gagern „dem verehrten Erhalter der jenaischen Hochschule, dem geliebten Beschützer deutschen Rechts und deutscher Freiheit“ ein solennes Fackelständchen brachte, wurde sie dort im Schloßhofe vom Großherzoge gastfreundlich bewirthet. Auch nach Sand’s verhängnißvoller That, welche von der Reaction zum Vorwande gemißbraucht wurde, suchte Karl August die akademische Freiheit und die Burschenschaft dadurch zu schützen, daß er beim Bundestage durch eine energische Erklärung seines Gesandten die Universitäten überhaupt und insbesondere die jenaische gegen die erhobenen Beschuldigungen rechtfertigte. Vergebens! Er konnte nicht die Schritte der Diplomatie gegen das verhaßte kleine liberale Weimar und dessen Preßfreiheit, nicht die Auflösung der Burschenschaft, nicht die Karlsbader Beschlüsse verhindern, mit denen eine ebenso brutale wie perfide Reaction Knebelung der Presse, Maßregelung der Universitäten und Verfolgung der sogenannten demagogischen Umtriebe beschloß.

Auch in der trübsten Zeit blieb er sich treu, freisinnig, kernig, frei in politischen wie in religiösen Dingen. Noch in seinen letzten Lebenstagen, auf der Reise, welcher er am 1828 aus Liebe zu seinem Urenkel unternommen hatte, äußerte er im Gespräche mit Alexander von Humboldt seine lebendige Theilnahme für alle fernere Entwickelung des Volkslebens und klagte über den einreißenden Pietismus und den Zusammenhang dieser Schwärmerei mit politischen Tendenzen nach Absolutismus und Niederschlagen aller freieren Geistesregungen. „Dazu sind es unwahre Bursche,“ rief er, „die sich dadurch den Fürsten angenehm zu machen glauben, um Stellen und Bänder zu erhalten.“

Kurz darauf, am 14. Juni 1828, schied er in Graditz aus dem Leben. Wie drei Jahre vorher, bei seinem goldenen Jubelfeste am 3. September 1825, das ganze Land, Stadt und Dorf, in Kränzen und Jubel ihn, den wahrhaft geliebten „alten Herrn“, gefeiert hatte, ebenso allgemein und aufrichtig war jetzt die Trauer, der Schmerz und sein Dahinscheiden; hatte doch der Reichste wie der Aermste, der Hochgestellte wie der Geringste den gleichen schweren Verlust erlitten. Im Herzen seines Volkes lebte er fort und lebt dort noch jetzt. Fast in jedem Bürgerhaus, ja in der ärmsten Dorfschenke kann man das Bild des alten Herrn finden, meist den treffliche Kupferstich von Schwerdgeburth, welcher den Herzog am Salon im Parke mit Schirmmütze, in kurzer grüner Pekesche, die Hände auf dem Rücken, die zwei Hunde zur Seite, darstellt. Die Alten, die ihn noch gekannt, erzählen mit Wärme von ihm, von seiner Leutseligkeit, seiner Geradheit und seinem Witze, und die Jungen lauschen andächtig den Erinnerungen der Alten.

Man kann bedauern, daß ihm nicht vergönnte gewesen, an der Spitze der deutschen Nation zu stehen und zu wirken. In der That haben nach dem Wiener Congreß manche unbefriedigte Patrioten ihn als denjenigen Fürsten bezeichnet, der vor allen würdig sei, den deutschen Kaiserthron einzunehmen.

Vielleicht aber hatte auch Goethe Recht, als er zu Eckermann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_619.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2019)