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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

ihn mit so spröder, wegwerfender Art zurück, daß er sich diese „Frechheit“, wie er selbst erzählt, nie wieder erlaubte. Nur ein leiser Händedruck belohnte die treue Anhänglichkeit des jugendlichen Verehrers, der in seinem Eifer soweit ging, daß er den Plan faßte, Corona, deren Abneigung vor dem öffentlichen Auftreten im Großen Concerte er kannte, die vierhundert Thaler jährlichen Einkommens, die sie vom Concerte hatte, heimlich und anonym durch Hülfe wohlhabender Freunde zukommen zu lassen, um ihr die volle künstlerische Unabhängigkeit zu sichern. Natürlich blieben seine Bemühungen erfolglos; bald sollte indeß ein Ruf an die Sängerin ergehen, der sie von der mißliebigen Verpflichtung entband, im Leipziger Concerte zu wirken.

Am 7. November 1775 war Goethe, der inzwischen seine Studien vollendet und durch seine ersten Dichtwerke sich einen großen Namen verschafft hatte, in den Weimarer Kreis eingetreten, „ein schöner Junge, der vom Wirbel bis zur Zehe Geist und Stärke, ein Herz voll Gefühl, ein Geist voll Feuer mit Adlerflügeln“, wie Heinse sagt. Er wurde bald der Mittelpunkt des ganzen Kreises, der Liebling der Damen. Zu den Hauptvergnügungen des Weimar’schen Hofes gehörten die Liebhaberspiele und die Concertaufführungen; oft wurde im Schatten des Ettersburger Forstes auf einer in frisches Grün gehauenen Bühne, oft auch im Tiefurter Parke gespielt. Doch fehlte diesen Ausführungen, deren Seele die ebenso lebenslustige wie kunstsinnige Herzogin Amalie war, eine große künstlerische Kraft, eine Darstellerin und Sängerin, welche dem mehr dilettantischen Treiben der Hofherren und Hofdamen die höhere künstlerische Weihe gegeben hätte. Goethe dachte an Corona und erhielt den Auftrag, nach Leipzig zu reisen und ihr die Stellung als Kammersängerin der Herzogin-Mutter in Weimar anzutragen.

Wieder standen sich die Beiden gegenüber, der schöne Mann dem schönen Weibe. Goethe war nicht mehr der jugendliche Student mit seiner lyrischen Schwärmerei, er war der in Deutschland gefeierte Dichter. Corona war zu voller weiblicher Schönheit erblüht, mit tiefen, braunen Augen, dem von dunkler Gluth angehauchten Teint, den anmuthigen Lippen, den Zügen von hoher geistiger Lebendigkeit und der vollendeten Gestalt. Tief war der Eindruck, den sie auf den leicht beweglichen Goethe machte, und als sie dem Rufe nach Weimar Folge geleistet und im November 1776 in die Musenstadt an der Ilm eingezogen war, da wurde sie auch zur Muse des Dichters, dem sie fünf Jahre hindurch in leidenschaftlicher Liebe nahe stand. Freilich mußte sie Goethe’s Neigung mit einer anderen Frau theilen, und wenn irgend etwas für die Weimar’sche Genie-Epoche charakteristisch ist, so ist es diese Doppelliebe ihres gefeiertsten Vertreters. Schon die Aufzeichnungen des Tagebuches mit ihrer trockenen Nüchternheit geben uns ein Bild davon, wie Goethe zwischen Frau von Stein und Corona Schröter seine Zeit und sein Herz theilte, wie dieser Zwiespalt der Empfindungen ihm bisweilen unbequem wurde und ihn zur Selbstbesinnung herausforderte, wie er aber stets von neuem dem doppelten Zauber unterlag, den die feine Hofdame und die entzückende Künstlerin auf ihn ausübten.[1]

Frau von Stein, die Frau des Oberstallmeisters am Weimar’schen Hofe, hatte den Dichter zuerst durch ihre vornehme Weltbildung, ihre Freisinnigkeit, ihre entgegenkommende Anerkennung angezogen. Fast sieben Jahre älter als Goethe, war sie, als dieser nach Weimar kam, bereits Mutter von sieben Kindern. Ihre Erscheinung war anmuthig und einnehmend; sie hatte glänzende, geistreiche Augen und in ihrem Gesichte einen sanften Ernst und eine ganz eigene Offenheit. Aeußere geschmackvolle Eleganz, die Sicherheit und Gewandtheit der Formen und des Benehmens mußten auf den jungen Patriciersohn einen bestechenden Eindruck machen. Wie sie selbst zeichnete und sang, hatte sie auch warmes Empfinden für die Dichtkunst, regte den Dichter an, der sie in die Geheimnisse seines Schaffens einweihte, und suchte das wilde Genietreiben in maßvollere Bahnen zu lenken. Eine ebenso charakterfeste wie freisinnige Natur, gewann sie einen Einfluß auf Goethe’s leidenschaftliches Gemüth, dem sich dieser lange Jahrzehnte hindurch nicht zu entziehen vermochte. Doch das Verhältniß blieb nicht in den Schranken geistiger Beziehungen und gemächlicher Neigungen, es hatte den Reiz eines verbotenen Glücks, welches die weltkluge Frau geschickt zu verschleiern wußte. Was in ihr lag an gährender Eifersucht, hämischer Feindseligkeit gegen eine sich abwendende Neigung, das trat besonders gehässig hervor, als Goethe einen entscheidenden Bruch herbeigeführt hatte, indem er Christiane Vulpius in sein Haus nahm.

Zur Zeit, als Corona nach Weimar kam, war die Liebe Goethe’s zu Frau von Stein noch in ihren Flitterwochen. Den Eindruck, den die Sängerin auf ihn gemacht, verschwieg er zwar der Freundin nicht, obschon er diese Geständnisse durch Schmeicheleien für den überlegenen Geist und die Schönheit seiner Weimar’schen Muse zu mildern suchte. Er schrieb von Leipzig aus: „Die Schröter ist ein Engel – wenn mir doch Gott so ein Weib bescheeren wollte, daß ich euch könnt’ in Frieden lassen – doch sie sieht Dir nicht ähnlich genug.“ Und ein anderes Mal schrieb „Ich bin bei der Schröter – ein edel Geschöpf, in seiner Art – ach, wenn die nur ein halb Jahr um Sie wäre! Beste Frau, was sollte aus der werden!“ Doch Goethe beurtheilte Frau von Stein falsch, wenn er vorher an sie geschrieben hatte: „Du einziges, was mir Glück wünschen würde, wenn ich etwas lieber haben könnte als Dich.“ Sie war durchaus anders gesinnt, auf ausschließlichen Alleinbesitz bedacht und sah in der schönen Corona nur eine Nebenbuhlerin, eine nach Weimar in nächste Nähe übersiedelnde Gefahr. Goethe mußte sie beruhigen. Er schrieb einige Tage später aus Leipzig: „Liebe Frau, Ihr Brief hat mich doch ein wenig gedrückt. Wenn ich nur den tiefen Unglauben Ihrer Seele an sich selbst begreifen könnte, Ihrer Seele, an die Tausende glauben sollten, um selig zu werden. Bald komm’ ich. Noch kann ich nicht von der Schröter’n hinweg.“

Corona wurde in Weimar herzlich empfangen, sang alsbald in mehreren Concerten mit, zeigte sich auf den Maskenbällen, wo es sehr lustig herging und auf denen sie, nach Goethe’s Tagebuchbemerkung, sehr schön aussah.

Frau von Stein, obschon Goethe ihr ein Band geschenkt hatte, das sie ihm zum Gedächtnisse auf dem Maskenballe tragen sollte, machte aus ihrer Eifersucht auf die Künstlerin kein Hehl. Die Proben auf dem Liebhabertheater brachten diese und den Dichter einander näher. Spielte Goethe den Liebhaber, so wurden von den betheiligten Damen allerlei Minen angelegt, um neben ihm die Liebhaberin zu spielen; in tragischen oder Charakterrollen fiel sie ohne Weiteres der Corona zu. In den brillanten Gesangspartien überstrahlte sie alle Mitwirkenden. Von dem Repertoire des fürstlichen Liebhabertheaters darf man sich indeß keinen zu großen Begriff machen; die Mittel der Darstellung waren immerhin beschränkt, und die damalige dramatische Muse der Deutschen arm genug. Was Goethe selbst geschaffen hatte, von dem unmöglichen „Götz“ abgesehen, und was er anfangs für diese Bühne schuf, das trug einen durchaus dilettantischen Charakter. Man gab seine „Mitschuldigen“, ein offenbar verfehltes Lustspiel, „Erwin und Elmire“ in seiner ersten Gestalt, in Prosa mit eingelegten Versen, die „Lila“, den „Triumph der Empfindsamkeit“, oder wie das Stück anfangs hieß, „die Empfindsame“, den „Jahrmarkt zu Plundersweilen“, lauter untergeordnete Productionen, welche den Dichten des „Götz“ und „Werther“, verstrickt in Hofvergnügungen und Liebeshändel, als einen beiläufigen Gelegenheitsdichter zeigen. Doch die Lust an der Inscenirung und Darstellung, das Schaffen und Bestellen von Decorationen und musikalischen Begleitungen, ein Publicum, das selbst an den Aufführungen betheiligt war und für Alles, was hinter den Coulissen vorging, den regsten Antheil zeigte: das ersetzte reichlich den mangelnden dichterischen Werth dieser leichten dramatischen Waare, welcher der Stempel des Goethe’schen Genies nur mit unkenntlicher Flüchtigkeit ausgeprägt ist.

Desto genialer war damals das Leben des Dichters; sein Verhältniß zu Corona wurde immer inniger. Dem Zusammensein auf den Proben folgte oft ein abendliches Zusammensein in ihrem Hause. In seinem „lieben Gärtchen“ vor’m Thore an der

  1. Es kommt uns nicht zu, über dieses vor dem Forum der öffentlichen Meinung längst gerichtete Doppelverhältniß Goethe’s noch ausdrücklich den Stab zu brechen. Zur Entschuldigung desselben ließe sich indessen vielleicht sagen, daß jenes poetische Zeitalter es in Fragen der Sitte und des Herzens nicht allzu genau nahm und daß die Schuld des Einzelnen vielmehr die Consequenz der damaligen gesellschaftlichen Anschauungen war, die sich namentlich in dichterischen Kreisen leider in freiesten Formen fühlbar machten.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_689.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)