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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Der Deutschen Baugesellschaft wollte der Magistrat bei dem Markthallen-Project zu Hülfe kommen, aber die Regierung litt es nicht, der Deutschen Eisenbahnbaugesellschaft dagegen sprang die Regierung, auf den Schmerzensschrei der Herren Hammacher und Genossen, selber bei. Während die Manchesterleute sonst gegen jede Staatshülfe zetern, bettelten sie hier um Staatshülfe, und der Staat erbarmte sich ihrer.

Die Deutsche Eisenbahnbaugesellschaft vermochte die projectirte Südwestbahn nicht zu bauen, und sie mußte auch auf den Bau der Berliner Stadtbahn verzichten, für welche sie eben eine Masse von Grundstücken in der theuersten Zeit erworben hatte. Auf ihr Betreiben bildete sich nun zum Zwecke der „Stadtbahn“ eine besondere Actiengesellschaft mit einem Grundcapitale von 16 Millionen Thalern, welcher auch die Regierung mit 7 Millionen beitrat. Von den restlichen 9 Millionen zeichneten 5 Millionen die Berlin-Potsdam-Magdeburger, die Magdeburg-Halberstädter und die Berlin-Hamburger Bahn, und 4 Millionen die Deutsche Eisenbahnbaugesellschaft, welcher die neue Stadtbahngesellschaft jetzt einen Theil der Grundstücke in Berlin und Charlottenburg zu einem Preise, zehn Procent unter dem Buchwerth, abnehmen sollte. Das war der eigentliche Kern der Association.

Als die Vorlage an das Abgeordnetenhaus kam, stieß sie hier auf scharfen Widerspruch, und der Handelsminister gerieth merklich in Verlegenheit. Hoppe, von Kirchmann, Lasker und Virchow traten nacheinander in die Schranken und führten Folgendes aus: Die Vorlage habe hauptsächlich den Zweck, einer bankerotten Gesellschaft zu Hülfe zu kommen; und die Regierung setze sich dem Vorwurf aus, daß sie Geld habe für verunglückte Capitalisten, aber nicht für nothleidende Arbeiter. Weil bereits die Verbindungsbahn bestehe, sei die neue Stadtbahn gar kein Bedürfniß, und überdies erfülle sie nicht entfernt den eigentlichen Zweck, da sie kein Netz, nur eine Linie bilde. Sie werde und könne sich nicht rentiren, und die sieben Millionen, welche der Staat beisteuere, seien vorweg à fonds perdus zu schreiben.

So schlagend diese Einwände auch waren, sie fruchteten nichts. Herr Miquel, der Verbündete der Discontogesellschaft und der Führer des Hauses, gab sein Urtheil dahin ab: Die Gelegenheit ist günstig, und wenn der Staat sie versäumt, kann das Unternehmen später nicht allein das Doppelte, nein, das Zehnfache kosten. – Nach Herrn Miquel war also nicht ein Fallen, sondern noch ein Steigen der Grundstücke in und um Berlin zu erwarten! – Mit großer Majorität, nur gegen die Stimmen der vier Opponenten, wurde die Vorlage genehmigt.

Weit ungnädiger, weit härter bewiesen sich kürzlich Handelsminister und Abgeordnetenhaus, als es sich um Uebernahme der durch die Lasker’schen „Enthüllungen“ in so üblen Ruf gekommenen Pommerschen Centralbahn und Berliner Nordbahn handelte. Hier glaubte man auf die Actionäre, die Alles verloren haben, nicht die geringste Rücksicht nehmen zu dürfen; hier wurden die bestellten Cautionen ohne Erbarmen eingezogen. Hier waren nicht 7 Millionen, sondern nur 2¾ Millionen verlangt, und dazu für ein Object, das, wie Herr von Bender bemerkte, einen ungleich höhern Bauwerth und mindestens den gleichen Abbruchswerth repräsentirt; hier handelte es sich um keinen fragwürdigen Neubau, sondern um Vollendung zweier Bahnen, von denen die nach Neubrandenburg und Stralsund fruchtbare Kreise durchschneidet und jedenfalls ein langjähriges Bedürfniß ist. Dennoch wäre die Vorlage kaum durchgegangen, hätte man nicht gewußt, daß hinter ihr der entschiedene Wille des Fürsten Bismarck und respective des Kaisers stehe.

Kommen wir noch einmal auf die „Deutsche Eisenbahnbaugesellschaft“. zurück, so hat ihr die Unterstützung der Regierung nicht viel geholfen. Auch nach Abtretung der nöthigen Grundstücke an die Stadtbahn bleibt ihr noch immer ein großer kostspieliger Besitz, ein wahrer Ballast, der ihr den Athem benimmt, der sie früher oder später erdrücken wird. Und in Betreff der „Stadtbahn“ selber ist die Prophezeiung des Abgeordneten von Kirchmann nur zu schnell eingetroffen. Noch ist nicht einmal endgültig die Linie gezogen, und schon überschreitet der vorläufige Kostenentwurf den ursprünglichen Anschlag um 2½ Millionen Thaler. Der wirkliche Bau aber wird, wie Sachverständige versichern, sich noch weit höher stellen, und der Staat kann sich auf einen hübschen Zuschuß gefaßt machen.

Die „Deutsche Reichs- und Continentaleisenbahnbaugesellschaft“ hat sich, trotz der ellenlangen Firma, nur mit zwei Bahnen versucht: Weimar–Gera und Posen–Creutzburg, und dieselben bisher auch nicht einmal fertig stellen können. Außerdem erwarb sie, was jedenfalls sehr überflüssig war, die Königin Marienhütte zu Kainsdorf bei Zwickau, welche den Actionären gut 2¾ Millionen Thaler kostet, und im letzten Jahre einen Reingewinn von etwa ¾ Procent(!) gebracht hat. Die Gesellschaft vertheilte regelmäßige Dividenden, wiewohl ihre Einnahmen hauptsächlich in Zinsen der disponiblen Fonds, also des eigenen Kapitals bestanden: pro 1872 – 8 Procent, sowie dem Aufsichtsrathe 49,000 Thaler Tantième(!); pro 1874 – 4 Procent.

Posen–Creutzburg ist eine Bahn, über deren Berechtigung und Ersprießlichkeit starke Zweifel herrschen. Sie läuft mit ihren 27 Meilen neben der russischen Grenze hin, berührt lauter kleine Orte und verkürzt den alten Schienenweg über Breslau um ein sehr Geringes. Posen–Creutzburg gehört zu den Bahnen, mit welchen sich in Folge der Lasker’schen Enthüllungen die Special-Untersuchungs-Commission befaßte; und der sonst sehr zahme Bericht findet hier doch mancherlei außer aller Ordnung. Herr von Kardorff-Wabnitz ist Gründer und Aufsichtsrath der Bahn, und zugleich Gründer und Aufsichtsrath der deutschen Reichs- und Continental-Eisenbahnbaugesellschaft, welche die Bahn baut. Die Baugesellschaft wurde überhaupt nur zum Zwecke der Bahn gegründet und erhielt den Bau in Generalentreprise. Man überließ ihr das gesammte Actiencapital im Nennwerthe von 12 Millionen Thaler; aus dem Erlös sollte sie sich bezahlt machen und außerdem an die Actionäre bis zum 1. Juli 1875 fünf Procent „Bauzinsen“ gewähren. Als Dritter in diesem schönen Bunde existirt noch das Finanzconsortium, ein Verein von Bankhäusern (S. Bleichröder, Jacob Landau etc.), welche die Actien zum Course von 73 (also mit 27 Procent Abzug) versilberten, und die Auszahlung der Bauzinsen übernahmen; letzteres gegen die kleine Vergütung von 650,000 Thalern(!). Zwischen den drei Consortien wurden die Kreuz und die Quer verschiedene Verträge, allgemeine und separate, officielle und geheime, geschlossen und sie bewilligten einander die Kreuz und die Quer eine Reihe erklecklicher „Provisionen“. Herr von Kardorff war als Gründer und Aufsichtsrath der Bahn und zugleich als Gründer und Aufsichtsrath der Baugesellschaft mehrere Mal in der interessanten Lage, mit sich selber zu contrahiren. Diese Doppelstellung wurde vom königlichen Eisenbahn-Commissariat für „unzulässig“ erachtet, worüber Herr von Kardorff sich beschwerte; indeß hielt auch der Handelsminister die Entscheidung „aufrecht“. Und Herr von Kardorff wird wieder noch in Schatten gestellt von dem Commerzienrath Jacob Landau, welcher sonder Verlegenheit in allen drei Consortien saß, zugleich dem Aufsichtsrathe der Bahn, der Baugesellschaft und dem Finanzcomité angehörte, also bei jedem Vertrage dreimal in Einer Person fungirte!

Das Finanzconsortium hat natürlich den größten Schnitt gemacht; außer der Provision für Auszahlung der „Bauzinsen“ mit 650,000 Thaler, verdiente es bei Versilberung der Actien durchschnittlich 4 bis 5 Procent, das heißt nochmals 500,000 bis 600,000 Thaler. Von wirklichen Einzahlungen auf die Actien ist, bis auf die Zeichnungen der betreffenden Kreise, welche die Bahn durchschneidet – und diese Zeichnungen betragen etwa ein Zehntel des Grundcapitals – nicht die Rede gewesen, und die Generalversammlung der Actionäre wie der Handelsrichter wurden auf Grund des famosen Actiengesetzes in bester Form getäuscht.

Wie erstaunlich war es nun, Herrn von Kardorff am 10. Juni dieses Jahres im Reichstage plötzlich zu hören, wie er die Regierung anklagte, sie habe das Gründungstreiben und die Ueberspeculation begünstigt! Dieser Vorwurf ist neuerdings von den Gründern mehrfach erhoben, natürlich um sich in etwas zu reinigen; aber er ist doch nicht so ganz ohne. Herr von Kardorff wies auf die traurige Lage unserer Industrie hin, welche die Wirthschaftspolitik der Regierung mitverschulde; er bemerkte ganz richtig, daß die gegenwärtige Krisis noch im Steigen begriffen sei, und seine Rede gipfelte in den denkwürdigen Worten: Ich hielt es für nothwendig, vor dem Lande zu erklären, daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_675.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)