Seite:Die Gartenlaube (1875) 662.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

fuhr gegen mich auf wie ein kleiner Sprühteufel. Jeder Zweifel an der Liebe Hirschfeldt’s würde ihr wie ein Frevel erscheinen, setzte sie mir in ungemeiner Ueberschwenglichkeit auseinander und machte nicht mißzuverstehende Andeutungen über den Neid von gewissen Personen, die ein Glück, wie es ihr zu Theil geworden, vielleicht vergebens ersehnt hätten.

Ich überließ sie nunmehr mit einem Achselzucken ihren Phantasiegebilden, aber die Geschichte erregte mir fortwährend ein höchst unbehagliches Gefühl, und ich fasse bis jetzt durchaus nicht, wie das seelische Gleichgewicht der Gouvernante sich wieder herstellen soll.


Den 27. November.

Gestern Abend hatten wir wieder unsere Soirée, aber es war ein rechter Unglückstag. Alle machten Fehler beim Spiele. Ich trug das neue große Trio von Rubinstein vor, welches die Musiker so schlecht begleiteten, daß es eine Schande war. Bei der Jubel-Ouverture von Weber, zu acht Händen gespielt, kam selbst Hirschfeldt ganze zwei Tacte zu früh. Wéra klagte über Kopfschmerzen und schien verstört. Ich wollte mich ihrer annehmen und sie, damit sie frische Luft schöpfe, in die Galerie führen, aber Herr Bessedofski, ein alter Musikschwärmer, bemächtigte sich meiner.

„Kommen Sie, Mademoiselle Helene!“ sagte er. „Zenaïde Petrowna will nicht glauben, daß der Componist des ‚Freischütz‘ ein Deutscher war. Sie meint, so göttliche Melodien könnten nur dem Kopfe eines Italieners oder Franzosen entsprungen sein. Kommen Sie also und helfen Sie mir die Nationalität Ihres genialen Landsmanns retten!“

Ich folgte der Aufforderung mit einen unterdrückten Seufzer und sah mich alsbald in eine so lange musikalische und eifrig geführte Unterhaltung verwickelt, daß ich nicht daran denken durfte, mich um sonst Jemanden zu bekümmern. Als es mir später endlich gelang, mich wieder zu befreien, mußte ich eine ganze Weile suchend umherspähen, bis ich einen Schimmer von Wéras lichter Seidenrobe im Winkel einer Fensternische entdeckte. Ich wollte mich ihr nähern, aber wie soll ich mein Erstaunen schildern, als ich neben ihr Olga entdeckte, die mit aller deckbaren Liebenswürdigkeit um sie bemüht schien und in ihrer sprudelnd lebendigen Manier sie sowohl wie den daneben stehenden Constantin Feodorowitsch so gut unterhielt, daß des Letzteren ernstes Gesicht in ungewohnter Heiterkeit erglänzte und er sich vor Lachen schüttelte, während selbst seiner Schwester sanfte Züge sich durch einen Schimmer von Frohsinn rosig angehaucht zeigten.

Einen Augenblick stand ich wie angewurzelt. Die Gouvernante in so herzlichem Beisammensein mit Derjenigen, in der sie doch vor allen Anderen eine gefährliche Nebenbuhlerin fürchten mußte! Es durchzuckte mich wie ein unheimlicher Schreck; einen besondern Grund mußte das haben, und sicher hatte es keinen guten. Ich trat zu der Gruppe, aber es wurde mir beinahe unerträglich, zu sehen, wie Olga, deren Herzenszustand ich doch kannte, vor meinen Augen mit dem jungen Rittmeister die Coquette spielte und zur Abwechselung wieder Fräulein Adrianoff mit fein angebrachten Schmeicheleien überschüttete. Ich freute mich von Herzen, als der allgemeine Aufbruch der Gesellschaft dieser mir unerträglichen Situation ein Ziel setzte.

Ja, ein Ziel für das eine Mal, aber wann werden alle mich umgebenden Wirrnisse ein Ende nehmen! Mitunter fühle ich mich unsäglich angewidert von all diesen Verhältnissen, in die ich gegen mein Wollen hineingerissen bin, von diesen Heimlichkeiten und Intriguen, denen meine offene Natur so durchaus widerstrebt. Mir ist, als sollte ich entfliehen von hier, weit, weit hinweg, je eher desto lieber. Es überfällt mich oft jetzt wie eine Sehnsucht nach den kleinsten, bescheidensten Verhältnissen, wenn nur Ruhe und Frieden im Herzen dabei zu erkaufen wären. Aber es geht nicht, kann nicht sein; noch stehe ich inmitten des Kampfes, und vorwärts muß ich, will ich – hindurch ohne zu erlahmen und zu ermatten, obgleich ich ohne Hoffnung kämpfe, obgleich oftmals mein Herz in der heißen Qual der Verdammten zuckt. Kein Galeerensclave hat jemals deutlicher die Kette gefühlt, an die man ihn angeschmiedet, als ich die Fessel, die mich hier zurückhält. – Warum nur diesen Mann lieben, der mir nichts bieten kann und will, als eine kühl verständige Freundschaft? Warum, ja – warum wendet die Blume ihr Haupt dem Alles belebenden Sonnenstrahle zu?

Es ist nicht der schöne und schön spielende, formengewandte Salonmensch, in den die übrigen jungen Damen sich verlieben, der mir gefallen könnte. Nein, im Gegentheile, mein Interesse fesselt der Mann, wenn er ernst ist, wenn er mit starkem, muthigem Herzen vor kühnem Wagen um die höheren Ziele des Lebens nicht zurückschreckt. Wenn seine Stirn in finsterem Unmuthe sich zusammenzieht, seine Hand sich ballt und der verhaltene Schmerz um die verkümmerte Liebe um seine Lippen zuckt, dann liebe ich ihn. Ich bin nicht blind gegen seine Fehler, gegen seinen Uebermuth, seine trotzige Selbstüberhebung; ich zürne ihm darum und ärgere mich über ihn, und dennoch weiß ich, fühle ich zu gleicher Zeit, daß es nur Flecken an der Sonne sind, daß sein edles Selbst im Augenblicke der That sich darüber erheben, sie, wie der Adler den Staub von seinen Flügeln schüttelt, von sich abstreifen wird, daß der Genius, dessen Hauch seine Stirn berührt hat, ihn emportragen muß über die kleinlichen Erbärmlichkeiten des Lebens. Und ich, ich will ihm zur Seite bleiben, rathend, helfend, oder auch nur tröstend, bis er mich entbehren kann, weil – er glücklich ist.

Es ist heute ein klarer, kalter Wintertag. Die Sonne funkelt auf der dichten, blendenden Schneedecke draußen, daß mir die Augen weh thun, und doch sehne ich mich nach der frischen Luft und freue mich auf die Spazierfahrt, auf der ich sogleich Madame Branikow begleiten werde. Die Zeit, die sie jetzt noch zu ihrer Toilette verwendet, gab mir die willkommene Ruhepause zum Schreiben, die sich später im Laufe des Tages wohl schwerlich noch gefunden hätte, denn zum Diner sind schon Hirschfeldt und noch mehrere Herren eingeladen, und diesen Abend soll wegen des Namensfestes der kleinen Alexandra eine Kindergesellschaft stattfinden, welcher von neun Uhr an eine Soirée für die Erwachsenen sich anschließen wird.


Den 28. November.

Die Uhr hat mit langsamen Schlägen bereits Mitternacht verkündet, im Hause wird es still und immer stiller, und doch sitze ich noch vollkommen wach in meinem einsamen Stübchen und kann keine Ruhe finden. Ich fühle, daß ich meine Gedanken ordnen, noch einmal ungestört in mein Gedächtniß zurückrufen muß, was sich gestern Abend und heute Alles begeben hat, wenn ich endlich volle Klarheit des Geistes und die nothdürftigste Ruhe im Gemüthe wiederfinden will. Hinreichend, um mir Beides zu rauben, waren die Wirrnisse in der That, die während der letzten vierundzwanzig Stunden auf mich einstürmten, und doch bedurfte ich aller meiner Geistesgegenwart niemals mehr. Schon gestern lag es schwer wie eine Ahnung kommenden Unheils in der mich umgebenden Luft. Ich kleidete mich mit Widerwillen zum Diner und der später folgenden Festlichkeit an und ließ mich selbst durch Masche’s eindringlichste Bitten nicht bewegen, meinem Anzuge von schwarzer Seide einen weiteren Zierrath hinzuzufügen, als Schleife und Gürtel von veilchenfarbigem Atlas.

„Fräulein sehen so blaß aus,“ sagte das gutmüthige Mädchen, „wenn Sie denn nicht ein blaues oder rothes Band nehmen wollen, sollten Sie mindestens ein wenig, nur ein ganz klein wenig Roth auf die Wange legen.“

„Masche, wie oft soll ich Dir wiederholen, daß ich nicht einmal Roth besitze und es nie in mein Gesicht bringen werde,“ rief ich voll wirklicher Ungeduld, aber die Zofe ließ sich nicht entmuthigen.

„O, wenn weiter nichts als das fehlt,“ meinte sie, ohne meinen letzten Ausspruch zu berücksichtigen. „Fräulein Olga hat eine ganze Menge von Schächtelchen, voll von allen möglichen Pulvern, und ihr Mädchen wird uns gern eins davon borgen.“

Ich sah mich genöthigt, die Schwätzerin ernstlich zur Ruhe zu verweisen, aber indem ich es that, regten sich in mir allerlei Gedanken hinsichtlich der frischen Farben, die seit einiger Zeit auf Olga’s Wangen erblüht sind. Früher würden diese Gedanken mich heiter gestimmt haben, gestern jedoch konnten sie mich nur bedenklicher machen. Die kleinen Verschönerungsmittel, deren sie sich geschickt genug bedient, stehen übrigens der Gouvernante ausgezeichnet. Sie sah bei Tische gut aus und machte so lebhaften Gebrauch von ihren geselligen Talenten, daß ich mir neben ihr wie eine Nonne vorkam.

Bis dahin ging Alles nach Wunsch. Ich bemühte mich,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_662.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)