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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Daß er mit anderen, ganz entfernten Verwandten zur gesammten Hand mit einem Gute hier im Lande belehnt sei und daß ihm dies, oder wenigstens ein Stück davon einmal zufallen müsse, das hatte er als junger Mensch oft von seinem Vater vernommen, der aus dieser Gegend stammte. Aber während er Soldat gewesen, hatte er sich wenig darum gekümmert und erst, als er wegen seiner Verwundung entlassen und nur die Wahl zwischen irgend einem ganz kläglich besoldeten Posten in der Verwaltung im Innern Frankreichs, oder der erbärmlichen Pension eines als Invalide verabschiedeten Oberlieutenants gehabt, war er auf den Gedanken gekommen, wegen dieser Sache Schritte zu thun, und hatte sich zunächst an einen alten Freund seines Vaters in Freiburg gewendet, der denn auch richtig ermittelt, daß das fragliche Lehngut längst erledigt und daß man in den Zeitungen nach dem neuen Lehnsträger gesucht. Nun habe er, erzählte er weiter, noch den Zweifel gehabt, ob man sein Recht denn überhaupt noch etwas gelten lassen werde, da er doch gehört, daß die Franzosen, wie überall, auch hier zu Lande das ganze Lehn- und Majoratswesen, wie alle Unfreiheit der Menschen, aufgehoben, aber man habe ihm versichert, es sei das Alles wohl für die Zukunft aufgehoben, aber nicht für die Vergangenheit; wenn er in der Vergangenheit, vor der Einführung der neuen Gesetze, bereits belehnt worden sei und ein Recht erworben habe, so könne ihm dies nicht angetastet worden sein – die Folge der neuen Gesetze sei nur, daß er nicht mehr unter den Einschränkungen und Bedingungen des alten Lehnrechts besitzen werde, sondern als durchaus freier Eigenthümer und Herr. Darum solle er sich nur melden.

„Gewiß, gewiß,“ unterbrach hier der Justitiar die langsam und mit großer Bedächtigkeit vorgebrachte Erzählung des jungen Mannes, „und so hat denn auch Ihr Mitbelehnter, Herr von Mansdorf hier, von Wilstorp Besitz ergriffen; Sie, als der andere zum Erben Berufene, theilen sich mit ihm darein, sodaß Sie zusammen die unbeschränkten Eigenthümer sind; die mit gegenseitigem Einverständnisse, ohne sich weiter um die alte Lehnsbestrickung zu kümmern, thun und lassen können, was Sie wollen. Wenn es Sie zum Beispiele drücken sollte, daß keiner ohne den Miteigenthümer etwas Rechtsgültiges vornehmen kann, so steht nichts im Wege, daß Sie sich in den Besitz theilen, der Eine diese, der Andere jene Hälfte nimmt, der Eine seine Hälfte an den Andern verpachtet, verkauft, wie Sie eben wollen.“

Der Angekommene richtete während dieser Rede des Justitiars seine Augen mit einem so fragenden Blicke auf diesen, daß Herr von Mansdorf darin die Aufforderung sah, seinen Beamten förmlich vorzustellen.

„Herr Plümer, mein – verzeihen Sie, unser Justitiar!“ sagte er.

Ulrich Gerhard von Uffeln verbeugte sich mit würdiger Höflichkeit vor ihm und sagte dann:

„Haben wir denn hier noch die Patrimonialgerichtsbarkeit? Auch das hielt ich für aufgehoben.“

„In der Theorie,“ antwortete lächelnd der Justitiar, „in der Theorie allerdings aufgehoben, aber in der Praxis hat das Aufheben aller früheren Dinge nicht so rasch gehen wollen, und so haben wir hier denn bei den alten Einrichtungen für’s Erste bleiben müssen. Nur muß der alte Plümer sich in die neue Gesetzgebung finden und nach dem Code Recht sprechen.“

Frau von Mansdorf sandte jetzt ihre Tochter, um für den Angekommenen Erfrischungen zu besorgen, und in ihrer freudigen Erregung ging sie gleich nachher selber, um dabei zu helfen. Und was Herrn von Mansdorf angeht, so wurde er seinerseits nicht müde, den Gast zum Trinken aufzufordern und ihm einzuschenken, und dann auf das Wohl des Fremdlings anzustoßen, den er bald unter dem Einflusse hochgesteigerter Lebens- und Gemüthswärme in vertraulichster Weise behandelte und der sich dann schon Scherze über seine Hand gefallen lassen mußte – man wisse doch nun, sagte Herr von Mansdorf, wie man sich eigentlich solch einen „gesammten Hands“-Vetter vorstellen müsse, nämlich mit einer Hand, die nichts zusammenhalten könne; deshalb sei auch nicht zu besorgen, daß der Vetter ihm zu gewaltsam in seine Verwaltung von Haus Wilstorp eingreifen werde, was ihm sehr lieb sei, da sie, dank dem Schlendriane des Herrn Fäustelmann, der Alles beim Alten lassen wollte, kühne Griffe nicht vertrage.

Und dann war Herr von Mansdorf im Begriffe, dem Vetter zu versichern, er sei überhaupt ein vortrefflicher Mensch, den er ganz versucht sei, nicht als Vetter, sondern als seinen wiedergefundenen verlorenen Sohn zu behandeln, wenn seine überströmenden Gefühle in diesem Augenblicke nicht mit einer gewissen Plötzlichkeit in’s Innere seines Busens zurückgestaut worden wären durch einen strafenden Blick der wieder eintretenden gestrengen Hausfrau, und das war recht gut, denn Herr von Mansdorf wäre sonst am Ende noch dazu übergegangen, jetzt gleich in der ersten Stunde mit dem angekommenen Vetter Brüderschaft zu trinken.

Herrn von Mansdorf’s erhöhte Stimmung war übrigens sehr verzeihlich; er konnte sich nicht allein Glück dazu wünschen, daß jetzt der Bann von ihm genommen, der auf ihm gelegen bei allem, was er hatte vornehmen wollen, dieser Mann, der sich ihm endlich als der ersehnte Miteigenthümer vorgestellt, zeigte sich auch in allen seinen weiteren Aeußerungen als ein Charakter, mit welchem es sich auf das Angenehmste müßte verhandeln lassen, mit dem Geschäftsbeziehungen pflegen zu müssen durchaus nichts Drückendes und Schwieriges haben konnte. Was sonst noch für Eigenschaften in ihm versteckt liegen konnten, die erst bei näherer Bekanntschaft an den Tag kommen würden – arrogant, rechthaberisch, streitsüchtig war er sicher nicht; er war im Gegentheil ganz offenbar von einer schüchternen Anspruchslosigkeit, wie Herr von Mansdorf sie bei seinem Mitbesitzer nur wünschen und verlangen konnte. Er liebte es mehr, sich belehren zu lassen, als selbst zu sprechen; er zeigte nicht die geringste indiscrete Neugier, über die Verhältnisse seines Eigenthums Auskünfte zu erhalten, die doch für ihn von so großer Wichtigkeit waren; er bewies Frau von Mansdorf und Fräulein Adelheid die zuvorkommendste Aufmerksamkeit – und so wurde denn der ganze kleine Kreis, in welchem er heute so plötzlich aufgetaucht, mit dem befriedigendsten Eindruck von ihm erfüllt. In dem kleinen Thurmwinkel auf Haus Wilstorp war lange kein so heiterer Abend zugebracht, keiner war so tief in die Nacht hinein bei Windlichtern, kalten Speisen, mäßig gutem Graveswein[WS 1], sehr schlechtem Tabak und höchst lebhafter Unterhaltung verlängert worden, als dieser, der den ersehnten Vetter gebracht.

Nur der Rentmeister Fäustelmann hatte an dieser Heiterkeit keinen Theil genommen. Er hatte sich schon früh im Stillen bei Seite gemacht und war gegangen – „um Gespenster zu sehen,“ sagte Herr von Mansdorf in seiner erregten Laune.

Der sympathische Eindruck, den Herr von Uffeln auf Alle gemacht, hatte sich am andern Tage nur verstärkt. Man hatte zuerst einige geschäftliche Dinge abgemacht, wobei der Justitiar und der Rentmeister zugegen waren und Ulrich sich in Alles gefügt und geschickt hatte, wie man es ihm vorgelegt, namentlich wie der Rentmeister es einzurichten gerathen, zu dessen ernstem und abenteuerlichem Kopfe der junge Mann oft hinüberschaute und der ihn mit einer gewissen stillen Scheu zu erfüllen schien. Und dann, nach Tische, hatte man einen weiten Spaziergang durch die Felder und Wälder gemacht, um dem neuen Miteigenthümer die Ausdehnung derselben und die Grenzen bis an welche sein Recht ging, zu zeigen. Ulrich von Uffeln hatte das Alles mit einem erst nach und nach erwachenden lebhafteren Interesse betrachtet und sich dabei durch Fragen nach den Bewirthschaftungsmethoden, nach den Erträgnissen einzelner Gutsbestandtheile zu orientiren gesucht. Herr von Mansdorf hatte ihm dann mit innerlichem Vergnügen höchst ausführliche Auskunft gegeben, mit einem Vergnügen, wie es ein Mann empfindet, dem diese Rolle nicht oft zu Theil wird, sondern der, wie Herr von Mansdorf, verurtheilt ist, zwischen so gescheiten Leuten, wie der skeptische Justitiar und der melancholische Rentmeister, zu leben, von denen er fast immer überstimmt wird, und namentlich einen Rentmeister zu haben, der nicht nur die Dinge dieser Welt besser versteht als er, sondern auch noch über sie weg in die jenseitige zu blicken vermag. Und während so die beiden Lehnsvettern von der Gesammthand sich unterhielten, dachte Fräulein Adelheid, welche neben ihrer Mutter schreitend ihnen folgte, mit Rührung daran, wie dankbar sie doch Alle diesem Ulrich von Uffeln sein müßten, daß er ein so gutmüthiger Mann sei, der alle den schönen, auf sein Kommen gebauten Plänen nicht das Geringste schien in den Weg legen zu wollen, daß sie nun sich für den Winter frei machen könnten und in die Welt, in den

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gravoswein
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_782.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)