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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

„Meinetwegen, langweiligen Reden einer alten Frau. Was ich aber behaupte, ist dies: Du bist unbedingt verpflichtet, diese langweiligen Reden mit Geduld und guter Laune anzuhören und mit Liebenswürdigkeit zu erwidern, und von dieser Verpflichtung kann Dich Niemand lossprechen.“

„Das geht doch zu weit! Ich kann und will nicht heucheln, das habe ich Dir schon vorhin gesagt, und keine andere Frau an meiner Stelle würde es thun. Meine Pflichten,“ hier färbten sich ihre Wangen, „glaube ich pünktlich und gewissenhaft zu erfüllen –“

„Halt, liebes Kind,“ sagte der Onkel lächelnd, „ich sehe schon, wir müssen ein wenig tiefer anfassen. Was nennst Du Deine Pflichten? Die zärtliche Liebe für Mann und Kind, die Sorge um ihr Wohl, das freie glückliche Leben hier auf dem Gute, heitere Geselligkeit, dazu Ordnung und Reinlichkeit im Hauswesen – Alles das, was Dir selbst Freude und Behagen verschafft und ohne alle Ueberwindung zu vollbringen ist? Glaubst Du denn wirklich, das Leben stelle an einen denkenden Menschen keine höheren Aufgaben, als einfach seinen natürlichen Bedingungen nachzuleben? Nein, Emmy, die Liebe für Mann und Kind darf sich keine Frau als Verdienst anrechnen, nicht einmal die Arme, welche um ihretwillen mit Noth und Elend kämpft. Was würdest Du von einem Manne halten, der sich mit der Liebe für seinen Beruf spreizen wollte? Die ist natürlich und selbstverständlich – das Verdienst aber beginnt erst bei der freien Leistung über die Verpflichtung hinaus, bei Kampf und Entsagung und Selbstüberwindung im Dienst des Ganzen!“

Ein Grabdenkmal früherer Erforscher Afrikas auf Fernando-Po.
Nach der Natur aufgenommen von F. Klingelhöfer.


„Du bist hart, Onkel,“ sagte Emmy leise, „ich kann Dich versichern, viele Andere an meiner Stelle würden recht ungezogen mit ihr gewesen sein, und ich habe mich immer zurückgehalten –“

„Ja, ja, die Zurückhaltung war deutlich zu spüren,“ lächelte der Onkel, „und mit den Anderen, Tieferstehenden wollen wir uns doch lieber nicht vergleichen, mein Kind, man kommt sonst nach und nach zu einem verzweifelt bescheidenen Maßstabe. Was glaubst Du wohl, Emmy: wird sich Deine alte Schwiegermutter nach diesen angenehmen kleinen Scenen plötzlich ändern, werden ihr durch höhere Erleuchtung die Grundlagen der Physik, Nationalökonomie, Gesundheitslehre und was sie sonst noch zu interessanteren Reden befähigen würde, angeflogen kommen?“

„Ach, geh doch!“ lachte Emmy halb widerwillig.

Also, liebes Kind,“ sagte der Onkel sehr ernsthaft, „ist es an Dir, so lange zu probiren und zu ändern, mit derselben Ausdauer, die ein Künstler für sein Werk hat, bis Du ein hübsches, gutes, erfreuliches Verhältniß zwischen Euch Beiden zu Stande gebracht hast. Deine Schwiegermutter ist eine durchaus gutartige Frau, die nur, wie wir Alle, ihre menschlichen Schwachheiten hat, folglich ist sie, wie jeder Mensch, mit dem man aus zwingenden Gründen auskommen muß, zu studiren und zu behandeln. Seinen freiwilligen Umgang kann man sich wählen, und ich hielte Den für den größten Narren, der hierin etwas Anderem als seiner Sympathie folgen würde. Aber sobald es sich um gegebene Verhältnisse handelt, ist es keine Geschmackssache mehr, dann hat man seine Aufgabe vor sich, und ich sehe nicht ein, warum eine Frau an ein solches Problem nicht ebenso viel Nachdenken und Thatkraft wenden soll, als ein Mann an die seinigen! Wenn ihr die Lösung gelingt, wenn sie sich als Schöpferin eines schönen Familienlebens betrachten darf, dann ist dies eine Leistung, welche jeder vernünftige Mensch zu den höchsten rechnet, obwohl sie sich aus lauter kleinen Momenten zusammensetzt.“

„Ich sehe nur nicht ein,“ sagte Emmy „warum gerade ich allein verpflichtet sein soll, mich fortwährend zu überwinden. Ich will Dir meinetwegen zugeben, daß wir alle Beide schuld sind, aber warum soll ich denn thun, als ob ich es allein wäre, und alle Fehler nur an mir suchen?“

„Weil es Dir doch nicht anders hilft, weil noch kein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_677.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)