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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

das war der einzige Gedanke, der in diesem Augenblicke Raum in meiner Seele fand.

„Gnädiges Fräulein,“ richtete ich das Wort an die junge Dame, „in der Galerie ist jetzt eine der seltenen und prachtvollen weißen Camelien aufgeblüht, von denen wir neulich sprachen. Gefällt es Ihnen, so gehen wir, und ich werde sie Ihnen zeigen.“

Wéra nahm mit einem Blicke des Einverständnisses meinen Arm, und gleich darauf traten wir in die Galerie, die zu dem im entgegengesetzten Flügel des Gebäudes befindlichen großen Saale führt. Zwei Reihen hoher, umfangreicher, oben durch Rundbögen verbundener Säulen füllen beinahe diese Galerie aus. Zwischen ihnen stehen in großen Kübeln riesige Orangenbäume, und den Fuß einer jeden Säule umgeben pyramidalisch geordnete Gruppen immergrüner und selbst in dieser Jahreszeit blühender Gewächse. Versteckt angebrachte, mattweiße Glaskugeln erleuchteten sanft den sich vor uns ausdehnenden Raum, und wir ließen uns auf einigen der carmoisin gepolsterten Sessel nieder, die, überall zwischen den Säulen und dem Grün verstreut, zum Sitzen einluden.

„Nicht wahr, gnädiges Fräulein,“ nahm ich, äußerlich ruhig, aber von innerer Aufregung fast erstickt, wieder das Wort, „hier, wo wir ungestört sind, werden Sie mir das Räthselwort des Herrn Hirschfeldt erklären.“

Ein Zug liebreizender Zutraulichkeit gab dem schönen Gesichte meiner Gefährtin einen noch gewinnenderen Ausdruck, als sie sich zu mir neigte und flüsternd in deutscher Sprache mir mittheilte: „Es ist eine Art von Losungswort unter uns. Wenn Hirschfeldt von Jemandem zu mir sagt: ‚Es ist ein Künstler oder eine Künstlerin,‘ so bedeutet das: ‚Ich stelle Ihnen hier eine Person vor, auf die Sie sich verlassen, der Sie unbedingt Alles anvertrauen können.‘“

Mir wurde immer wirrer zu Sinne; trotzdem bewahrte ich meine Kaltblütigkeit. „Und darum glauben Sie an meine Aufrichtigkeit?“ fragte ich.

„O, unbedingt; er wird mir nie etwas sagen, was mich irre leiten könnte. Zudem bedurfte es kaum seiner Empfehlung. Von dem Momente an, da zuerst Ihre Augen mich klar und voll Theilnahme anblickten, lag für mich etwas Vertrauenerweckendes darin. Ein sympathisches Gefühl zog mich zu Ihnen und ließ mich hoffen, in Ihnen vielleicht eine Freundin zu gewinnen.“

„Und Sie, gnädiges Fräulein,“ konnte ich mich nicht enthalten zu fragen, „Sie, inmitten Ihrer Familie, Ihrer Heimath“ – in meinem Herzen fügte ich hinzu: und so schön so reich und gefeiert – „Sie bedürfen einer Freundin und Vertrauten?“

Wéra schlug ihre großen Augen zu mir auf mit einem unsäglich traurigen Ausdrucke. „Und wie sehr!“ rief sie aus. „Sie wissen nicht, wie verlassen und rathlos, wie unglücklich ich oftmals bin.“

Unfähig, den Zustand der Ungewißheit noch eine Minute länger zu ertragen fragte ich mit Hast: „Betrifft es Hirschfeldt?“

Die junge Dame nickte zustimmend; ihre so überaus fein geformten, weißen und mit blitzenden Brillanten geschmückten Hände legten sich auf meinen Arm. „Sie wissen nicht –?“

„O, ich errathe es: Sie lieben ihn,“ rief ich aus, und in meiner Erinnerung tauchte plötzlich die Klatschgeschichte Olga Nikolajewna’s wieder auf. Das war also der Lehrer, wegen dessen man Wéra fortgeschickt hatte. Wie ein Nebel zerriß es vor meinem Geiste. „Sie lieben ihn.“

„Ja, ich liebe ihn, nein, ich bete ihn an.“ In schwärmerischer Begeisterung erglühten bei diesen Worten ihre Züge. Ihr Auge blickte mich in schwimmendem Glanze an. „Ich bete ihn an. Alexis ist für mich Alles, ist die Sonne, deren Strahl allein meinem Leben Werth verleihen kann.“

„Und er?“ Ich fühlte, wie sich all mein Blut zum Herzen drängte und Letzteres klopfte, als solle es mir die Brust zersprengen. Aber ich drückte die Hand darauf, und bleich, athemlos starrte ich das junge, liebliche Wesen an, welches mir gegenüber saß und, ganz mit sich selber beschäftigt, keine Ahnung von dem Seelenzustande hegte, in dem ich mich befand.

„Er?“ Sie verbarg ihr Antlitz in beide Hände, und dann, als sie es nach einer kurzen Pause wieder emporhob, strich sie die darüber herabgefallenen goldenen Locken von ihrer Stirn. „Er,“ sagte sie hochaufathmend, „liebt mich mit einer Leidenschaft, vor der ich oft selber erschrecke.“

„Und Sie können sagen daß Sie unglücklich sind?“ entfuhr es in zitternder Erregung meinen Lippen.

Fräulein Adrianoff sprang auf. Die schlanke und elastische Gestalt hoch aufgerichtet, stand sie vor mir; ihre kleinen Hände ballten sich; ihre fein geschnittenen Nasenflügel hoben und senkten sich, und ich entdeckte in diesem Augenblicke, daß die melancholisch-sanften Augen unter Umständen auch in funkelndem Glanze aufleuchten konnten. „Wissen Sie, was es bedeutet,“ sagte sie hastig und mit unterdrückter Heftigkeit, „durchaus ohne Hoffnung zu lieben, stets von dem Gegenstande unserer Anbetung getrennt und überdies bewacht, umlauert und von Spionen umringt zu sein? Fräulein Helene!“ Ich hatte mich ebenfalls erhoben, und sie umklammerte, bevor ich mich recht besonnen, mein Handgelenk, neigte ihr Haupt auf meine Schulter und brach in Thränen aus. „Fräulein Helene, Sie wissen nicht, wie elend ich bin.“

Zum Tode erschrocken, legte ich ihren Arm in den meinigen, führte sie die Galerie entlang und suchte, so schwer es mir wurde, das aufgeregte Mädchen durch einige ermuthigende Worte zu beruhigen. Es half mir wenig. Wéra schüttelte als Antwort nur stets den Kopf, aber wenigstens trocknete sie ihre Thränen.

„Sie kennen dieses Land und seine Sitten nicht,“ nahm sie endlich wieder das Wort, „wenn Sie irgend wie auf Hoffnung für mich hindeuten wollen. Nie, niemals wird meine Familie eine Verbindung zwischen Alexis und mir dulden. Ich verabscheue diesen Unterschied des Ranges und Standes, aber die Meinigen würden ihn aufrecht erhalten, und müßte ich darüber zu Grunde gehen.“

„Aber mein Gott, was soll denn daraus werden?“ Meine deutsche Anschauungsweise legte mir unwillkürlich die bürgerlich naive Frage auf die Lippen.

Wéra sah mich groß an. „Ich weiß es nicht,“ erwiderte sie dann. „Daran denke ich auch nicht. Ich weiß nur, daß Hirschfeldt mein Alles ist, daß ich sterben werde, wenn ich ihn nicht mehr sehen darf.“

„Und weiß Ihre Mutter um diese Liebe?“

Die junge Dame schüttelte melancholisch den Kopf. „Wenn sie darum wüßte,“ lautete ihre Antwort, „so wäre ich nicht hier; davon seien Sie überzeugt! Aber ich glaube, daß sie Verdacht schöpfte und mich deshalb verreisen ließ gegen meinen Wunsch und Willen. Auch betritt seit meiner Rückkehr Alexis unser Haus nicht mehr, so daß ich muthmaße, man hat ihm zu verstehen gegeben, daß sein Erscheinen daselbst nicht gewünscht wird. Begreifen Sie jetzt, in welcher Aufregung ich mich heute befinden muß, da ich ihn nach längerer Trennung zum ersten Mal wiedersehe und bis jetzt nur fremde, gleichgültige Worte von ihm gehört habe?“

O, ich begriff nur zu gut, empfand jedoch zu gleicher Zeit eine nicht zu beschreibende Angst, daß das exaltirte Mädchen sich einem neuen Gefühlsausbruche hingeben möchte. „Aber Ihr Bruder,“ sagte ich daher, immer bemüht, ihr Muth einzusprechen. „Da ist noch Ihr Bruder, gnädiges Fräulein, der Sie so sehr liebt.“

Sie machte eine energisch abwehrende Bewegung. „Ja, mein Bruder liebt mich,“ rief sie fast heftig, „aber eben darum haßt er Alexis. Wenn er Gewißheit hätte von dessen Verhälntiß zu mir, seien Sie versichert, er würde ihn tödten ohne sich fünf Minuten zu besinnen. Mit derselben Entschlossenheit freilich würde er auch sein Leben für mich in die Schanze schlagen, das heißt – in seinem Sinne; für das, was er als mein Glück betrachtet. Bitte, sprechen Sie mir nicht von ihm! Ich zittre ohnehin, wenn ich weiß, daß er und Hirschfeldt sich in demselben Zimmer oder nur in derselben Gesellschaft befinden, und ich bin sicher, daß es ihn und meine Mutter schon nicht angenehm berührt hat, den Letzteren heute hier zu finden.“

Ich hörte ihre Worte, aber eigentlich nur wie im Traume und hatte eine Empfindung dabei, als ob alle Gegenstände um mich her einen Rundtanz aufführten. Die Säulen, die grünen Gewächse und schwebenden Lampen drehten sich vor meinen schwindelnden Blicken, und mir war zu Muthe wie Einem, der, am Krater eines Vulcanes hinwandelnd, deutlich und immer deutlicher erkennt, daß der Boden unter seinen Füßen zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_631.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)