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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

ohne zu berühren, was ich außerdem schon wußte, und glitt über Wéra’s Betheiligung so leicht wie irgend möglich hinweg.

Trotz meiner verzweifelten Stimmung belustigte es mich innerlich ein wenig, zu sehen, wie meine Gebieterin sich den Kopf zerbrach und für ihr Leben gern herausgebracht hätte, wie es zwischen Fräulein Adrianoff und dem Capellmeister stehe. Gegen Letzteren trug sie einen mächtigen Zorn zu Schau, aber ich bemerkte alsbald, daß derselbe mehr fingirt als aufrichtig gemeint war und daß die Dame im Grunde ihres Herzens wünschte, sich nicht mit Hirschfeldt zu entzweien. Es sollte mir auch alsbald klar werden, weshalb. Ich habe, däucht mir, schon erwähnt, daß wir wahrscheinlich ein Concert für die Armen haben werden, zur Zeit der Wahlen nämlich, welche am 20. Januar beginnen und eine Dauer von vierzehn Tagen haben.

Es sind die Wahlen eines neuen Adelsmarschalls, die jedes dritte Jahr stattfinden, zu denen viele Menschen in Woronesch zusammenströmen und während welcher die gute Gesellschaft in der Regel einen derartigen Wohlthätigkeitsact in Scene setzt. Die Gouverneurin hat nun gestern Madame aufgefordert, mit ihr die Anordnung des Concertes zu übernehmen, und Letztere ist entzückt von der ihr widerfahrenen Ehre, aber beide Damen können Hirschfeldt zur Leitung des technischen Theiles keinesfalls entbehren, und nachdem ich das Alles von Zenaïde Petrowna erfahren, begriff ich, warum sie geneigt war, gegen meinen Freund die Großmüthige zu spielen. Sie gab mir zu verstehen, daß, wenn ich ihn veranlassen könne, sich des gestrigen störenden Zwischenfalles wegen bei ihr zu entschuldigen, sie ihm huldvoll verzeihend entgegenkommen werde. Ich versprach mit möglichst gleichgültiger Miene, ihm einen Wink in dem Punkte zu geben, und sah einigermaßen erleichtert die Thür hinter der hohen Gestalt unserer sich entfernenden Gebieterin wieder in’s Schloß fallen.

Wenn ich indessen gehofft hatte, mit den unliebsamen Ueberraschungen nunmehr am Ende zu sein, so sollte diesem Wahn alsbald die bittere Enttäuschung folgen. Nachdem ich mich nämlich beeilt hatte, ebenfalls in die Morgenkleider und zum Frühstück hinunter zu kommen, fand ich im Salon den Herrn des Hauses, wie er, dunkelroth vor Erregung, scheltend und pustend gleich einer Dampfmaschine, auf und ab schritt.

Olga hatte die Zeit des Alleinseins mit ihm an diesem Morgen bereits nach Kräften ausgenutzt. Sie hatte mit größtem Geschick die leidende Madonna, die gekränkte Unschuld gespielt, und da Iwan Alexandrowitsch, wie ich längst bemerkt, eine Zuneigung zu ihr hegt, und ungern ihre heitere Laune vermißt, war ihm alsbald ihre gedrückte Miene bemerkbar geworden. Auf seine theilnehmenden Fragen hatte sie mit größtem Geschick die Ereignisse von gestern so hinzustellen, so aufzupuffen verstanden, daß sie wie eine ihr zugefügte empörende Beleidigung erscheinen mußten, und unser Gebieter kannte sich selber nicht mehr vor Zorn, daß eine solche Kränkung in seinem Hause hatte einer Dame widerfahren können, die unter seinem Schutze steht. Er ballte die Fäuste und schwor bei allen Heiligen des Kalenders, daß das nächste Mal, wenn der Musiker wagen sollte, seine Schwelle zu betreten, er den Dienern befehlen werde, ihn die Treppe hinunterzuwerfen und daß er ihm sein Haus verbieten werde. Die Sache war ernst, denn die Russen mit ihren despotischen Gewohnheiten sind zu Allem fähig, besonders wenn, wie in diesem Falle vielleicht, versteckte Eifersucht im Spiele ist.

„Auf die Straße lasse ich ihn werfen vor Aller Augen,“ wiederholte Herr Branikow, bebend vor Wuth.

Ich hatte nach kurzem Ueberlegen meinen Feldzugsplan entworfen.

„Das sollte mir Olga’s wegen leid thun,“ sagte ich sehr bestimmt, indem ich dem Scheltenden einige Schritte näher trat.

Er wandte, seine rasche Wanderung unterbrechend, sich hastig nach mir um und starrte mich mit weit aufgerissenen Augen verwundert an.

„Es würde die fürchterlichste Scandalgeschichte daraus entstehen,“ fuhr ich unbeirrt durch sein drohendes Stirnrunzeln fort, „und Olga’s Name würde rettungslos darin verwickelt. Glauben Sie denn, daß die Klatschschwestern von Woronesch sich dieses ergiebige Thema würden entgehen lassen? Im Gegentheil, sie würden sich angelegen sein lassen, es auszuspinnen, zu variiren, zu verdrehen. Man würde, was man nicht weiß, hinzudenken, die skandalösesten Schlüsse ziehen, und was jetzt eine Genugthuung für Olga sein soll, könnte leicht in seinen Folgen für sie so verhängnißvoll werden, daß – – daß es ihr zeitweise wenigstens den Aufenthalt in der Stadt unmöglich machte.“

Unser Gebieter stampfte mit dem Fuße. „Ich werde Jedermann sagen, wie die Sache zusammenhängt,“ rief er hochmüthig.

„Um Gotteswillen, da machen Sie es immer ärger,“ wagte ich ihm zu entgegen, „und die arme Olga würde in ein Gerede ohne Ende kommen. Außerdem hat Herr Hirschfeldt viele Freunde, darunter die Frau Gouverneurin, die ihn für ihr Concert nicht entbehren kann –“

„Zum Teufel mit der verwünschten Musikmacherei!“ unterbrach mich der Beschützer Olga Nikolajewna’s unhöflich genug, und dann murmelte er, die Augen wild rollend, noch immer halb unterdrückte Verwünschungen über die musikalischen Neigungen seiner Frau, drehte rathlos den Schnurrbart und kratzte sich hinter den Ohren.

„Wenn Sie Olga’s Ruf und ihr Gefühl schonen wollen, wird es sicher das Klügste sein, so wenig Aufsehen wie möglich von der Geschichte zu machen,“ fuhr ich fort. „Wenn Sie nachdenken, wird Ihre richtige Einsicht Sie selber belehren, daß gewisse Dinge nicht zart genug zu behandeln sind.“

Der Herr des Hauses, ersichtlich ein wenig ungewiß, wie er meine Worte verstehen und aufnehmen sollte, sah mich von der Seite an, dann begann er seine Wanderung auf’s Neue in etwas gemäßigterem Tempo, und nach einigem weiteren Zureden erreichte ich wirklich, daß er bei dem Entschluß anlangte, den viel beredeten Vorfall Hirschfeldt gegenüber gnädigst zu ignoriren, aber freilich nicht bedingungslos.

„Sie verkehren doch in Sachen der Musik viel mit dem Burschen,“ sagte er mir, „Sie müssen es übernehmen, Fräulein Helene, ihm unter der Hand anzuzeigen, daß, wenn er noch einmal wagt, sich in meinem Hause dergleichen Dinge zu erlauben, es hier mit ihm zu Ende ist.“

Ich gab das gewünschte Versprechen, und als diese heikle Unterredung dann glücklich beendet, dieser neue Sturm besänftigt war, fühlte ich auch, daß ich zu einer ferneren nicht mehr die Kraft besitzen würde.

Ich habe den Tag mühsam hingeschleppt, habe mein Herz durch Aufschreiben des Erlebten erleichtert und hoffe, daß mir in dieser Nacht bessere Ruhe beschieden sein wird, damit ich wieder Kraft gewinne, den kommenden Ereignissen muthig die Stirn zu bieten.


Den 13. December.

In Deutschland brennen heute, während ich hier einsam sitze und schreibe, schon die Weihnachtskerzen. Es zieht wie Heimweh durch meine Seele nach vergangenen, friedlichen Tagen, die dahin sind, auf immer dahin. Könnte ich zu ihnen zurückkehren aus all dieser Aufregung, dieser Unruhe! Doch – wozu die brennende Sehnsucht im Herzen nähren? „Weiter!“ spricht unerbittlich das Schicksal, und ich bedarf eines muthigen Herzens, eines festen Willens, wenn ich nicht erliegen will. Vorwärts gilt es den Blick zu richten und nicht rückwärts.

Zweimal seit jenem verhängnißvollen Kinderball haben wir bereits wieder unseren Musikabend gehabt. Beide Male war er sehr besucht, die Stimmung sehr angeregt, und Hirschfeldt war der Leiter, die Seele des Ganzen, der verhätschelte Liebling der Damen, wenn ihm auch mancher Blick aus den Augen der Männer dafür düster und rachsüchtig folgte; unser Musiker ist ganz geneigt über solche zu lachen, wenn er sie zufällig einmal bemerkt. Neulich erzählte ihm Fräulein Bartholomai, unsere beste Sängerin, Constantin Feodorowitsch habe ihr gesagt, er werde ihm, Hirschfeldt, nächstens eine Kugel vor den Kopf schießen.

Der Capellmeister lachte und antwortete ihr ohne Bedenken: „Grüßen Sie den Rittmeister von mir und sagen Sie ihm, er möge nicht versäumen, sich täglich im Pistolenschießen zu üben.“

Mich schauderte. Er kennt doch seine Landsleute, warum muß er nur so unvorsichtig sein, aber natürlich – Furcht ist ihm ein unbekanntes Gefühl.

Als nach jener vielberedeten Kindergesellschaft drei Tage

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_683.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)