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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


schönen Süden reisen würden, wohin ihr Arzt sie senden wolle, der gute, um ihre Gesundheit so sorglich bekümmerte Arzt. Adelheid dachte an die Miene, die dieser Arzt machen würde, wenn er heute Abend herauskäme, nach ihr zu sehen, und sie ihm dann sagen würde, daß der Vetter nun endlich da sei; an die freudige Ueberraschung, die aus allen seinen Zügen leuchten würde, sie nahm sich vor, ihm um die Zeit, wo sie ihn erwartete, ein wenig auf dem Wege nach Idar, wo er wohnte, entgegenzugehen, um ihm desto eher die Freudenbotschaft zu verkünden.

Es muß hier eingeschaltet werden, daß der Arzt, der einzige, den das Städtchen besaß, ein noch sehr junger und auffallend hübscher Mann war.

Die gestrenge Dame, Adelheid’s Mutter, war unterdeß mit anderen Gedanken und Plänen schwerwiegender Art beschäftigt, Gedanken, welche sich ihrer schon in der Nacht bemächtigt, sich jedoch noch in tiefes Schweigen hüllten. Dabei lag ein Ausdruck einer stolzen Rührung in ihren Zügen, wenn sie auf die beiden vor ihr wandelnden Männer blickte, ein Ausdruck, der verrieth, wie wohl es ihrem adeligen Herzen that, daß diese beiden Männer sich um einer so rückhaltslosen und unbegrenzten Ehrlichkeit ohne den geringsten Hintergedanken über ihre beiderseitigen Rechte verständigten, sodaß an jene feindliche Reibung der Interessen, die immer so leicht da zu entstehen pflegt, wo es sich um das Mein und das Dein handelt, hier gar nicht zu denken war.

Auf dem Heimwege, den man etwas rascher schreitend zurücklegte – denn Herr von Mansdorf zeigte sich von der Vorstellung gequält, daß der Lehnsvetter außerordentlich durstig geworden sei und ein brennendes Verlangen nach einem guten kühlen Trunke empfinden müsse – auf dem Heimwege schritten Ulrich von Uffeln und Adelheid neben einander.

„Wie ganz anders,“ sagte Adelheid, „mögen Sie sich dies Alles, unsere ganze Umgebung vorgestellt haben, als Sie es nun finden, Herr von Uffeln, ganz gewiß viel schöner und reicher!“

Ulrich schüttelte den Kopf. „Ob ich es mir schöner vorgestellt habe? O nein. Anders wohl – nun ja – doch um Ihnen die Wahrheit zu sagen, eigentlich habe ich es mir gar nicht vorgestellt. Ein Schloß, einen großen Grundbesitz umher, gütig und mit rührender Freundlichkeit mich aufnehmende Menschen – das Alles mir vorzustellen habe ich gar nicht gewagt. Mein bisheriges Leben war nicht so, daß ich an so etwas als mir beschieden denken konnte. Ich bin immer arm und auf mich selbst angewiesen gewesen im Leben; ich war Soldat und war es ohne Beruf dazu, ohne alle Neigung; ich fühlte mich seit je unglücklich in der schrecklichen Kriegsknechtsjacke, in der ich marschiren mußte und wieder marschiren, und immer marschiren nach Orten und Gegenden, nach denen mich absolut nichts zog; ich mußte mich in dieser Kriegsknechtsjacke als den Todfeind von Menschen betrachten, die todtschlagen zu helfen ich hunderte von Meilen weit hergekommen war, ohne daß diese Menschen mich irgend etwas angingen, ohne daß sie mir je etwas in den Weg gelegt hätten. Und wenn man so denkt und fühlt, Fräulein, so hat man unter den Soldaten, mit denen man leben muß, auch keine Freunde – und ist sehr, sehr allein. Ohne Heimath und Freunde und ohne einen Lebenszweck fühlt man sich als einen willenlosen Spielball des Schicksals und entwöhnt sich des Gedankens an die Möglichkeit, daß man einmal zu eigenem Rechte, zu Eigenthum und Selbstbestimmung gelangen werde. Man ist so herumgestoßen, so daran gewöhnt, nur nach dem Willen Anderer sich zu rühren und zu bewegen – wie kann man da noch an das Glück einer nur von sich selbst abhängenden Existenz glauben und sich in Gedanken die Dinge ausmalen, die eine solche Unabhängigkeit gewähren?“

Adelheid nickte, während ihr Begleiter mit sinnigem Tone so sprach, verständnißinnig und gerührt über das Schicksal einer so freudlosen und verlassenen Jugend, wie sie dieser gute Lehnsvetter gehabt hatte.

„Es ist wahr,“ sagte sie, „aber daß es so ist, hat nun doch wenigstens etwas Gutes. Denn nun sind Sie nicht mit übertriebenen Vorstellungen zu uns gekommen und finden sich durch die Beschränktheit und Anspruchslosigkeit unserer Verhältnisse nicht enttäuscht.“

„O nein, sicherlich nicht,“ rief er lächelnd aus, „ich bin überrascht, beschämt und ganz gedemüthigt bei dem Gedanken, daß ich in einer solchen reizenden kleinen Welt als eine Persönlichkeit betrachtet werde, die hier nun mit zu sagen und zu bestimmen habe, daß ich hier ein gleiches Recht wie Ihr Vater haben soll; es ist das erste Mal in meinem Leben, daß man mich nach meinem Willen fragt, und das macht mich – bis jetzt wenigstens noch – eher verzagt und beschämt als alles Andere. Ich möchte am liebsten Alles lassen, wie es ist, Alles in die Hände Ihres Vaters legen und mich zufrieden erklären, wenn Sie mich als Freund in Ihrem Hause aufnehmen und mich in dem schönen Eckzimmer, in dem ich diese Nacht einquartiert gewesen bin, ruhig bei meinen Musikübungen lassen wollen.“

„Ah, Sie sind musikalisch?“

„Ein wenig. Ich hatte nur während meines Kriegslebens nicht die Zeit, mich auszubilden. Und jetzt hindert mich meine verwundete Hand. Ich blase die Flöte.“

„O, wie fatal dann diese Verwundung ist!“

„Die mich doch zu Ihnen geführt hat – ich segne sie deshalb.“

„Es ist wahr,“ entgegnete Adelheid, die von seiner Gutmüthigkeit und Anspruchlosigkeit ganz gerührt war. „Da Sie nun aber hier sind, müssen Sie sich doch auch ein wenig in Ihre Herrenrechte und Pflichten einstudiren.“

„O ja, gewiß, ich will das ja auch. Stehen Sie mir darin ein wenig bei! Sie sehen, des Beistandes werde ich noch lange bedürfen. Nehmen Sie sich ein klein, klein wenig meiner an! Das würde mich sehr glücklich machen.“

„Ich will Ihnen wenigstens sagen, was ich Ihnen rathen würde,“ entgegnete Adelheid leicht erröthend. „Sehen Sie, mein Vater ist von einer gar zu großen Nachgiebigkeit und zu großem Vertrauen auf alle Menschen – er ist so gut, der Vater. Wenn Sie nun auch noch so vertrauensvoll und mit Allem zufrieden und einverstanden sind, dann entsteht die Gefahr, daß Sie beide mißbraucht und übervortheilt werden …“

„Sicherlich, aber Herr Fäustelmann scheint mir Alles so gründlich zu kennen und seiner Herrschaft so ergeben …“

„Fäustelmann? Nun ja, obwohl ich …“ Fräulein Adelheid dämpfte ein wenig ihre Stimme, „obwohl ich nicht recht weiß, ob meine Eltern recht thun, ihm so unbedingt zu glauben und zu vertrauen. Es ist mir oft – Sie verrathen mich nicht, nicht wahr? – es ist mir oft, als ob aus seinem Spuksehergesichte etwas von einem Schelm blickte; ich will ihm nicht zu nahe treten, und es ist ja gewiß eine wunderbare Gabe, die er hat; Sie werden selbst erleben, welche Vorgeschichten er sieht und wie wundersam sie sich erfüllen – aber ich meine, daneben wäre auch etwas Hinterhältiges in ihm und er spielte zuweilen mit den Menschen, die soviel Respect vor seiner übernatürlichen Gabe haben …“

„Sie meinen,“ fiel Ulrich von Uffeln wie betroffen ein, „er beutete den schönen Glauben der Leute an ihn zu seinem Vortheile aus.“

Adelheid nickte. „Ich habe ein Gefühl, als ob es zuweilen so wäre,“ sagte sie.

Ulrich von Uffeln schwieg darauf.

„Ich will es mir merken,“ sagte er nur nach einer langen Pause, ohne mit irgend einer Frage auf Herrn Fäustelmann’s übernatürliche Gabe zurückzukommen, die für ihn, als einen im Lande Fremden, doch sehr auffallend sein mußte. Menschen wie dieser Rentmeister waren eine specielle Eigenthümlichkeit seiner neuen Heimath, von der er doch bisher noch nicht vernommen haben konnte. Aber er fragte nicht weiter nach Herrn Fäustelmann. –

Als man heimgekommen war, nahm Herr von Mansdorf den Lehnsvetter mit sich in den epheuumwobenen Thurmwinkel und sandte seine Gemahlin nach Löschungsmitteln für den durch die Wanderung entstandenen Durst. Adelheid ging hinein und blieb eine Zeitlang in ihrem Zimmer; dann kam sie aus dem mittleren Thurme, in welchem die Wendeltreppe zu den Wohnräumen emporführte, mit einem Umschlagtuche gegen die Abendluft bekleidet, in frisch geordnetem und aufgestecktem Haar heraus, einen mit einem Asternstrauß geschmückten Strohhut in der Hand schaukelnd. Sie sah sehr hübsch aus, das schlanke Fräulein mit dem feinen leise gerötheten Kopf, wie sie elastischen Schrittes und offenbar fröhlich erregt so der alten Thorbrücke zuschritt. Aber noch hatte sie die morschen Bohlen dieser Brücke nicht betreten, als sie von ihrer Mutter eingeholt wurde.

„Adelheid, wohin willst Du noch?“ fragte die gestrenge Dame scharf.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_783.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)