Seite:Die Gartenlaube (1875) 703.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

schwaches Licht im entferntesten Theile des Zimmers beleuchtet die Scene, so daß die Züge der Anwesenden nicht zu erkennen sind; das Publicum singt wie vorher, und die Geistermusik ist hörbar. Nach einer kurzen Pause von fünf bis zehn Minuten wird einer der Vorhänge an den Guckfenstern bei Seite geschoben und das vorgebliche Anlitz eines Geistes erscheint und bringt gewöhnlich große Bewegung unter den Anwesenden hervor. Frau Holmes, die sich vor dem Cabinete befindet, bittet ganz unschuldig und mit großer Eindringlichkeit, man möge, wenn möglich, den Geist identificiren, denn ‚es freue die Geister, erkannt zu werden‘. Diese Gesichter sind einfach Masken, die dutzendweise, für zehn Cents das Stück, angeschafft wurden. Man überzieht sie mit weicher Gaze und überhängt sie so, daß die Hand des Mediums verborgen bleibt und dieselben nach Belieben bewegt werden können. Dem Publicum wird gesagt, daß die ‚verkörperten Geister‘ diese Schleier tragen, um das Gehirn zu schützen, und diese Erklärung genügt auch vollkommen. Die Gesichter sind nur auf Augenblicke sichtbar, ‚weil die Verkörperung nicht länger andauern kann‘, und es ist eine merkwürdige Thatsache, daß kaum ein Gesicht erscheint, das nicht vollständig von Jemandem unter den dreißig bis vierzig Anwesenden erkannt wird.

Eines Tages, als wir uns über das Gelingen dieser Geistererscheinung unterhielten, warf Frau Holmes ein weißes Tuch über meinen Kopf mit der Bemerkung, ich würde eine gute Katie King abgeben. Katie King war die Tochter eines indischen Missionärs, die vor vielen Jahren in England starb, wo sie zur Zeit erzogen wurde, und deren Erscheinen bei einer Geistersitzung in London unter dem Präsidium der berühmten Florence Cook großes Aufsehen erregt hatte. ‚Gehen Sie einmal in das Cabinet und reden Sie das Publicum an!‘ nöthigte mich Frau Holmes, ‚und sehen Sie zu, wie es glückt!‘

Zuerst weigerte ich mich standhaft. Doch ich war allein in einer fremden Stadt, ohne Heimath außer der, welche ich mit dem Holmes’schen Ehepaare theilte. Geld hatte ich nicht, und meine Gesundheit war schwach. Was sollte ich thun? Man bot mir zwei Dollars für jede Vorstellung; ich gab endlich nach und entschloß mich aus Noth, die Rolle auf kurze Zeit zu übernehmen. Mein erstes Auftreten wurde für den 12. Mai festgesetzt. Ich mußte mir ein Gewand von feinem weißem Mousselin anschaffen, das bis zur Erde wallte. Es hatte lange weite Aermel und wurde von einem weißen Gürtel um die Taille gehalten. Dieses Costüm nebst einem langen weißen Schleier gab mir ein sehr ätherisches Ansehen. Mit ‚Magnoliabalsam‘ – einer hier sehr beliebten Schminke – verlieh ich Gesicht, Armen und Händen eine Leichenblässe und konnte wohl als Geist erscheinen. Wie ich aus dem Cabinete heraus- und hineinging, wird später erzählt. Diesmal gelangte ich durch die Holmes’sche Kammer dahin.

Herr Holmes befand sich im Cabinet, und nachdem er einige Masken gezeigt, um die Stimmung zu steigern, zog ich leise einen der Vorhänge weg, und indem ich mein Gesicht sehen ließ, flüsterte ich kaum hörbar: ‚Guten Abend, Freunde!‘ – Dann zog ich mich zurück und ließ den Vorhang fallen. Diese sprechende Erscheinung erregte große Sensation unter den Zuschauern; obgleich ich etwas aufgeregt war von meinem Debüt, hörte ich doch deutlich die verschiedenen Aeußerungen, die man darüber machte, z. B.: ‚Haben Sie es sprechen hören?‘ – ‚Ich möchte wissen, wer es ist.‘ – ‚Ich wollte, es käme wieder‘ etc. Frau Holmes, welche sich vor dem Cabinet im Publicum befand, war höchst zufrieden mit meinem Empfang und bemerkte, es müsse etwas Besonderes in Aussicht stehen, da die Geister den ganzen Abend von ihrer Kraft so stark gezogen hätten, um sich zu verkörpern, daß sie ganz erschöpft sei. Nachdem sich die Aufregung ein wenig gelegt hatte und mehrere Bitten laut wurden, ich möge doch wieder erscheinen, zog ich den Vorhang nochmals bei Seite und zeigte mich am Schalter, worauf gleich drei oder vier auf einmal riefen: ‚Wer bist Du? – Bitte, sage uns Deinen Namen!‘ Ich antwortete flüsternd: ‚Ich bin Katie King, ihr Einfältigen.‘ Diese und ähnliche unhöfliche Redensarten seien von Florence Cook in England bei derselben Erscheinung gebraucht worden, sagten mir Herr und Frau Holmes, deshalb sei es sehr wichtig, sie hier wieder anzuwenden, damit man glauben solle, ich sei der Londoner Geist. Die Aufregung des Publicums steigerte sich immer mehr, und schließlich fragte man auch: ‚Ist dies dieselbe Katie King, die in London bei Florence Cook erschien?‘ Nach einigen Augenblicken kam ich wieder an’s Fenster. Ich beantwortete die Frage: ‚Freilich ist es dieselbe, ihr Einfältigen,‘ und nun stieg die Aufregung auf’s Höchste. Ich verschwand alsbald, und das Medium erklärte, die Geister könnten nur einige Augenblicke verkörpert bleiben, wonach sie sich in’s Cabinet zurückziehen müßten, um neue Kräfte zu sammeln. Als ich wieder kam, fragte mich ein Herr, wann ich zuletzt in London gewesen sei?

‚Heute war ich bei einer Sitzung dort zugegen, Einfalt,‘ erwiderte ich und ließ den Vorhang fallen. Herr Holmes bedeutete mir, daß ich für diesen Abend genug gesprochen habe, und ich trat sogleich meinen Rückzug durch’s Hinterzimmer an, um meine Kammer im dritten Stock zu erreichen. Das Publicum ging bald darauf mit gegenseitigen Beglückwünschungen auseinander, daß die Verkörperung der Geister jetzt eine über alle Zweifel erhabene Thatsache sei.

Katie’s erstes Erscheinen war also vollkommen gelungen, das Medium hoch erfreut und das Publicum befriedigt. Die Nachricht, daß ein Geist erschienen sei, verbreitete sich mit Blitzesschnelle unter den Gläubigen, und so groß wurde der Andrang, daß die Zimmer die Schaulustigen nicht fassen konnten und viele abgewiesen werden mußten. Alles war nun im herrlichsten Gange. Katie durfte sich jetzt mit den Anwesenden unterhalten und erlauben, daß man sich einzeln näherte, um sie durch die Fensteröffnung zu betrachten, doch hielt sie sich in sicherer Entfernung, und nur einigen tief Eingeweihten wurden Privilegien zugestanden. Einem bekannten hiesigen Arzte wurde erlaubt, ihren Puls zu fühlen; von einer Dame nahm sie einen goldenen Ring zum Geschenk an, und Herrn O., einer in literarischen Kreisen bekannten Persönlichkeit, wurde gestattet, ihr denselben an den Finger zu stecken.

Jetzt, da Herrn O.’s Vertrauen gewonnen war, hielt man es an der Zeit, die Cabinetsthür zu öffnen, um den Geist in seiner ganzen Gestalt sehen zu lassen. Ich fing also damit an, die Thür auf Augenblicke zu öffnen, damit Alle mich sehen konnten, verließ aber das Cabinet noch nicht, sondern begnügte mich, mit den Händen so zierlich wie möglich zu grüßen. Da, wie schon gesagt, das Zimmer ziemlich dunkel, dagegen mein Schleier und Gewand, sowie Gesicht und Arme ganz weiß waren, kam schon eine geisterhafte Erscheinung zu Stande.

Frau Holmes erklärte, vor einiger Zeit Kundgebungen von dem Geiste einer Indianerin, Namens Saunten, erhalten zu haben. Ich mußte mir deshalb aus der Theatergarderobe einer Freundin den nöthigen Anzug verschaffen, färbte mein Gesicht und erschien zu rechter Zeit am Cabinetsfenster. Auf die Frage: ‚Wer bist Du?‘ antwortete ich getrost: ‚Saunten.‘ Frau Holmes zeigte sich sehr ergriffen und erstaunt und ließ ein erschrockenes ‚Ach Gott!‘ hören. Ich hatte nach Indianerart eine Decke über meinen Anzug geworfen, die auch den Kopf bedeckte und unter dem Kinne gehalten wurde. Diesen Abend verließ ich das Cabinet mehrere Male und ging vor dem Publicum auf und ab, indem ich den Dialect der Indianer und deren Art nachahmte, so gut ich konnte. Darauf zog ich mich zurück, warf meinen Indianeranzug ab, erschien als Matrose und paßte auch dieser Verkleidung meine Aeußerungen und Bewegungen möglichst an. Auf die gewöhnliche Frage: ‚Wer bist Du?‘ antwortete ich mit heiserer Stimme: ‚Kennt Ihr mich nicht? Ich bin Dick.‘

Jeden Abend waren unsere Zimmer gedrängt voll und unser Publicum auf’s Höchste gespannt, doch hielt man es für gerathen, die Sache nicht auf’s Aeußerste zu treiben, sondern die herrschende Stimmung erst so viel wie möglich auszunutzen. Zu meinem Verdrusse schlug ein Herr vor, daß Alle, die es wünschten, sich dem Fenster nähern sollten, um sich von mir berühren zu lassen. Ich getraute mich nicht, dieses Verlangen abzuschlagen, doch zitterte ich für meine geistige Existenz, denn ich fürchtete, Jemand könne mich anpacken, und dann wäre es um mich geschehen. Einer der Herren bat, ich solle ihn küssen; ich antwortete sehr bestimmt: ‚Nein!‘, that sehr zerknirscht, ließ den Vorhang fallen und verschwand, froh, eine Entschuldigung zu haben, den Rest des Abends für mich zubringen zu können.“

Soweit die Enthüllungen der Dame selbst. Die weitere Entdeckung des Schwindels geschah durch einige nicht ganz Gläubige unter Leitung des besagten Berichterstatters, die den verschwindenden

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_703.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)