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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Auch die übrigen Piecen gelangen nach Wunsch; wir rissen in den Ensemblestücken die Unsicheren mit fort, und unser Erfolg wurde von allen Seiten anerkannt.

Herr Bessedofski schwamm in einem Meere von Entzücken, und legte durchaus Beschlag auf den Platz an meiner Seite und sagte mir so viele närrische Dinge, daß ich mich nicht erinnere, seit langer Zeit so herzlich gelacht zu haben. Zenaïde Petrowna erntete neben der Gouverneurin wohlfeil erlangten Ruhm, und weil sie ihn voller Selbstgefälligkeit und anscheinend in bester Laune hinnahm, achtete ich auch nicht darauf, daß sie sich beim Nachhausefahren sehr einsilbig verhielt. Ich nahm ihr Schweigen für Abspannung, und erst als beim Gutenachtsagen Olga mir mit eigenthümlicher Betonung zurief: „Möge Ihnen der heutige Tag recht wohl bekommen, Fräulein Helene!“ berührten mich diese Worte fatal, wie ein unheilverkündender Eulenruf.

Ich schlief trotzdem in dieser Nacht vortrefflich, da es nach dem glücklich überstandenen Concerte wie eine wohlthuende Ruhe über mich gekommen war. Heute Morgen begab ich mich in heiterster Stimmung zum Frühstück, nichts anderes erwartend, als daß die Erlebnisse des gestrigen Abends in gemüthlicher Weise dabei die Unterhaltung bilden würden. Das war jedoch eine Täuschung. Unsere Gebieterin befand sich in der allerschlechtesten Laune und machte ein Gesicht, als ob sie sich darauf vorbereite, allen Leiden dieses mühevollen Erdendaseins in kürzester Frist zu erliegen. Sie hielt fortwährend ihre Zofe, welche mit geängstigter Miene an der Thür stand, in Bewegung, indem sie sich einmal ihr Taschentuch bringen ließ, dann wieder ihr Flacon oder ein Glas Wasser, an welchem sie in hinsterbender Schwachheit nippte.

Da ihr Zustand – wahr oder erheuchelt – sich durchaus nicht ignoriren ließ, wagte ich endlich die Frage, ob Zenaïde Petrowna leidend sei, und diese unglückliche Frage schien das Tröpfchen zu sein, durch welches das Faß zum Ueberströmen gebracht wurde. Sprechen konnte die Dame noch, obgleich dies eben zweifelhaft genug erschienen war, aber die Worte flossen nicht wie Honigseim von ihren Lippen, sondern wie Galle. Sie erklärte sich für angegriffen bis zum Sterben, aber es ließe sich auch gar nicht anders erwarten, fügte sie hinzu, da die Verderbtheit der menschlichen Natur geradezu entsetzlich sei, man müsse immer wieder einsehen, daß man in unwürdiger Weise hintergangen werde, und das sei vollständig entmuthigend, wenn es von Personen ausgehe, denen man Vertrauen geschenkt habe.

Ich war eben im Begriffe, vollkommen arglos zu fragen, wer denn so unglücklich gewesen sei, sich in solchem Grade gegen unsere Gebieterin zu versündigen, als von ungefähr mein Blick demjenigen Olga Nikolajewna’s begegnete, der mit einer Art triumphirenden Hohnes auf mich gerichtet war. Sie senkte ihn augenblicklich und rührte, während sie in ihrer geräuschlosen, jetzt freilich sehr wenig angebrachten Weise lachte, eifrig ihren Thee um, aber getäuscht hatte ich mich nicht und sofort begriff ich Alles. Zenaïde Petrowna’s Lamentationen waren ebenso viele auf mich gemünzte Anspielungen, und als Iwan Alexandrowitsch, auf den die Launen seiner Gemahlin zwar sonst keinen allzu tiefen Eindruck machen, der sich aber bei der herrschenden Verstimmung langweilte und darum verdrießlich war, sich entfernt hatte, begann sie in wahrhaft ungemessener Weise die Schalen ihres Zornes über Hirschfeldt auszugießen. Sie nannte ihn einen Unsinnigen, der es wage, seine Blicke zu hoch über ihm stehenden Damen zu erheben, der nichts als Unheil anrichte und für seine Unverschämtheiten eine exemplarische Züchtigung verdiene. Sie werde nächstens mit dem Gouverneur oder dem General Adrianoff sprechen, welchen, da Hirschfeldt als Regimentscapellmeister im Staatsdienste stehe, es eine leichte Sache sein würde, ihn nach einem fernen Gouvernement versetzen zu lassen oder ihn gar nach Sibirien zu schicken, wenn er es zu arg treibe.

Ich hätte des Himmels Einsturz eher erwartet, als daß gerade heute, unmittelbar nach dem gestrigen Erfolge, Madame ihren bisherigen Günstling so total fallen lassen würde. Mein Erstaunen war so groß wie mein innerlicher Schreck und meine Entrüstung. Aber da ich nicht zu Hirschfeldt’s Vertheidigerin berufen bin, da die Beschuldigungen sich immer in allgemeinen Anspielungen hielten und ich wußte, Widerspruch würde die Sache nur verschlimmern, schwieg ich beharrlich auch dann, als unsere Gebieterin anfing, anzügliche Bemerkungen über Zwischenträgerinnen einzuflechten. Ich hielt es für das Klügste, hartnäckig nicht zu verstehen, an wen hier gedacht sein könne, und wie an jedem anderen Morgen meine gewohnten Beschäftigungen vorzunehmen.

Der ganze Tag entsprach in seinem Verlaufe leider dem Morgen und war fast unerträglich. Wollte ich vorspielen, so sagte Madame, daß die Migräne, welche sie quäle, sie verhindere, zuzuhören. Nahm ich meine Stickerei, so machte das Aufziehen der Fäden sie nervös, und fragte ich, ob ich ihr vorlesen dürfe, so erklärte sie die Lectüre für zu aufregend. Zwischendurch flocht sie stets wieder ihre malitiösen Bemerkungen ein, aber ich that ihr nicht den Gefallen, auch nur ein Wort darauf zu erwidern, sondern behandelte die Sache hartnäckig, als ob sie mich in keiner Weise berühre. Wohl zu Muthe war mir freilich nicht bei diesem Zustande, denn ich mußte mir am Ende sagen, daß dies mehr bedeute als eine der gewöhnlichen Launen Zenaïde Petrowna’s, und daß ich nicht allzu lange im Stande sein werde, die verborgenen Angriffe zu ertragen und meinen Freund schmähen zu hören. Ich war also von Herzen froh, mich in gewohnter Weise nach dem Diner eine Weile in mein Zimmer zurückziehen zu können. Ich wanderte ruhelos darin auf und ab, indem ich mir ohne Aufhören den Kopf zermarterte, um den Grund dieser plötzlichen Ungnade unserer Herrin zu entdecken, da ich mir doch einbildete, wir, Hirschfeldt und ich, hätten gestern ein wenig ihren Dank verdient. Aus den fruchtlosen Grübeleien wurde ich durch das Erscheinen meines Mädchens aufgestört, welches plötzlich eintrat und sich in einer Weise mit meiner Garderobe zu schaffen machte, in der ich alsbald einen Vorwand erkannte für ihr mir in der That jetzt lästiges Erscheinen.

Masche mochte bemerken, daß ich ihr Thun mit ungeduldigen Blicken verfolgte – „Fräulein Helene –“, begann sie zu mir hintretend und zupfte verlegen an ihrer kleinen weißen Schürze.

„Was giebt’s, Masche?“ fragte ich ungeduldig. „Doch ich erinnere mich, es ist heute der Tag des heiligen Timofei – möchtest Du vielleicht den Namenstag Deines Vaters mitfeiern und die Piroge zu Hause essen, dann theile mir nur möglichst rasch Dein Begehren mit!“

Die Gefragte schüttelte den Kopf, sah mich aus ihren schräg geschnittenen Augen offenbar ängstlich an und erwiderte stockend: „O nein, Fräulein Helene, es handelt sich um etwas ganz Anderes.“

Ich hatte also recht gerathen – es handelte sich wirklich um Etwas. „Masche,“ nahm ich wieder das Wort, „hast Du mir eine Bitte vorzutragen, in welcher Art es auch sei, oder hast Du irgend eins meiner Sachen verdorben, so sage es offen heraus, nur quäle mich nicht lange mit unnützen Vorreden! Ich habe keine Zeit, sie anzuhören.“

Wer beschreibt jedoch mein Erstaunen, als nach diesen wohlgemeinten Worten das Mädchen plötzlich in Thränen ausbrach, sich vor mir niederwarf und begann mein Kleid zu küssen. „Fräulein Helene,“ schluchzte sie dabei, „versprechen Sie mir fest, daß Sie mich nicht verrathen wollen, so –“

Hier unterbrach sie sich wieder, um mein Kleid zu küssen, weinte und erging sich in Bitten und Betheuerungen. Ich hatte Mühe, sie so viel zu beruhigen, daß sie mich vernünftig anhörte, und mir wurde bei ihrem Benehmen ganz wunderlich zu Muthe. Masche ist eine kleine gute Person, die mir stets treu gedient und mir nicht die mindeste Ursache gegeben hat, ihr zu mißtrauen. Daß jetzt etwas ganz Ungewöhnliches sie in solche Aufregung versetzte, war unverkennbar, und ich gab ihr nach einigem Ueberlegen mein Wort, von Allem, was sie mir anvertrauen würde, nichts zu verrathen. Das wirkte endlich so viel, daß ich sie dazu brachte, wieder im Zusammenhange zu reden, und nicht ohne Mühe gelang es mir, sie zur Erzählung folgender Thatsachen zu veranlassen.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_700.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)