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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Dank der Humanität des Generalpostdirectors Stephan, welcher das straffe Uniformwesen auf das Allernöthigste beschränkt hat, dürfen die Beamten die Fahrt in Civilkleidern zurücklegen. Man muß wissen, was es heißt, zehn bis zwölf Stunden zur heißen Jahreszeit in einem so engen Raume auszuhalten und dabei in höchster Anstrengung arbeiten zu müssen, um jede anscheinend auch noch so geringe Erleichterung als eine Wohlthat zu begrüßen.

Gleich nach dem Eintreffen der Beamten langt der erste Brieftransport vom Berliner Hauptpostamt an. Die Beutel werden eiligst geöffnet, und es beginnt nun ein wahres Schnellfeuer, um die Briefe in die für sie bestimmten Fächer zu bringen. Die Schnelligkeit, mit welcher das Sortirgeschäft ausgeführt wird, imponirt, besonders wenn man sich von der großen Sicherheit desselben überzeugt hat, und wenn man die Größe des Gebietes in Betracht zieht, auf welches sich die Thätigkeit der Sortirbeamten erstreckt; denn dasselbe umfaßt den ganzen südöstlichen Theil des Königreichs Preußen, Südrußland, fast ganz Oesterreich, Ungarn, Italien, Rumänien, die Türkei, Griechenland, Aegypten, Asien und Australien.

Von dem Betriebe dieser Bahnposten wird man sich eine Vorstellung machen können, wenn ich erwähne, daß dieselben directe Briefposten nach Odessa am schwarzen Meere absenden. Die Vielseitigkeit des Expeditionsdienstes folgt aber auch daraus, daß die Correspondenz nach sehr vielen an Seitencoursen gelegenen Orten fast bei jedem Zuge auf einen anderen Uebergangspunkt zu leiten ist. Es gehört in der That keine geringe Aufmerksamkeit dazu, eine so complicirte Spedition, auch während der höchsten Eile des Sortirens, mit der hier nöthigen Präcision im Geiste festzuhalten.

Nach dem Gesagten leuchtet es ein, welch großer Vortheil es für den Postbeamten und speciell für den in der Bahnpost beschäftigten Beamten ist, wenn der Name des Bestimmungsortes recht deutlich auf dem Briefe angegeben ist; ebenso ist es klar, daß es unerläßlich ist, unbekanntere Orte, auch wenn sich daselbst Postanstalten befinden, auf irgend eine geeignete Weise auf der Adresse des Briefes näher zu bestimmen, denn wenn sich auch der Postbeamte in die hochgehenden Wogen eines umfangreichen Bahnpostdienstes ohne einen reichen Schatz geographischer Kenntnisse gar nicht hineinwagen kann, so wird man doch füglich nicht erwarten können, daß er über die Lage eines jeden auch noch so unbedeutenden Ortes orientirt ist. Meist unterbleibt eine nähere Bezeichnung deshalb, weil der Absender die Bedeutung des Adreßortes nach derjenigen bemißt, welche sie für ihn hat. So mag beispielsweise der Name Skaisgirren für den Absender eine kleine Welt in sich begreifen, eine geographische Ignoranz wird es aber seitens des in einer rheinischen Bahnpost thätigen Postbeamten noch lange nicht bekunden, wenn derselbe über die Lage dieses Oertchens nicht hinreichend unterrichtet ist. Hiernach richte man sich! Unterlassungen werden sich sehr häufig durch Verzögerungen strafen.

Während noch auf das Emsigste an der Bewältigung des ersten Brieftransports gearbeitet wird, trifft bereits ein zweiter und dritter ein. Es geht dies mit kurzen Unterbrechungen bis zum Abgange des Zuges so fort. Wehe, wenn nun noch, neben dem gewöhnlichen Verkehr, als reine Zugabe eine Fluth von Streifbandsendungen mit Lotterie-Offerten über die Beamten hereinbricht und den Muth derselben erschüttert!

Um elf Uhr setzt sich der Zug in Bewegung. Auf den Betrieb im Postwagen übt dies keinen Einfluß aus. Hier wird mit derselben Hast weiter sortirt und mit derselben Eile das Einschreiben der einzutragenden Gegenstände fortgesetzt wie vorher. Nur greifen die Beamten beim Schreiben zu kleinen mit Tuch überzogenen Holztafeln, welche ihnen, indem sie dieselben mit der linken Hand in der Schwebe halten, als Schreibtisch dienen. Es gehört einige Uebung dazu, bis man die hier nöthige Fertigkeit im Schreiben erlangt hat.

Die Expeditionsgeschäfte vertheilen sich auf die einzelnen Beamten derart, daß zwei von ihnen ausschließlich sortiren, der dritte die sortirten Briefe zu Kartenschlüssen vereinigt und die eingeschriebenen Briefe bearbeitet und der vierte die Umschreibung der Geldbriefe und Werthpackete besorgt. Von den zwei Unterbeamten, welchen die Ausführung der untergeordneten Geschäfte obliegt, ist der eine fast ausschließlich mit dem Abbinden der Briefe in Bunde beschäftigt. So leicht dieses Geschäft an sich auch ist, so treibt doch die große Eile, mit welcher dasselbe geschehen muß, dem Manne die Schweißtropfen in’s Gesicht, und wir werden mit ihm ärgerlich, wenn wir Briefe bemerken, welche sich ihrer Unförmlichkeit wegen diesem Zwange durchaus nicht fügen wollen. Auch einen dreieckigen Brief erblicken wir: gewiß ein Liebespfeil, von recht schwieliger Hand abgesandt. Ihn sowohl, wie ein zierliches billet doux rettet der aufmerksame Blick des Beamten vor den verhängnißvollen Folgen einer Verbindung, welche sie mit einer der hierzu besonders geneigten Streifbandsendungen eingegangen waren. Wenn doch das Publicum solche, die Existenz seiner Briefe ernstlich bedrohende Extravaganzen unterlassen wollte!

Werfen wir jetzt einen Blick auf die Thätigkeit des Beamten, welchem die Umarbeitung der Geldbriefe obliegt! Das Verfahren, nach welchem derselbe arbeitet, ist eine Stephan’sche Schöpfung und besteht erst seit einigen Jahren. Die Einführung desselben galt seiner Zeit als ein kühner Schritt; jetzt hat eine mehrjährige Erfahrung es längst als berechtigt und wohlgelungen erklärt. Das Bahnpostpersonal fühlt sich durch dasselbe erleichtert und mehr gesichert, und das Publicum erfreut sich des hieraus entspringenden Vortheils einer durchweg unaufgehaltenen Geldbriefbeförderung. Sehen wir uns die einzelnen Geldbriefe etwas näher an, so fällt uns auf, daß noch immer eine so große Anzahl mit Beträgen bis zweihundert Mark, ja sogar bis hundert Mark, mit fünfzig Pfennigen frankirt ist. Sicher enthält nicht der zehnte Theil dieser Briefe sogenannte wilde Cassenscheine. Bei den allermeisten derselben hätten also durch Anwendung einer Postanweisung dreißig oder doch zwanzig Pfennige erspart werden können. Deshalb merke man: bei Geldbeträgen bis zweihundert Mark und Entfernungen von mehr als zehn Meilen sind Postanweisungen in Anwendung zu bringen. Dies gewährt unter Umständen noch den Vortheil einer schnelleren Beförderung, da sich nicht jeder Zug mit der Beförderung von Geldbriefen befaßt. An dieser Stelle bietet sich Gelegenheit, auf die immer noch viel zu wenig bekannte schnellste Art der Geldübermittelung, die Depeschenanweisungen – Anweisung von Geld durch eine telegraphische Depesche – aufmerksam zu machen.

Das Signal der Locomotive ertönt; wir fahren in den Bahnhof von Fürstenwalde ein. Eiligst wird das letzte Briefbund für diese Station formirt und der Beutel geschlossen. Mit Abgabe desselben tritt eine wesentliche Entlastung der Bahnpost nicht ein; denn an Stelle der abgewiesenen Correspondenz tritt diejenige aus Fürstenwalde und den mit diesem in Verbindung stehenden Orten. Und so geht es fort; auf jeder Station Abgabe und Empfangnahme von Briefbeuteln. Bekanntlich halten die Courierzüge nur an den größeren Stationen; die Bewohner der zwischenliegenden kleineren Orte dürfen jedoch betreffs der Mitsendung ihrer Briefe ganz außer Sorge sein. Je nach dem Gange der anderen Züge wird die Correspondenz dieser Orte dem Courierzuge entweder entgegen- oder vorausgesandt, und wo es gar nicht anders gehen will, kommt es der Postverwaltung nicht darauf an, zu ganz außergewöhnlichen Maßnahmen zu greifen, um dieser Briefe während der Fahrt habhaft zu werden. Zu diesem Zwecke ist nämlich am Postwagen ein Drahtnetz angebracht, durch welches der Briefbeutel bei der Durchfahrt durch den Bahnhof von einem dort aufgestellten Pfahle abgestreift und in den Postwagen gezogen wird. Auch mit der Abgabe von Briefen während der Fahrt befassen sich die Bahnposten, indem die Briefbeutel einem im Bahnhofe darauf wartenden Postunterbeamten zugeworfen werden.

Beim Schließen des Briefbeutels für eine der nächsten Stationen wird unsere Aufmerksamkeit auf eine besondere Species von Postsendungen, die Waarenproben, hingelenkt. Was giebt es da für kunterbunte Sachen! Kleine Taschen mit Kaffee, Mehl, Farin, Getreide, Sämereien und allerhand Gräupnereien, kleine Packete mit Mustern aller nur erdenklichen Stoffe, Holzbretter, die verschiedenartigsten Maschinentheile, kleine Säcke mit Korken, Kästchen mit künstlichen Blumen u. dgl. m. Die seltsamste aller dieser Sendungen kam mir aber vor etwa zwei Jahren in die Hände. Als ich damals eine solche Sendung bezüglich ihres Inhalts prüfte, war ich nicht wenig erstaunt, ein sehr hübsches Exemplar einer Lacerta viridis – grüne Eidechse – darin vorzufinden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_707.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)