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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Freunde“ später in arge Verlegenheit brachten. Von verschiedenen Wahlkreisen ergingen an ihn Anfragen über solche Candidaten zum Abgeordnetenhause, denen man Theilnahme an Gründungen zur Last legte, und er lehnte die specielle Beantwortung öffentlich ab. Nur in Betreff des Herrn Adolf Hagen, Stadtrath a. D. und Director der „Deutschen Unionbank“, ließ er sich zu einer für diesen ziemlich günstigen Erklärung herbei, stieß aber damit auf vielfachen Widerspruch. Im Reichstage endlich behandelte er am 4. April 1873 nochmals in einer großen Rede die Gründungen überhaupt, ihre wesentlichsten Pfiffe und Kniffe und ihre grobe Gemeingefährlichkeit, wobei er die Mitschuld der Regierung wie des Landtags nicht leugnete, nannte aber diesmal leider keine Namen.

Lasker’s „Enthüllungen“ sollten das öffentliche Bewußtsein wecken und der Regierung das Gewissen schärfen; darum fanden sie im ganzen Lande so lauten Wiederhall und so außerordentlichen Beifall. Herr Löwenfeld freilich erklärt diesen, wie er meint, sehr unverdienten Beifall in seiner Weise. Er sagt: „Man sah nicht den colossalen Vortheil, den das Capital über die Industrie brachte …“ (Wer lacht da?!) „Man sah nicht den enormen Vortheil, den die neuen Banken dem Handel und dem Gewerbe zuführten …“ (Wer lacht da?!) „Man sah nur eine enorme Speculationssucht und den übermäßigen Gewinn der Gründer. So entwickelte sich ein Haß der Armen gegen die Reichen und Lasker gab diesem glühenden Hasse einen beredten Ausdruck.“ – Nach Herrn Löwenfeld war das deutsche Volk noch nicht „gebildet“ genug, um sich sonder Murren von Gründern und Börsianern das Blut abzapfen zu lassen.

Es ist eine alte Geschichte, daß man Eigenschaften, die man selber besitzt, bei Andern wenig schätzt, dagegen über die Maßen bewundert, was man entbehrt. So urtheilt auch Herr Löwenfeld, der selber ein Genie ist, über Lasker: „Die Staatsklugheit und die praktische Verwendbarkeit der Ideen dieses Mannes stehen bei Weitem nicht auf einem so hohen Niveau wie die Sittlichkeit seiner Gesinnungen und seines ganzen Charakters.“ Herr Löwenfeld und seine Freunde können es gar nicht begreifen, daß der Abgeordnete Lasker, so ungleich vielen seiner Collegen, sich von den Gründern und Börsianern nicht kaufen ließ, sondern reine Hände behalten hat. O Gott, daß es bei uns ehrlichen Deutschen so weit kommen konnte! – Allerdings, Lasker war um Geld nicht feil – weil er eben andere Absichten hat. Und warum auch nicht? Sollte Herr Lasker einen Ministersessel nicht ebenso gut ausfüllen wie Herr Achenbach oder Herr Friedenthal?!

Der Bericht der Specialcommission zur Untersuchung des Eisenbahnconcessionswesens kam im Herbste 1873 an das Abgeordnetenhaus „zur weiteren gefälligen Veranlassung“, blieb jedoch seither ganz unbenutzt liegen. Erst wieder am 25. Januar dieses Jahres, bei Gelegenheit der Berathung des Gesetzes über die neue Reichsbank, erklärte Lasker, wie er „dem Gründungsschwindel den Krieg bis auf’s Messer ankündige“, und wie Herr von Diest-Daber öffentlich mittheilte, hat er diesem mit Mund und Hand gelobt, nunmehr auch gegen die „liberalen Gründer“ vorzugehen. Leider erkrankte Lasker gleich darauf, aber inzwischen ist er genesen, und so hoffen wir, daß er in der neuen Parlamentssession seine Versprechungen einlösen wird.

Am 5. Februar 1872 kam im preußischen Abgeordnetenhause ein Gesetzentwurf zur Berathung, welcher den Bau verschiedener Bahnen aus Staatsmitteln forderte. Unter Anderm handelte es sich um die Linie Harburg–Stade, die schon die frühere hannoversche Regierung im Jahre 1866, kurz vor Ausbruch des Krieges, beschlossen hatte, und die jetzt Preußen mit einem Aufwande von 3,300,000 Thalern ausführen wollte. Zu diesem Paragraphen stellte der Abgeordnete Braun-Wiesbaden das von vielen andern „Volkswirthen“ unterstützte Amendement: die Bahn Harburg–Stade einer Privatgesellschaft zu übertragen, falls diese Gesellschaft die Linie bis Cuxhaven weiterführe und dort einen Hafen errichte – ein curioses Amendement, aber man befand sich in der Gründerzeit und nahm es ohne jedweden Einspruch an. Bald darauf wurde die Cuxavener Eisenbahn-, Dampfschiff- und Hafen-Actiengesellschaft geboren, und zum Erstaunen naiver Leute trat Herr Braun-Wiesbaden als Mitgründer hervor und ward sogar Director der neuen Gesellschaft. Man versprach eine Bahn von Harburg über Stade und Cuxhaven nach Geestemünde, sowie den Bau eines stets offenen Seehafens in Cuxhaven mit großartige Dampfschiffsverbindungen und forderte dafür die Bagatelle von 20 Millionen Thaler. Der Prospect war so bescheiden, das Unternehmen mit das großartigste des Jahrhunderts zu nennen, und eine Reihe von Brochüren rechnete eine Rentabilität heraus, daß dem Leser die Augen übergingen. Solch maßlose Marktschreierei fiel selbst in der Gründungsperiode auf, und namentlich die Hamburger Presse machte sich darüber lustig. Von den 20 Millionen Thaler wurden vor der Hand Millionen emittirt, aber nur ¾ Millionen genommen, und viele Zeichner ließen ihre 40procentigen Interimsscheine im Stich, da sie keine Nachzahlung riskiren wollten.

Die Gesellschaft suchte überall nach Geld umher und fand es nur tropfenweise. Die Arbeiten wurden spät in Angriff genommen und kamen nie recht in Gang. Abgesehen von beträchtlichen Summen für Preßerzeugnisse und technische Vorarbeiten, abgesehen von hohen Verwaltungsunkosten – die Directoren Braun-Wiesbaden und Charles Ernst David sollen glänzende Gehälter bezogen haben – ist bisher verausgabt, das will hier bedeuten: verzettelt: 1) für den Hafen 1,300,000 Thaler; 2) für den Eisenbahnbau 1,100,000 Thaler; 3) an Cautionen 600,000 Thaler. Der Posten zu 2. ist an den Mitgründer Jürgen Heinrich Hagenah in Stade gezahlt, welchem die Linie Stade–Cuxhaven in „Generalentreprise“ gegeben war. Wegen mangelhafter und verspäteter Ausführung ist ihm der Vertrag gekündigt und er kürzlich vom Gerichte verurtheilt worden, an die Gesellschaft circa 400,000 Thaler herauszuzahlen. Die Cautionen sind verfallen, falls Hafen und Eisenbahnen nicht bis Neujahr 1876 fertig gestellt werden, was aber eine Unmöglichkeit ist. Entweder das größte Werk des 19. Jahrhunderts bleibt ein Schutthaufen, oder die Regierungen von Preußen und Hamburg müssen den Ausbau in die Hand nehmen. Aufrichtiges Bedauern verdienen nur die Bewohner der Landschaft Bremen, welche um die Bahn Harburg–Stade seit fast einem Vierteljahrhundert petitioniren und nun die feste Verheißung ihres Wunsches schon zweimal vereitelt sehen mußten.

Die Mitgründer Hagenah, Schön, Langhans, sowie Director David componirten auch noch in Verbindung mit R. A. Seelig und Eduard Stahlschmidt die Cuxhavener Immobiliengesellschaft, eine Filiale der vorigen, um in den neuen Weltstädten Cuxhaven und Ritzebüttel Geschäftshäuser, Hotels etc. zu errichten. Zu diesem Zwecke ließ Herr Hagenah, der Generalentrepeneur der Bahn Stade–Cuxhaven, einige Parcellen zu dem enormen Preise von 549,000 Thaler ankaufen und überantwortete sie für 1,530,000 Thaler, also mit einer Million Aufschlag, an Eduard Stahlschmidt, der sie nun wieder der plötzlich aus den Coulissen tretenden Immobiliengesellschaft überließ. Herr Greve, bis dahin Commis bei Hagenah und ein junger Mensch von fünfundzwanzig Jahren, hatte den ersten Ankauf vermittelt und ward nun Director der neuen Gesellschaft. Als solcher veröffentlichte er in der Hamburger „Börsenhalle“ die Bilanz pro 1872, in welcher zu lesen stand: „An Immobilien-Conto, Kaufpreis – 1,530,000 Thaler.“ – Da ereilte ihn die Nemesis in Gestalt der Staatsanwaltschaft. Was kein Staatsanwalt in Preußen fertig bekommen hat, vollbrachte der Oberstaatsanwalt in Hamburg, Dr. Mittelstädt, und wir bezeigen ihm hiermit unsern Respect. Trotz des famosen Actiengesetzes, ja auf Grund desselben erhob er gegen Director Greve die Anklage wegen „Verschleierung des Vermögensstandes der Gesellschaft“ durch Aufstellung einer unwahren Bilanz. Der wirkliche Kaufpreis der Parcellen war ja nur 549,000 Thaler gewesen – nicht 1,530,000 Thaler, mit welchem man sie den Actionären berechnete. Was kein Gerichtshof, weder in Deutschland noch in Oesterreich, bisher glaubte ahnden zu können: die Umtriebe der Gründer – wir meinen nämlich, große professionelle Gründer, nicht kleine dilettantenhafte Gründlinge, die allerdings hie und da abgefaßt wurden – that kurz und gut das Hamburger Strafgericht. Es verurtheilte den Director Greve zu einem Monat Gefängniß, und das Oberappellationsgericht in Lübeck hat diese Sentenz einfach bestätigt. Ja, es giebt noch Richter in – Hamburg und Lübeck.

Leider vermochte die Strafe nicht die eigentlichen Attentäter, die Gründer, zu erreichen: sie traf nur deren Werkzeug, den jungen Director Greve, der sich nun von einer durch Strohmänner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_746.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)