Seite:Die Gartenlaube (1875) 724.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


ihren romantischen Schöpfungen begeistert haben. Und heute ist’s in dieser Beziehung jenseits der Alpen noch ziemlich ebenso geblieben, wie es vordem war, ja, es hat sich darin nicht nur Weniges zum Bessern gewandelt, im Gegentheile Vieles noch verschlimmert, so lange der Statthalter Gottes auf Erden sein Reich auch auf „diese Welt“ erstreckte. Oft genug haben dies die Zeitungen zu berichten gehabt, und auch der Regierung Victor Emanuel’s machen die Banditen bis zum heutigen Tage noch zu schaffen. Nicht wie eine Behörde gegen eine Missethäterbande wagt sie wider das Gesindel vorzugehen, sie schlägt und verträgt sich mit ihm vielmehr wie eine kriegführende Macht mit der andern.

Das Räuberthum scheint sonach eine Institution, eine berechtigte Eigenthümlichkeit Italiens zu sein wie die blühenden Citronen und die im dunkeln Laube glühenden Goldorangen, und dergestalt, abgesehen von dem culturhistorischen Interesse und den vielen hochdramatischen Episoden, die es bietet, die eingehende Monographie zu rechtfertigen, die ihm ein bekannter Mitarbeiter der „Revue des deux Mondes“ widmet.[1] Diesem Handbuche der Geschichte des italienischen Brigantenwesens folgen die nachstehenden Mittheilungen, zwar nicht „bis in die entlegensten Zeiten, bis zu dem im großen Walde des Aventin hausenden Räuber Cacus zurück, von welchem in der Aeneide die Rede ist“, sondern nur in die beiden letzten Abschnitte, die von den jüngstvergangenen Tagen handeln, den Jahren 1867 bis 1875.

1.

Anfangs des Jahres 1867 befand sich unser Gewährsmann in Rom, und da verging kein Tag, wo nicht über neue Raubanfälle im Kirchenstaate und oft ganz in der Nachbarschaft der ewigen Stadt Berichte einliefen. Einmal war eine Brigantenschaar bis nach Paliano, einem in der Campagna gelegenen Flecken, gedrungen und hatte sich dort, trotz des energischen Widerstandes einer Gensd’armerie-Abtheilung, festgesetzt. Wie ein feindliches Heer legte sie dem Orte Contributionen sowohl an baarem Gelde wie an Lebensmitteln auf und zog sich dann zurück.

Der heilige Stuhl verausgabte behufs Unterdrückung des Räuberwesens im Kirchenstaate jährlich gegen fünf Millionen Franken, also etwa elftausend Franken pro Bandit. Im übrigen Italien, dort, wo, wie auf den Höhen der Apenninen und in Calabrien, eine größere Truppenentfaltung sich schwer bewerkstelligen läßt, hat es Jahre gegeben, wo jeder Räuber dem Staate auf siebenzigtausend Franken zu stehen gekommen ist.

Auf den ersten Blick erscheint es allerdings im höchsten Grade befremdlich, daß die unaufhörliche Jagd, die man auf die Räuber macht, so unerhebliche Resultate erzielt; forscht man indeß der Sache näher nach, so erklärt sich die anfangs so wundersam erscheinende Thatsache aus verschiedenen Ursachen.

Einmal ist der Krieg in den Bergen ein außerordentlich beschwerlicher und fast endloser: hundert waffengeübte und entschlossene Männer können, in den ihnen wie ihre Taschen bekannten Schluchten und Engpässen versteckt, eine ganze Truppenbrigade in Schach halten und ermüden. Nur selten verläßt der Brigant die Provinz, in welcher er geboren ist, sodaß er mit geschlossenen Augen ungefährdet durch Berge und Wälder schweifen kann, wo die Soldaten sich die Hälse brechen. In den vom Wasser ausgehöhlten Straßen, am Rande jäher Abstürze, im wilden Gestrüppe, da findet der Räuber seine natürliche Deckung.

In der Ebene würde ein Brigantenthum, wie es in Italien besteht, ganz unmöglich sein, Berg und Thal, Schluchten und Felsgetrümmer sind zu seinem Gedeihen ebenso unerläßlich, wie der sogenannte Manutenpolismus, die Hauptgrundlage, auf der es beruht, das heißt die Unterstützung, die es bei der Bevölkerung selber findet. In der Regel aber gehören drei Viertel der Bewohnerschaft des platten Landes zu dieser Anhängerschaft der Räuber, theils aus Furcht, theils aus finanziellen Interessen.

Solcher Helfershelfer des Räuberthums aus Furcht giebt es zweierlei; die Verwandten der von den Räubern gefangen genommenen Personen und die Grundbesitzer der Gegend.

Ist Jemand in die Gewalt einer Bande gerathen, so fordert diese von der Familie ihres Gefangenen ein Lösegeld in baarer Münze, in Lebensmitteln, Schießbedarf und dergleichen, und die erschrockenen Angehörigen suchen dieser kategorischen Forderung so schnell wie möglich nachzukommen. Und das ist ein großer Fehler. Freilich kann man einwenden, es sei immer besser, sich mit den Banditen abzufinden, als zu gewärtigen, daß die Fortgeschleppten gequält und am Ende gar gemordet werden, allein es steht fest, daß die Räuberbanden längst zu sein aufgehört hätten, wenn die Regierung ihnen von vorn herein die Lebensader zerschnitten, das heißt nicht geduldet hätte, daß ihnen auch nur das geringste Lösegeld zukäme. Zweifelsohne wäre dadurch eine Anzahl von Unglücklichen hingeopfert, das Uebel indeß auch in seiner Wurzel angegriffen worden, denn es bedarf keiner besonderen Bemerkung, daß es nur die Habgier ist, was den Briganten bei seinen Handlungen leitet. Nimmt man ihm diesen Stachel, so nimmt man ihm das Leben.

Nicht minder verhängnißvolle Früchte aber, als die Erlegung von Lösegeldern, seitens der in einem ihrer Mitglieder betroffenen Familien, trägt die Beeiferung, mit welcher der Landmann den Winken und Wünschen der Räuber gehorcht. Wenn einer Bande Geld oder Lebensmittel ausgehen, dann braucht sie nur an irgend einen Grundeigenthümer zu schreiben: „Schickt uns sofort so und so viele Scudi, so und so viele Patronen, so und so viel Lebensmittel, oder wir zünden Euer Gehöft und Eure Scheunen an,“ um ungesäumt zu erhalten, was sie verlangt. Ja, es giebt sogar Bauern, welche den Räubern eine regelmäßige Steuer entrichten um ihr Eigenthum zu schützen, um es gewissermaßen gegen die Banditen zu versichern.

Die Anhänger des Räuberthums aus Interesse sind zwar zahlreicher als die aus Furcht, für die Gesellschaft jedoch nicht so schädlich, denn sie führen den Räubern kein Geld zu, sondern erhalten vielmehr solches von ihnen. Mit anderen Worten: die Briganten bezahlen ihnen einen Theil der durch die Lösegelder gewonnenen Summe. Sobald die Banden Tagelöhnern, Hirten und Anderen ihrer Kundschaften und Lieferanten nichts mehr geben können, werden ihnen diese ohne Weiteres den Dienst kündigen. Um aber den Anhang, den das Räuberthum in der Bevölkerung hat, zu beseitigen, muß man vor allen Dingen die Armuth zu bekämpfen suchen. Ein Handarbeiter in der Provinz Frosinone (und in anderen Provinzen soll der Lohn noch geringer sein) verdient etwa fünfzehn bis zwanzig Sous, also höchstens einen Franken, täglich, kaum genug, um seine fast immer zahlreiche Familie dürftig mit Polenta füttern zu können. Wie kann es daher Wunder nehmen, daß er sich vom Glitzern eines Goldstücks blenden läßt, daß er das Gesetz übertritt, um den Räubern Proviant zuzuführen, bei dessen Verkauf er mindestens seine zweihundert Procent verdient?

Von den zu jener Zeit im Kirchenstaate hausenden Räuberhauptleuten zeichneten sich namentlich drei aus: Fuoco, Cedrone und Andreozzi; sie galten als die Meister der Kunst und übten eine gewisse Oberherrschaft über die anderen Bandenführer aus.

Fuoco pflegte sich gewöhnlich Oberst zu tituliren und gebahrte sich als den Nachfolger Chiavone’s, jenes berüchtigte Rottenführers der sogenannten „königlichen Banden“. Denn daß die Bourbonen von Neapel, Ré Bomba so gut wie sein Sohn, der jetzige Exkönig Franz der Zweite, sich nicht scheuten, die Briganten als Werkzeuge zur Bekräftigung ihres Gottesgnadenthums zu benützen, ist bekannt. Nachdem Fuoco acht Jahre in der neapolitanischen Armee gedient hatte, beging er kurz nacheinander zwei Mordthaten und floh in’s Gebirge, das heißt wurde Räuber. Bald darauf schon schwang er sich zum Hauptmanne einer Bande auf und verdiente sich den Name eines zweiten Caruso, jenes entmenschten Scheusals, das 1866 in Rom erschossen wurde.

Nach Fuoco glänzte Cedrone, des Erstern vertrauter Freund, auch ein Mitglied der reactionären Banden, der sich rühmte, von Franz dem Zweiten von Neapel das Patent als Capitain und regelmäßige Unterstützungen an Mannschaften, Munition und Proviant erhalten zu haben. Wie Fuoco besaß auch Cedrone eine Frau, die er ver- und entführt hatte, eine riesenhafte Amazone, welche in Männerkleidern der Bande voraufzog, die Gefangenen peinigte, oftmals Expeditionen befehligte und bei jeder Gelegenheit schwor, daß, wenn ihr Mann jemals Miene

  1. Le Brigandage en Italie dupis les temps les plus reculês jusqu’à nos jours, par Armand Dubarry. Paris, Plon et Co. 1875.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_724.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)