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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

deutschen Talenten das weiteste, stolzeste und unbestrittenste Eroberungsfeld auf amerikanischem Boden erschlossen. Sie haben so gut wie keinen Mitbewerb aufkommen lassen, diese deutschen Talente. Seit Jahren haben sie allen italienischen Opern und allem Bostoner Jubiläenspectakel zum Trotze das maßgebende Wort gesprochen, bis endlich auf dem Boden, den so geniale Vorkämpfer wie Karl Anschütz, E. Sobolewsky und Karl Bergmann geebnet hatten, eine Dirigentenerscheinung wie die von Theodor Thomas möglich wurde. Aber selbst trotz so unschätzbarer Vorarbeiten waren es keine kleinen Kämpfe, welche dieser unübertreffliche musikalische Organisator zu bestehen hatte, ehe er endlich aus seinem Orchester eine ständige Schöpfung machen konnte, und es heißt durchaus nicht dem idealen Streben des Mannes zu nahe treten, wenn man seiner professionellen Ausdauer und seinem geschäftlichen Unternehmungsgeiste die ganze Anerkennung zollt, welche sie verdienen. Denn nur die Vereinigung von Beidem konnte hier zu Lande das zuwege bringen, was Thomas zuwege gebracht hat – auf dem Flügelpferde allein hätte Orpheus selbst auf die künstlerische Eroberung der anglo-amerikanischen Welt verzichten müssen. Theodor Thomas’ Name ist heutigen Tages der des ersten Musikrepräsentanten der Vereinigten Staaten, ihres musikalischen Erziehers und Bildners. Was er im Laufe des letzten Jahrzehntes geleistet, füllt ein bedeutsames Blatt in der geistigen und ästhetischen Entwickelung dieses Landes überhaupt. Neben aller Richtung auf das Praktische eine echte und vornehme Künstlernatur, hat er Amerika nicht nur der Classik Beethoven’s und Schumann’s unterthan gemacht, sondern auch im Vollbewußtsein der unfehlbaren technischen Hülfsmittel, die er in seinem Orchester beherrscht, Wagner, Liszt und Rubinstein auf diesem Boden das Bürgerrecht erkämpft.

Den Sommer hindurch, während dessen er allabendlich im eigens hierzu errichteten luftigen Garten- und Saalbaue die beste New-Yorker Gesellschaft zu sogenannten populären Concerten versammelt, gehört er der Metropole allein an. Während des Winters muß sie sich mit einer bestimmten Anzahl Symphoniesoiréen begnügen, um den Löwenantheil an seiner Thätigkeit den anderen Großstädten des Landes zu überlassen für welche sein und seines Orchesters gastweises Erscheinen dann stets die Bedeutung von Musikfesten im großen Style gewinnt. Und wie tiefe Wurzeln der Einfluß unseres deutschamerikanischen Meisters edelster Tonkunstpflege nachgerade im ganzen Lande geschlagen hat, dafür legt die eine Thatsache das beredteste Zeugniß ab, daß selbst in dem der großen Herbstkrisis von 1873 folgenden Winter von allen Kunstunternehmungen die seine die einzige war, welche keine materielle Einbuße erfuhr.

Doch nicht nur die tönende Kunst borgt sich in der Union ihre mehr oder minder tonangebenden Namen aus den Reihen des eingewanderten Deutschthums, auch ihre bildende Schwester hat sich, wenngleich nicht so ausschließlich, zu ähnlicher Anleihe genöthigt gesehen. Sie hat ihren ersten Historienmaler und ihren, wenn auch nicht ersten, doch immerhin ausgiebigsten Landschafter aus demselben Deutschland wie ihre Heerführer im Bereich der ausübenden Musik bezogen. Emanuel Leutze und Alfred Bierstadt, die beiden Namen haben einen kosmopolitischen Klang. Leutze, der als vierjähriger Knabe mit seiner Familie nach den Vereinigten Staaten kam, kehrte als Fünfundzwanzigjähriger nach Deutschland zurück, um ihm als eines der hervorragenden Mitglieder des Düsseldorfer Künstlerbundes von 1841 bis 1858 anzugehören. Das letzte Jahrzehnt seines Lebens – er starb 1868 – verbrachte er wieder in seiner amerikanischen Adoptivheimath, nach der ihn Aufträge umfangreichster und ehrenvollster Art zurückberufen hatten. Aber sein Bestes schuf er doch am Rhein, und vor allen Dingen war es jenes Werk historischer Darstellung, das sich in Amerika einer vom vornehmsten Palast bis zur niedrigsten Hütte, von New-York und Boston bis in die fernsten westlichen Lager reichenden Volksthümlichkeit erfreut, „Washington’s Uebergang über den Delaware“, welches er im Jahre 1851 als künstlerische Weihegabe dem Lande seiner Wahl über das Weltmeer sandte. Auch Bierstadt, ein geborener Westphale, kam in zartester Jugend nach den Vereinigten Staaten. Doch auch er wandte, wie Leutze, sich nach Deutschland zurück, als es galt, seiner natürlichen Begabung das künstlerische Können zu erobern. Diese Studienjahre (1853 bis 1857) trugen ihm reiche Ernte. Nach Amerika zurückgekehrt, theilte er, ein echter Schatzjäger und Pfadfinder seiner Kunst, sein Leben zwischen Reisen nach dem fernen und fernsten Westen und der farbigen Wiedergeburt dessen, was er dort erschaut und in sich aufgenommen. So entstanden seine Riesenbilder aus den Rocky Mountains und den californischen Sierras, welche, in der alten wie in der neuen Welt gekannt, neben der lebhaftesten Bewunderung auch mannigfache Verneinung hervorriefen, jedenfalls aber Alles thaten, nur nicht gleichgültig ließen.

Es könnten noch andere deutsch-amerikanische Künstlernamen genannt werden, welche, wie die des geistvollen Washingtoner Malers Theodor Kaufmann, des New-Yorker Bildhauers Georg Heß und der beiden hervorragendsten Carricaturenzeichner des Landes, des Pfälzers Thomas Nast[WS 1] und des in wenigen Jahren zu einer Berühmtheit seines Faches herangediehenen Wieners Joseph Keppler, längst auch in transatlantischen Kunstkreisen gekannt und geschätzt sind. Es sei mit diesen genug! Große materielle Erfolge sind den deutsch-amerikanischen Künstlern freilich nur ganz ausnahmsweise geworden. Wollen wir diese als Lohn deutscher Ausdauer und deutscher Fachtüchtigkeit auf amerikanischem Boden sehn, so müssen wir uns schon jenen praktischeren Berufen zuwenden, welche in erster Reihe auf dem Gebiet des geschäftlichen[1] Betriebes erblühen. Glücklicher Weise schließen dieselben das künstlerische Element nicht grundsätzlich aus. Es treten uns vielmehr gerade in ihrem Bereiche zwei auf das Glänzendste entwickelte Zweige kunstindustrieller Thätigkeit entgegen, deren amerikanische Vertreter trotz alles numerischen Uebergewichts, das sie ursprünglich hatten, es nicht haben verhindern können, daß sich deutsche Concurrenten in unbestrittenster Weise an ihre Spitze gestellt haben: der Pianobau und die Photographie.

Man weiß in Europa sehr wohl, was die amerikanische Clavier-Fabrikation zu bedeuten hat. Die Londoner und Pariser Weltausstellungen von 1862 und 1867 haben es gelehrt. Zugleich lehrten sie aber auch, daß es schon damals eine deutsche Firma war, die, allen amerikanischen Mitbewerb überflügelnd, seit Mitte der fünfziger Jahre nicht nur das größte Geschäft dieser Art in den Vereinigten Staaten, sondern in der Welt überhaupt aufgebaut hatte. Dennoch sind die Steinway’s – denn von ihnen ist hier die Rede – keineswegs die einzigen deutschen Clavierbauer der Union, deren zu gedenken ist, wenn von diesem großartigen Kunstindustriezweig der neuen Welt gesprochen wird. Unter allen den Firmen, welche neben ihnen den Pianofortemarkt Amerikas beherrschen, W. Knabe u. Comp., Gebrüder Decker, Steck u. Comp., Albert Weber und Chickering, sind nur die Letztgenannten Amerikaner, – sie allerdings ihrem Lande und ihrem alten Namen die höchste Ehre machend. Ein Verdienst aber haben die Steinway’s allein in Anspruch zu nehmen, ein Verdienst um das New-Yorker und mit ihm um das amerikanische Musikleben überhaupt: den Bau jenes berühmten Concertsaales – der Steinway Hall – an der vierzehnten Straße, in welcher die Tonkunst der Metropole seit Ende der sechsziger Jahre ihre vornehmste, um nicht zu sagen, ihre ausschließliche Heimstätte besitzt. Er bildet gewissermaßen die ideale Krönung eines geschäftlichen Baues, welcher auch ohne dieselbe um so mehr zu bewundern gewesen wäre, als er das Werk einer so kurzen Zeit war. Denn erst in der Mitte der fünfziger Jahre geschah es, daß die aus Braunschweig Eingewanderten in New-York in den kleinsten Verhältnissen auf eigene Rechnung zu arbeiten begannen, um seitdem diese dürftigen Anfänge zu einer Geschäftsblüthe heranwachsen zu sehen, von deren Großartigkeit die nachstehenden Zahlen – und was spräche in derartigen Fällen deutlicher als gerade Zahlen? – einen ungefähren Begriff geben. Die Anzahl der Instrumente, welche bis zum April dieses Jahres aus dem Steinway’schen Etablissement hervorgegangen waren,

  1. Es giebt in Amerika keinen Zweig des geschäftlichen Lebens, in welchem die Deutschen es nicht verstanden hätten, bis in die allervorderste Reihe vorzudringen. So Poppenhusen und König in College Point bei New-York, deren Guttaperchafabrikation Dimensionen gewonnen hat, wie sie kein zweites Etablissement dieses Schlages aufweist; so im Fache der Tabakfabrikation Gayl und Ax in Baltimore, in der Chromolithographie L. Prang in Boston und so endlich die amerikanischen Bierbrauereien, die ausschließlich in deutschen Händen sind.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Rast
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_792.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)