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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

„Gemach,“ sagte Herr Bessedofski; „gemach, mein liebes Fräulein! Das findet sich Alles im geeigneten Augenblicke, aber da sehe ich Jemanden herannahen, der Sie vielleicht doch noch wirksamer bereden möchte, Ihrem Vorsatze, wenigstens dem letzteren, ungetreu zu werden, als ich.“

Er richtete meine Aufmerksamkeit auf eine Stelle in dem glänzenden Gewühle, welches eben nach Beendigung einer Française inmitten des Saales durcheinander wogte. Da strebte eine Gestalt in einer mir merkwürdig bekannten, dunkelgrünen Uniform sich in der Richtung des Divans Bahn zu brechen, auf dem ich mit dem Alten soeben Platz genommen hatte.

„Kommen Sie!“ rief der Letztere dem mittlerweile Herantretenden entgegen. „Kommen Sie, Herr Capellmeister, und versuchen Sie, dieses eigensinnige Kind zum Tanze zu überreden!“

„Herr Hirschfeldt wird sich keine Mühe geben,“ sagte ich, „da er weiß, daß er sie nur unnütz verschwenden würde.“

„Auch dann, wenn ich Sie wirklich diesmal sehr ernsthaft um einen Tanz bäte?“ fragte der Genannte, indem er sich verbeugte.

„Auch dann,“ war meine Antwort, welche an Entschiedenheit des Tones nichts zu wünschen übrig ließ.

„Nun, so werden Sie wenigstens gestatten, daß ich mich zu Ihnen setze und an Ihrer Unterhaltung theilnehme,“ erwiderte Hirschfeldt und nahm an meiner Seite Platz. „Das wird mich mehr amüsiren als irgend ein Tanz sonst, denn es ist die einfache Wahrheit, wenn ich behaupte, in der Unterhaltung all dieser jungen Damen hier im Saale zusammen genommen ist nicht so viel Geist zu entdecken, als in einer hingeworfenen Bemerkung von Ihnen, gnädiges Fräulein.“

Einen Augenblick sah ich ihn groß an, als ob ich meinen Ohren mißtraue, dann entgegnete ich kurz: „Bitte, Herr Capellmeister, beginnen Sie nicht mit mir in einer Tonart, von der Sie wissen, daß sie bei mir keinen Anklang findet!“

Er biß sich auf die Lippen, und ich sah, daß er sich ärgerte, aber ich that es ebenfalls. Ich will mir keine vagen Complimete von ihm sagen lassen, und überdies – wäre Fräulein Adrianoff gegenwärtig gewesen, er würde wohl gewußt haben, interessante Unterhaltung ohne mich zu finden.

Herr Bessedofski lachte, sagte mir, ich sei ein kleiner Eisenkopf, und wußte durch seine drolligen und gemüthlichen Einfälle die Unterhaltung alsbald wieder in’s Geleise harmloser Unbefangenheit hinüber zu leiten, so daß wir uns wirklich amüsirten und auch der Capellmeister nicht lange in seinem grollenden Schweigen verharren konnte. Ja, er wurde sogar lebhaft und ausgelassen, als allmählich ein Kreis sich um uns bildete, in welchem es heiter genug zuging. Ich kenne ihn jedoch bereits zu genau, um mich täuschen zu lassen, und es konnte mir daher nicht entgehen, daß Hirschfeldt’s Lebhaftigkeit etwas Forcirtes hatte. Als eine kurze Pause in der Unterhaltung eingetreten war, wendete er sich, wie von einem raschen Einfalle getrieben, plötzlich zu mir, zog seine Brieftasche heraus, entnahm derselben ein Schreiben und sagte, es mir reichend:

„Lesen Sie doch, welche günstige Bedingungen man mir für ein Engagement in Petersburg macht!“

Ich nahm den Brief, warf einen Blick hinein und hatte Mühe, meinen inneren Schreck nicht merken zu lassen. Es war ein Billet von Wéra, in welchem sie ihren glühenden Schmerz schilderte, eines leichten Unwohlseins wegen den Sylvesterball, der in der assemblée des nobles stattfinden wird, nicht besuchen zu können. Sie habe seit langer Zeit gehofft, auf demselben Hirschfeldt zu sehen. Sie bat ihn dringend, irgend einen Ort ausfindig zu machen, an dem sie ihn nach ihrer Wiederherstellung treffen könne, da sie ihn unbedingt sprechen müsse.“

„Was rathen Sie mir?“ fragte der Capellmeister, als ich ihm den Brief zurückgab.

„Ich würde mir die Sache doch erst gründlich überlegen,“ antwortete ich ihm. Constantin Feodorowitsch’s ernstes Antlitz tauchte in demselben Augenblicke vor meinem Geiste auf, und ich werde von nun an mich nicht von der stillen Angst frei machen können, daß der Musiker vielleicht irgend eine Unvorsichtigkeit begehen könnte, die zu Conflicten mit Constantin führen muß.

Dieser kleine Zwischenfall, von dessen Bedeutung keiner der übrigen Anwesenden auch nur eine Ahnung hatte, berührte mein Herz unheimlich wie eine Mahnung. Wie wenig heitere Stunden sind mir doch gegönnt, ohne daß still getragene Angst wie ein Frosthauch erkältend darüber hinfährt!


Den 2. Januar.

Ein neues Jahr hat begonnen. Was wird es mir bringen? Ich falte still meine Hände und denke: Gott im Himmel wird Alles zum Besten lenken, möge er nur das Eine geben, daß ich am Schlusse auf keine Stunde desselben mit Reue zurückzublicken habe!

Die Branikow’s und Olga waren zu dem großen Sylvesterballe gefahren, und Zenaïde Petrowna wollte mir, da ich nicht tanze, ein Billet für die Galerie zum Zusehen gebe, aber ich schlug zu Olga’s maßloser Verwunderung das Anerbieten dankend aus. Es that mir unendlich wohl, den Abend ganz allein zuzubringen, was ihr allerdings wie eine Grille vorkommen mochte.

Die Aufregung in der Stadt nach der Feuersbrunst von neulich hat sich immer noch nicht wieder gelegt, und zwar aus guten Gründe nicht. Verschiedentlich an den letzten Morgen hat man an besonders in die Augen fallenden Stellen, an den öffentlichen Gebäuden und Kirchen, während der Nacht befestigte Placate entdeckt, die nichts mehr und nichts weniger enthalten als die Drohung, daß Woronesch in nächster Zeit ganz durch Feuer vom Erdboden vertilgt werde solle. Einem unheimlichen Schreckgespenste gleich schlich die Furcht vor dem in Verborgenheit und Nacht gehüllten und deshalb, wie Jeder wähnt, um so gefährlicheren Feinde durch unsere Stadt, bis heute das Phantom einigermaßen greifbare Gestalt angenommen hat. Aus verschiedenen Gegenden des russischen Reiches treffen nämlich Berichte von ähnlichen, zum Theil sehr verheerenden Feuersbrünsten ein und zwar stets aus den Städten, in denen die polnischen Gefangenen internirt sind, deren letzten Aufstandsversuch eben General Murawiew mit eiserner Hand in Blut erstickt.

„Es sind die Polen, welche die Feuer anlegen,“ geht es jetzt von Mund zu Mund, und ich muß gestehen, daß ich diese Idee in keiner Weise beruhigend finde. Was ist nicht von diesen wilden Gesellen zu fürchten, die nichts zu verlieren und nichts zu gewinnen haben als die Rache?

Neulich begegneten wir einem Transport derselben, der gerade vom Kriegsschauplatze anlangte, und ich konnte Tage lang den Eindruck nicht überwinden. Immer wieder traten mir die verwilderten, verwahrlosten Gestalten vor Augen, denen man die erduldelen Qualen und die verbissene Wuth so deutlich von den hageren Gesichtern las. Wie schrecklich ist dieser Aufstand, der von vornherein ohne Hoffnung und Möglichkeit des Erfolges begann und jetzt mit drakonischer Strenge und mit Energie niedergetreten wird! Von allen Seiten sagt man mir, es muß sein – aber mich schaudert vor dieser Nothwendigkeit. In Deutschland könnte das nicht vorkommen, und ich sehe mit Verwunderung die vornehme Welt an, die tanzt und glänzende Feste feiert, als herrsche in der ganzen Welt Friede und Fröhlichkeit. Zenaïde Petrowna kennt nur das eine Bestreben, von diesen unangenehmen Dingen so wenig wie möglich zu erfahren, damit ihre Stimmung nicht dadurch alterirt wird. Sie hat strenges Verbot erlassen, in ihrer Gegenwart überhaupt davon zu sprechen.


Den 9. Januar.

Die Vorbereitungen zu dem Wohlthätigkeitsconcerte sind nunmehr definitiv in Angriff genommen. Es soll am Sonntag, den 26. Januar, im großen Saale der Assemblée stattfinden, der fünf- bis sechshundert Personen faßt. Ich denke mit Schrecken daran und weiß nicht, woher ich den Muth nehmen soll, vor so viel Menschen zu spielen. Wären nicht unsere Musikabende vorhergegangen, so würde es mir eine Unmöglichkeit sein. Morgen werden wir die erste Probe haben, und unsere Soiréen sind wegen der Vorbereitungen zu diesem Concerte für den Monat Januar ganz ausgesetzt.

Als ich diesen Nachmittag auf mein Zimmer kam, fand ich daselbst ein kleines Paket, und Masche sagte mir auf mein Befragen, es sei ihr von einer fremden alten Frau für mich übergeben. Als ich es öffnete, fand ich verschiedene Hefte Noten darin, über die ich vor längerer Zeit mit Fräulein Adrianoff gesprochen. Sie hatte es übernommen, mir dieselben zu besorgen, ohne daß ich jetzt noch daran gedacht hätte. Zwischen den Blättern lag ein zartes, duftendes Briefchen folgenden Inhaltes:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_698.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)