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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Damit stapfte er rasch davon und überließ es seinem Begleiter, sich nun allein den Weg nach dem Städtchen zu suchen.

Dieser war freilich unschwer zu finden, dienten doch die Thürme von Idar, die vier hohen und breitmassigen Thürme des alten Fürstenschlosses vor Allem als Wegweiser. So stand Uffeln denn nach wenig mehr als einer Viertelstunde vor den Schloßgebäuden. Mit der Einrichtung derselben unbekannt, gerieth er auf einen inneren Hof, wo ein mit dem Striegeln eines Pferdes beschäftigter Stallknecht ihn in einen quer durch den nächsten Flügel führenden gewölbten Gang wies.

„Sie gelangen am Ende des Ganges in’s Vestibül, dort wird Jemand sein, der Sie zur Prinzessin Elisabeth Durchlaucht führt,“ sagte der Mann.

Uffeln schritt durch den langen dunklen Gang, der in einen weiten und schönen, mit Orangebäumen und Blattpflanzen geschmückten Eintrittsraum führte. Hohe Glasthüren gingen aus diesem auf die Terrasse hinaus, unter welcher der Park sich ausbreitete. Ihnen gegenüber führte eine breite Treppe mit schönem Geländer von geschnitztem Eichenholze in die oberen Stockwerke. Am oberen Ende des Vestibüls saß an einem Tische ein Lakai; er war mit Feder und Papier beschäftigt und schien sehr darin vertieft, – vielleicht mit der Berechnung seiner Lohnrückstände, würde Fäustelmann spöttisch bemerkt haben.

Uffeln war langsam und leise auftretend durch den dunkeln Gang geschritten; als er eben, herauskommend, den Fuß in das Vestibül setzte, sah er, wie von draußen her, über die Terrasse, ein Mann herankam, die mittlere Glasthür öffnete und sich zum Lakaien wandte, der aufstehend ihm entgegentrat.

Es war eine kräftige einnehmende Gestalt in eleganter modischer Kleidung und selbstbewußter Haltung.

„Ich wünsche der Prinzessin Elisabeth meine Aufwartung machen zu dürfen,“ sagte er mit einem sehr wohlklingenden Organe.

„Wen soll ich melden?“ fragte der Lakai.

„Melden Sie den Herrn Ulrich Gerhard von Uffeln!“ versetzte der Fremde laut.

Der Lakai machte eine leichte Verbeugung und ging der Treppe zu. Der Fremde blieb an seiner Seite und schritt mit ihm die Treppe hinauf, als ob er an eine Abweisung nicht denke.

Herr von Uffeln hatte, wie der Fremde seinen Namen nannte, augenblicklich seinen Schritt gehemmt. Er war leichenblaß geworden. Mit weit aufgerissenen Augen hatte er dem Manne nachgestarrt, der neben dem Lakai fest und elastisch die Treppe hinaufschritt. Jetzt streckte er die Hand nach der Wand des Vestibüls aus, als ob er sich daran stützen müsse, stand so eine Weile, noch immer die Treppe hinaufstarrend, während oben die Schritte schon längst verhallt waren; endlich athmete er aus tiefster Brust aus, gewaltsam nach Luft ringend, wandte er sich rasch, zitternd dem Wege wieder zu, den er gekommen war, und eilte mit den Schritten eines Menschen, der irgend eine Grauengestalt hinter sich glaubt, davon. Erst als das Schloß hinter ihm lag, mäßigte er den Schritt, wie um zu vermeiden, daß jeder Begegnende einen Flüchtling in ihm erkenne.




7.

Der außerordentliche Schrecken, den der Anblick seines Doppelgängers für Ulrich Gerhard von Uffeln gehabt und der ihn jetzt mit solcher Eile heimtrieb, war, schien es, noch durchaus keiner Beruhigung oder kälteren Auffassung einer so befremdenden Thatsache gewichen, als der junge Mann Haus Wilstorp schon wieder vor sich sah und an der Wohnung des Rentmeisters Fäustelman angekommen war. Noch waren seine Züge sehr bleich und noch zitterte die Hand, womit er die Klingel an der Thür des freundlichen einstöckigen und aus Fachwerk inmitten eines geräumigen Gartens erbauten Hauses zog. Auf seine Frage nach Herrn Fäustelmann führte eine Magd ihn durch einen weiten, von Reinlichkeit und blankem Geschirr glänzenden Küchenraum in eine Hinterstube, in welcher der Rentmeister, eben von seinem Ausfluge nach der Kropp heimgekehrt, bereits wieder hinter seinem Schreibtische über Papiere und Rechnungen gebückt saß.

„Wie – schon zurück?“ rief der Rentmeister überrascht aus. „Und wie bleich und erschrocken sehen Sie aus! Was hat die Prinzessin Ihnen anthun können, daß Sie so entsetzt drein schauen? Aber Sie haben sie in der kurzen Zeit ja gar nicht sehen können.“

„Die Prinzessin hat mir nichts angethan; ich habe sie in der That nicht einmal gesehen, aber was ich gesehen habe, das ist …“

Herr von Uffeln blickte sich um, ob auch die Thür hinter ihm fest geschlossen sei, und dann, indem er sich schwer in den nächsten Stuhl niederließ, sagte er flüsternd und gepreßt:

„Aber was ich gesehen habe, das ist ein Doppelgänger – ein Mann der sich deutlich und laut Ulrich Gerhard von Uffeln nannte.“

Herr Fäustelmann hatte sich beim Eintritte des jungen Mannes erhoben. Jetzt trat er hinter seinem Schreibtische hervor, und Uffeln fixirend sagte er betroffen:

„Einen Doppelgänger haben Sie gesehen? Ach – Unsinn! – das hat Ihnen eine kranke Phantasie vorgespiegelt.“

„Ich wollte, ich könnte das glauben,“ versetzte aus tiefer Brust aufseufzend Herr von Uffeln.

„Sagen Sie mir aufrichtig, Herr von Uffeln,“ sagte Fäustelmann, indem er immer noch seine Blicke mit dem Ausdrucke einer zweifelnden Betroffenheit scharf auf den niedergeschlagenen jungen Mann richtete, „haben Sie früher schon – wir kennen uns ja erst seit so kurzer Zeit – früher schon solche Sinnestäuschungen erlebt?“

Herr von Uffeln schüttelte schmerzlich lächelnd den Kopf. „Sorgen Sie nicht, daß ich Ihnen in’s Handwerk pfusche, Fäustelmann! Sinnestäuschungen sind Ihre Domäne, und ich lasse sie Ihnen, wie nach unserer Durchforschung der Kropp auch der Oberförster Ihnen keine Concurrenz mehr machen wird. Was ich gesehen habe, war die lebendige leibhafte Wirklichkeit und kein Schattenbild, und was ich hörte, war der laut und bestimmt ausgesprochene Name Ulrich Gerhard von Uffeln.“

Der Rentmeister zog den Stuhl, auf dem er gesessen, mehr und mehr bis an die Tischecke heran, und sich dann Herrn von Uffeln nahe gegenüber niederlassend, sagte er:

„Nun, so erzählen Sie genau und ausführlich das Wie und Wo! Die Sache wäre denn doch zu merkwürdig.“

Herr von Uffeln erzählte ausführlich. Der Rentmeister lauschte mit einem immer länger und gespannter werdenden Gesichte, und zuletzt, nach manchem Hin-und-Wider, wie von der tiefen Erregung und Unruhe seines Gegenüber endlich doch angesteckt, rief er aus:

„Es ist unbedingt nöthig, daß wir der Sache auf den Grund kommen, und das Nächste und Einfachste, um dahin zu gelangen, ist, daß wir ganz offen die Prinzessin fragen, wer dieser Mann, der heute statt Ihrer bei ihr eingetreten, sein könne, was er bei ihr gewollt, welche Angaben er ihr gemacht.“

„Soll ich das thun?“

„Lassen Sie mich es thun!“ versetzte Fäustelmann, „es ist besser so; ich bin auch besser im Stande, sofort den Weg nach Idar zu machen. Ihnen scheint er sehr zugesetzt zu haben!“

„Das hat er,“ antwortete Herr von Uffeln mit einem Seufzer der Erleichterung bei dem Gedanken, daß ihm dieser Weg erspart bleibe.

Und so übernahm Fäustelmann es, sich Aufklärung und Licht in dieser die beiden Männer in solche Bestürzung versetzende Sache von der Prinzessin Elisabeth zu erbitten, wenn sie im Stande sein sollte, sie zu geben. Er wechselte seine Kleidung, wobei er eine ungewöhnliche Sorgfalt an den Tag legte, und dann machte er sich auf den Weg nach Idar, während Herr von Uffeln still sein Wohnzimmer in dem Edelhofe aufsuchte. Er schritt hier langsam auf und nieder, blieb endlich dem kleinen Bildnisse seiner Mutter gegenüber stehen, und nachdem er lange darauf geblickt, nahm er es von der Wand, drückte einen Kuß darauf und brach zugleich in einen Strom von Thränen aus. – –

Herr Fäustelmann legte unterdeß seinen Weg nach dem Städtchen in weniger fluchtgleicher Hast zurück, als es Uffeln gethan; er ließ sich offenbar Zeit zu allerlei gründlichen Erwägungen. Als er in Idar im Schlosse angekommen war und seinen Wunsch an derselben Stelle ausgesprochen hatte, wo Herr von Uffeln in so überraschender Weise gehindert worden, den seinigen laut werden zu lassen, wurde er die Treppe in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_830.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)